Auf dem 4. Bahnbau-Kongress des Verbands Deutscher Bahn-Ingenieure informierten sich rund 300 Teilnehmende über die Zukunft des Bahnbaus in Zeiten des Klimawandels und Umweltschutzes. Qua Programm bot der Kongress dabei eine dezidiert internationale Perspektive und ermöglichte so einen vergleichenden Blick auf Trends und Entwicklungen bei den europäischen Eisenbahnen.
Judith Engel, Andreas Brunner, Dr. Philipp Nagl und Henri Werdel – gleich vier Infrastruktur-Vorstandsmitglieder aus vier europäischen Ländern konnte der Verband Deutscher Bahn-Ingenieure (VDEI) auf dem Podium des Darmstädter Wissenschafts- und Veranstaltungszentrum „darmstadium“ begrüßen und so einen internationalen Vergleich anstellen: Wie ist es um den Zustand der Schieneninfrastruktur in Österreich, der Schweiz, Deutschland und Luxemburg bestellt, wie soll es in Zukunft weitergehen und welche Mittel stehen dafür bereit? Was läuft gut, was schlecht, und vor allem: Gibt es einen Plan, und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser auch ausgeführt werden wird?
Eröffnung
Dass derlei Fragen aktuell in Deutschland mit Nachdruck gestellt werden, ist kein Zufall, wie VDEI-Präsidentin Prof. Dr.-Ing. Birgit Milius bei der Eröffnung des Kongresses feststellte: Wenn alles glatt abliefe, sei Infrastruktur etwas, was einfach da sei, ohne groß aufzufallen. Inzwischen „störe“ sie aber, weil ihr Zustand eben nicht so sei, wie er sein sollte, konstatierte Milius. Das Problem bestehe vor allem darin, dass die vorhandenen Probleme nicht schnell gelöst werden könnten: Die unsichere Finanzierung, der Nachwuchskräftemangel und die Tatsache, dass die Bahn sich nicht auf den vorhandenen Nachhaltigkeitsvorteilen ausruhen könne, seien enorme Herausforderungen, vor denen die Branche stehe, skizzierte die Lehrstuhlinhaberin für Bahnbetrieb und Infrastruktur an der TU Berlin die gegenwärtige Situation.
Dass es noch viel zu tun gibt, veranschaulichte Ulrike Sieren im Anschluss anhand des Themas Fachkräftemangel: So ist der Anteil an Frauen in der Bahnbranche insbesondere in den technischen Berufen bekanntlich viel zu gering. Ebenso in den Verbänden: Der Anteil im VDEI zum Beispiel liege derzeit bei nur 6 Prozent, sagte Netzwerk-Sprecherin Sieren. Die Bereichsleiterin Leit- und Sicherungstechnik und Telekommunikation bei der DB-Tochter Signon stellte die Aktivitäten der Frauennetzwerke des VDEI und der Allianz pro Schiene vor und warb dafür, die Bemühungen, den Anteil der Frauen in diesen Berufen zu erhöhen, zu intensivieren.
Kongress
Was die Bahnbau-Ingenieure für die Zukunft der Schieneninfrastruktur tun, darüber konnten sich die Kongress-Teilnehmenden in rund 40 Vorträgen an 2 Veranstaltungstagen in jeweils 3 parallelen Panels informieren.
Der Bahnbau-Kongress fand das erste Mal in Darmstadt statt, knüpfte thematisch aber an den iaf-Kongress BahnBau an, der zuvor in Münster beheimatet war. Auch zur Internationalen Fahrwegausstellung (iaf) 2025 in Münster wird nach Angaben des VDEI der Kongress weiter eine enge Verbindung aufrechterhalten.
Folgende thematische Schwerpunkte wurden gesetzt:
- Planen und Bauen mit Building Information Modeling (BIM)
- Innovation im Bahnbau und Bahnbetrieb
- Nachhaltige Baustoffe und Bauelemente im Oberbau
- Einfluss des Klimawandels auf die Schieneninfrastruktur
- Nachhaltige Innovationen von Baumaschinen
- Bahnbau in Forschung und Lehre
Flankiert wurden die beiden Kongresstage mit einem Ausstellungsbereich, in dem Verbände, Unternehmen und Hochschulen ihre Arbeit und Produkte vorstellten.
Schieneninfrastruktur in Europa
Vor dem Beginn der Themen-Panels stand zunächst aber das Thema „Anspruch und Wirklichkeit der Schieneninfrastruktur in Europa“ auf der Agenda. Dazu stellten die genannten Infrastruktur-Vorstandsmitglieder zunächst die Strategien ihrer Unternehmen vor und wurden im Anschluss daran von Dirk Flege noch einmal gemeinsam auf das Podium des „darmstadtiums“ zur Diskussion gebeten (mit Ausnahme von Nagl, der aus terminlichen Gründen kurzfristig durch Stefan Schulte, Leiter Fahrbahn InfraGO und Sprecher des VDEI-Fachausschusses für Oberbau, vertreten werden musste).
Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene und Sprecher des VDEI-Beirats, zeigte sich dabei als gewiefter Diskussionsleiter und verschaffte im Dialog mit seinen Gesprächspartnern den Kongress-Teilnehmenden einen Eindruck darüber, wie in den Ländern Österreich, Schweiz, Deutschland und Luxemburg das Thema Schieneninfrastruktur gesehen und angepackt wird. Konkret bezog sich Flege dafür auf die Frage nach der Vision, die die Unternehmen für die Zukunft ihrer Schieneninfrastruktur verfolgen, und auf die Finanzierungsbedingungen, denen sie unterliegen.
Deutschland
Dr. Philipp Nagl, Vorstandsvorsitzender der DB Netz AG, die seit Jahresbeginn unter DB InfraGO firmiert, machte in seinem Vortrag deutlich, dass die DB auf den Ausbau des Netzes für den Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) und die Digitalisierung bzw. flächendeckenden Einsatz von ETCS (European Train Control System) setzt. So solle aus einem „über Jahrzehnte unterinvestierten, momentan bis zu 25 Prozent überlasteten Netz“ nach Abschluss der derzeitigen Generalsanierung bis zum Jahr 2030 ein wesentlich erweitertes HGV-Netz mit erhöhter Kapazität entstehen.
Gerade weil den Reisenden auf dem Weg zum neuen HGV-Netz einiges abverlangt werde, sei es sehr wichtig, dass sie nach der erfolgten Baumaßnahme auch die Verbesserung spürten, forderte Nagl. Grundsätzlich seien für die Generalsanierung genügend finanzielle Mittel vorhanden; es gebe derzeit aber „zu wenig Menschen und Maschinen“, spielte Nagl auf den Fachkräftemangel und fehlende Kapazitäten in der Bahnbau-Industrie an.
Auf die Rückfrage Fleges, ob die Finanzierung langfristig sicher sei, räumte Nagl ein, dass dies auch von den nächsten Bundestagswahlen im Jahr 2025 abhänge. (Dass der Nachtragshaushalt der Bundesregierung just am Tag nach diesem Statement vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden sollte, konnte er zu diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht wissen.)
Europäische Nachbarn
Nagls Landsmännin Judith Engel von den Österreichischen Bundesbahnen betonte demgegenüber, dass die ÖBB seit 2005 über die Planungssicherheit und den politischen Rückhalt verfüge, um ihre langfristigen Ziele zu erreichen. Bis zum Jahr 2040 soll das Zielnetz im Vergleich zu 2018 um 70 (Personenverkehr) respektive 60 Prozent (Güterverkehr) gewachsen sein. Ihre persönliche Vision sei es, bis 2040 auch ein gemeinsamer europäischer Eisenbahnraum entstehe, aber davon sei man noch ein gutes Stück entfernt, sagte Engel.
Auch Luxemburg arbeitet als vergleichsweise kleines Eisenbahnland an der Verbesserung seiner Schieneninfrastruktur, muss angesichts eines um 85 Prozent gewachsenen Fahrgastaufkommens in den vergangenen 18 Jahren an Leistung und Kapazität aber zulegen, wie Henri Werdel in seinem Vortrag darlegte. Seine Vision gelte neben dieser Aufgabe auch der weiteren Erhöhung der Sicherheit, zum Beispiel durch eine weitere Reduzierung der Bahnübergänge, sagte Werdel.
Andreas Brunner von den Schweizerischen Bundesbahnen legte dar, dass die SBB sich in den kommenden Jahren vor allem auf den Ausbau des Personenverkehrs konzentrieren wolle und dafür zum Beispiel nicht allein in das Schienennetz, sondern auch in die Energie- und Telekommunikationsnetze investieren wolle, um die Klimavorteile des Verkehrsträgers noch stärker zum Tragen zu bringen. In der Schweiz sei der Öffentliche Verkehr das Rückgrat der Volkswirtschaft, und dementsprechend seien die Finanzierungssicherheit und der Stellenwert der Schiene dort sehr hoch, betonte Brunner.
Rückhalt und Akzeptanz
Angesichts solcher konkreten Pläne und festen Fundamente, über die die Bahnen der drei Nachbarländer verfügen, konnte Diskussionsleiter Dirk Flege nur konstatieren, dass auch dahingehend in Deutschland noch einiges zu tun ist: „Wir haben im Vergleich dazu zwar ein paar Ziele, aber keine verkehrsübergreifende Absprungbasis“, resümierte er. Die Neuformierung der beiden Eisenbahninfrastrukturunternehmen DB Netz AG und DB Station&Service AG zur InfraGO AG mache dahingehend Hoffnung, aber auch hier gebe es viele ungelöste Fragen – so zum Beispiel die nach dem Zielkonflikt zwischen Gewinnerwartung und Gemeinwohlorientierung. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass ersteres von Seiten des Staates weder in Luxemburg noch in Österreich oder der Schweiz existiert.
Fazit
Einen solchen politischen und gesellschaftlichen Rückhalt wünschten sich die Bahnbau-Ingenieure auch, das wurde auf der Podiumsdiskussion und auf dem Bahnbau-Kongress insgesamt deutlich. Ohne die Akzeptanz und die konkrete Unterstützung des Systems Bahn könnten die bestehenden Herausforderungen nicht bewältigt werden. Der VDEI wolle sich deshalb verstärkt „dafür einsetzen, dass Lösungen gefunden werden, mit welchen langfristige Sicherheit in der Planung und Finanzierung geschaffen werden können“, lautete das Fazit.
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