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30 Jahre Bahnreform

„Wir konzentrieren uns aufs Kerngeschäft und erhöhen die Mittel für die Schiene deutlich“

Foto: DB AG/Volker Emersleben
Foto: DB AG/Volker Emersleben

Auf Basis der Vorschläge der Regierungskommission Bundesbahn wurde die umfassende Bahnreform zum 1. Januar 1994 umgesetzt. Damit wurde die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form gegründet. Die drei wesentlichen Ziele der Bahnreform waren die Steigerung des Verkehrs auf der Schiene, eine Entlastung des Bundeshaushalts sowie die finanzielle Sanierung und Stabilisierung der DB. Was die Ergebnisse waren und welche Strategie für die Schiene die Politik heute verfolgt, fragte Deine Bahn den Beauftragten der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Michael Theurer.

Deine Bahn: Herr Theurer, wurden die Ziele der Bahnreform aus Ihrer Sicht erreicht?

Michael Theurer: Die Bahnreform war eine wichtige und richtige Weichenstellung, mit der zudem europäische Vorgaben unter anderem über eine rechnerische und organisatorische Trennung von Fahrweg und Transportbereichen der Eisenbahnen bei gleichzeitiger Öffnung des Fahrweges für die Benutzung durch Dritte umgesetzt wurden. Die frühere Deutsche Bundesbahn und die nach der Wiedervereinigung hinzugekommene Deutsche Reichsbahn der ehemaligen DDR verloren fortwährend Marktanteile im Modal Split, erforderten steigende Defizitausgleiche aus dem Bundeshaushalt und waren hochgradig verschuldet. Die beiden Staatsbahnen waren in den bestehenden Strukturen nicht mehr in der Lage, ihrer notwendigen Rolle im Verkehrsmarkt gerecht zu werden.

Seit der Bahnreform hat sich die Zahl der Fahrgäste im Schienenpersonennahverkehr nahezu verdoppelt, was eine sehr positive Entwicklung darstellt. Und auch der Schienengüterverkehr konnte seinen Marktanteil seither leicht ausbauen.

Die DB AG startete umfassend saniert, mit einer neuen Kostenstruktur und vom Bund von Schulden und Altlasten befreit. Inzwischen hat sich wieder ein hoher Schuldenberg angehäuft. Die wirtschaftliche Lage des DB-Konzerns ist angespannt, da die im Systemverbund Bahn erwirtschafteten Cashflows nicht ausreichen, die eigenwirtschaftlichen Investitionen zurückzuverdienen und die Schulden abzubauen.

Ein Ziel der Bahnreform war der Börsengang des Unternehmens Deutsche Bahn AG, der kurz vor der Umsetzung abgesagt wurde. War diese Absage aus heutiger Sicht richtig?

Der Börsengang eines Teils der DB AG – vorgesehen dafür war die inzwischen wieder aufgelöste Zwischenholding DB Mobility & Logistics – war kein obligatorischer Schritt, sondern eine Option. Nach entsprechenden Vorbereitungen erschien das Kapitalmarktumfeld Ende der 2000er Jahre für den Bund nicht erfolgversprechend. Danach wurde ein Börsengang nicht mehr weiterverfolgt und in vorangegangenen wie im aktuellen Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart, die DB AG als integrierten Konzern vollständig im öffentlichen Eigentum zu belassen.

Wir haben dort aber auch vereinbart, die internen Strukturen effizienter und transparenter zu gestalten. Die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station&Service) der DB AG wurden innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt. Diese steht zu 100 Prozent im Eigentum der DB als Gesamtkonzern. Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur kommen vollständig der neuen Infrastruktureinheit zugute. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.

Foto: BMDV

Ein wichtiger Treiber für das Verkehrswachstum im Schienenpersonenverkehr war die vollständige Öffnung der Eisenbahninfrastruktur. Dadurch entwickelte sich ein intensiver Wettbewerb auf der Schiene. Führt die Steigerung des Wettbewerbs auf der Schiene auch zu einer Verbesserung des Verkehrsangebots im ländlichen Raum?

Zuständig für den Öffentlichen Personennahverkehr sind die Länder und Kommunen bzw. die von ihnen benannten Aufgabenträger. Diese bestellen die Verkehrsleistungen bei den Verkehrsunternehmen und schließen Verkehrsverträge ab. Dabei fördert der Bund den Wettbewerbsgedanken, er ist aber in die Gestaltung des Angebots und die Abwicklung der Verkehre vor Ort nicht eingebunden. Der Bund unterstützt die Länder im ÖPNV mit finanziellen Mitteln in Milliardenhöhe, insbesondere über das Regionalisierungsgesetz und verschafft ihnen so die Möglichkeit für passgenaue Lösungen auch für den ländlichen Raum. Unterstützung gibt es auch an den Schnittstellen, z. B. mit der Förderung von Fahrradparkhäusern an Bahnhöfen.

Die Einhaltung des „1,5-Grad Zieles“ ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Welche Ziele setzt sich die Verkehrspolitik für die Schiene, um dieses Ziel zu erreichen?

Die Schiene ist energieeffizient, in weiten Teilen elektrifiziert und damit für das Erreichen des Ziels der Klimaneutralität in 2045 essenziell. Wir haben uns deshalb vorgenommen, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr zu verdoppeln und den Marktanteil im Schienengüterverkehr auf 25 Prozent zu bringen. Dafür schaffen wir die infrastrukturellen Voraussetzungen und stellen die dafür notwendigen Mittel bereit. Mit dem Deutschlandticket setzen wir zudem einen gezielten Anreiz für den Umstieg im Personenverkehr. Auch die CO2-differenzierte Lkw-Maut wird einen Beitrag zur Verlagerung leisten. Hinzu kommt, dass deren Einnahmen erstmals auch der Schieneninfrastruktur zu Gute kommen wird.

Infolge der Konsolidierung der Kosten im Zuge des geplanten Börsengangs wurden dringend notwendige Investitionen in das Schienennetz und in neue Fahrzeuge zurückgestellt und nach dem abgesagten Börsengang bis heute nur in deutlich reduziertem Umfang getätigt. Im aktuellen Haushalt wurden die geplanten Investitionen aufgrund der Haushaltsituation ebenfalls wieder gekürzt. Wie können die Klimaziele in den nächsten Jahren erreicht werden, wenn Mittel für die Schiene sinken und gleichzeitig die Ausgaben für den Straßenbau stetig steigen?

Richtig ist, dass die Schieneninfrastruktur von den Vorgängerregierungen dramatisch vernachlässigt wurde, so dass hier ein enormer Aufholbedarf besteht. Der politische Auftrag an das damalige DB-Management war es, den Konzern fit zu machen für einen Börsengang. In Anbetracht geringer Profitabilität und niedrigen Wachstums im Eisenbahnverkehr wurde betrieblich stark rationalisiert, infolge verfehlter Anreize der Infrastrukturfinanzierung durch den Bund die eigene Instandhaltung reduziert und zudem auf Expansion in Auslandsgeschäfte gesetzt.

Falsch ist allerdings, dass die aktuelle Bundesregierung hier Mittel kürzt. Das Gegenteil ist der Fall, wir erhöhen sie deutlich. Dafür wird sich das BMDV auch weiterhin einsetzen. Mit über 30 Milliarden Euro zusätzlichen Mitteln im Vergleich zur bisherigen Planung stellen wir so viel Geld für die Schiene bereit, wie nie zuvor. Das ist das größte Branchenkonjunkturprogramm, das es je gab – trotz angespannter Haushaltslage. Der DB-Konzern konzentriert sich wieder mehr auf das Kerngeschäft. Die europäische Nahverkehrstochter Arriva wurde veräußert, der Verkauf des internationalen Spediteurs und Logistikers Schenker ist in Vorbereitung. Die auf Wachstum ausgerichtete Strategie „Starke Schiene“ steht im Einklang mit den verkehrspolitischen Zielen des Bundes.

Mit der Korridorsanierung gehen wir gezielt die Strecken des Netzes an, die die größte Wirkung auf das Gesamtnetz haben. Der Deutschlandtakt ist das Zielbild für die Schiene der Zukunft. Mit ihm sollen Städte besser miteinander verbunden und Anschlüsse in Regionalnetze verbessert werden. Gleichzeitig schafft der Deutschlandtakt durchgehende Kapazitäten für den Güterverkehr.

Um den Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) am Modal Split in Deutschland stetig zu erhöhen arbeiten wir an einer leistungsfähigen Infrastruktur, dem verbesserten Netzzugang und fördern Modernisierung und Innovation. Dies führt langfristig dazu, dass bestehende Kapazitäten effektiver genutzt werden können, etwa durch eine zunehmende Automatisierung und Digitalisierung des SGV.

Wir haben eine Anschlussförderrichtlinie, mit der wir Infrastrukturmaßnahmen und Netzzugang gezielt fördern. Neubau, Ausbau, Reaktivierung und Ersatz von privaten Gleisanschlüssen, Zuführungs- und Industriestammgleisen sowie multifunktionalen Anlagen neben den Investitionen in die bundeseigene Infrastruktur fördern wir über das Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG).

In Bezug auf die Innovationsförderung engagiert sich die Bundesregierung durch das Bundesprogramm „Zukunft Schienengüterverkehr (Z-SGV)“, um die Erprobung und Markteinführung von Innovationen in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und Fahrzeugtechnik voranzutreiben.

Lange und stetig komplizierter werdende Genehmigungsverfahren und zunehmende Bürokratisierung verzögern den Ausbau und die Instandsetzung des Schienennetzes. Welche Gegenmaßnahmen wollen Sie in den nächsten Jahren ergreifen?

Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Vereinfachung von Verfahren sind ein zentrales Ziel dieser Bundesregierung, das über alle Ressorts hinweg verfolgt wird. Im März 2024 hat das Bundeskabinett das Bürokratieentlastungsgesetz IV beschlossen. Speziell mit Blick auf den Verkehrsträger Schiene werden diese Themen insbesondere auch im Rahmen der Beschleunigungskommission Schiene (BKS) und des Zukunftsbündnis Schiene gemeinsam mit der Branche bearbeitet. So ist bereits am 29. Dezember 2023 das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz (GBeschlG) in Kraft getreten. Derzeit arbeitet das BMDV an einem Moderne-Schiene-Gesetz mit weiteren Maßnahmen zur Vereinfachung von Prozessen sowie zur Planungsbeschleunigung.

Von manchen Verbänden und Institutionen und aus Teilen der Politik wird darüber diskutiert, ob eine „Bahnreform 2.0“ notwendig und sinnvoll wäre. Wie könnte diese aussehen und welche Ziele würden damit verfolgt werden?

Mit der Gründung der gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft DB InfraGO AG zum Jahresbeginn 2024 haben wir bereits die größte Veränderung seit der Bahnreform 1994 auf den Weg gebracht. Für dieses Jahr bleibt als Aufgabe noch die abschließende Ausgestaltung der Steuerungsmaßnahmen, wie der Infraplan.

Die Fragen stellte Udo Warch, Redaktion Deine Bahn.


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