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Fachtagung SchienenNah 2025

Schienenbranche übt den Schulterschluss

Gemeinsam nach vorne schauen: Die Verbände präsentieren ihre Forderungen auf dem Treff. SchienenNah 2025 (Foto: AVP Berlin/Alexander Doehring)

Auf dem „jährlichen Klassentreffen“ der Nahverkehrsbranche in Fulda präsentierten sich die maßgeblichen Verbände und Akteure in großer Geschlossenheit und richteten ihre Appelle an die Politik. Um die Aufgaben der Zukunft zu stemmen, suchen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen den Dialog und geben sich selbstkritisch. Ins Handeln kommen, und das gemeinsam, lautet die Devise.

Es war ein klares Signal kurz vor der Bundestagswahl: Vertreter*innen aller großen Interessenverbände des Schienenverkehrs in Deutschland wandten sich gemeinsam an das Publikum, einschließlich der Bahnindustrie und der Güterbahnen – ein Novum auf der Fachtagung des Bundesverbands Schienennahverkehr (BSN), das über das übliche Spektrum der Veranstaltung hinausging.

„Für eine zukunftsgerichtete Neuorganisation und Finanzierung des ÖPNV“ lautete der Titel des Papiers, das die Präsidenten von BSN, VDV und mofair, Thomas Prechtl, Ingo Wortmann und Martin Becker-Rethmann, den etwa 400 Gästen im Saal vorstellten. Es war gewissermaßen ein Update und eine Ergänzung der zuvor veröffentlichten Kernforderungen an die Politik, die neben den drei genannten Verbänden auch vom Bahnindustrieverband VDB, den Güterbahnen, der Allianz pro Schiene, dem Verkehrsclub VCD und dem Wagenhalterverband VPI unterzeichnet wurde (den sogenannten G8).

„Den Herausforderungen, die jetzt vor uns liegen, können wir nur gemeinsam begegnen“, so betonte Thomas Prechtl schon in seinem Eingangsstatement das Credo der diesjährigen Tagung, die gut eine Woche vor den vorgezogenen Neuwahlen stattfand. Im Anschluss standen Vertreter*innen der „G8“ gemeinsam auf der Bühne.

Infrastruktur-Finanzierung im Fokus

So forderte Pauline Maître vom VDB, dass unter anderem eine verlässliche und überjährige Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen mindestens über die nächste fünf Jahre sichergestellt werden müsse. Ein Ausbaukonzept für die gesamte Verkehrsinfrastruktur mit langfristig gesicherter Finanzierung mittels eines Fonds wünscht sich auch der BSN – das im März beschlossene Sondervermögen dürfte aus Branchensicht in die richtige Richtung gehen und wurde dementsprechend wohlwollend von den Verbänden kommentiert.

mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen ergänzte, dass die aktuelle Praxis der eigenkapitalbasierten Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen durch die Deutsche Bahn beendet werden müsse, weil diese unweigerlich große Auswirkungen auf die Trassenpreisgestaltung habe. Wolfgang Groß von „Die Güterbahnen“ warnte vor den angedrohten Kostensteigerungen bei den Trassenpreisen von bis zu 30 Prozent, die der Leistungssteigerung im Güterverkehr entgegenstehe. Schließlich wolle man bis 2030 den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von 20 auf 25 Prozent steigern.

Der VDV-Geschäftsführer für den ÖPNV, Alexander Möller, verwies darauf, dass es immer leicht sei, mehr Geld zu fordern, das auch unbedingt benötigt würde. Mindestens ebenso wichtig sei jedoch auch das Etablieren eines neuen Mindsets bei den politischen Verantwortlichen für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV): „Wir brauchen einen Treiber bei der Priorisierung für die öffentliche Mobilität, für den Güterverkehr und im Personenverkehr. Aus unserer Sicht kann und muss das die neue Bundesregierung sein.“ Das schließe ausdrücklich mit ein, nicht nur das Thema, sondern auch die Branche selbst mit anzutreiben. Vor allem bei der Integration der Angebote im SPNV sei ein Mehr an Zusammenarbeit wünschenswert, so Möller.

Politische Unterstützung ist der Schlüssel

Und auch die adressierte Politik selbst durfte in Fulda live zu den Forderungen Stellung nehmen: Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, entgegnete in seiner Replik, dass in den vergangenen drei Jahren und in Zusammenarbeit mit der Bahnbranche noch nie so viel Geld in die Schiene gepumpt worden sei wie jetzt. „Dieser Erfolg darf nicht durch abbrechende Finanzströme gefährdet werden.“ Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, die nächste Legislatur nicht mit einer umfassenden Strukturdebatte zu verbringen, ob eine Trennung von Netz und Betrieb sinnvoll sei. Würde man eine solche Debatte jetzt führen, verlöre man die nächsten vier Jahre, so Bartols Einschätzung.

Auch zur Ausgestaltung des künftigen Trassenpreissystem nahm Bartol Stellung: „So wie es jetzt ist, kann es nicht funktionieren. Das Thema muss die nächste Koalition ganz vorne auf der Agenda haben. Sonst verliert die Bahnbranche massiv ihre Wettbewerbsfähigkeit.“ Zugleich erinnerte er daran, dass die Bahnbranche selbst in Sachen Innovation noch nicht am Ende sei und gab damit indirekt den Auftrag zurück, selbst weiter nach neuen Lösungen für die Herausforderungen zu suchen. Zum Deutschlandticket bekannte sich Bartol klar: „Das muss so bleiben, wie es ist.“

Mit dem Maß der langfristigen politischen Unterstützung fällt und steht alles, so auch das Fazit der Unternehmensberaterin Katharina Kleinlein. Sie hatte in ihrem Vortrag eine Reihe von Szenarien für die Zukunft der Schiene bis 2035 aufgezeigt, die Trendforscher auf Basis des Inputs der wichtigsten Akteure aus dem Sektor erstellt haben. Die „Sustainable Railconomy“ – ein integriertes nachhaltiges Verkehrssystem mit der Schiene als Herzstück – war dabei das Szenario, das unter den live befragten Tagungs-Teilnehmenden am beliebtesten war, dessen Realisierung aber unter derzeitigen Bedingungen als am wenigsten wahrscheinlich eingeschätzt wurde.

Mit der Zukunft der Infrastruktur befassten sich der DB-Konzernbeauftragte für die Gemeinwohlorientierung Tobias Heinemann und Philip Nagl, Vorstandschef von InfraGO. Heinemann plädierte dafür, dass der Bund die Strategie und Ziele für die Netzentwicklung vorgibt; gab aber etwas überraschend zu Protokoll, dass ein Fonds zur Finanzierung eine mögliche, aber für die DB nicht die zwingend erforderliche Lösung sei. Nagl sprach sich dafür aus, die Trassenpreise an die Inflation zu koppeln, und betonte, die Steigerungen der letzten Jahre seien nie höher als die Inflationsrate ausgefallen. Beim Zustand des Schienennetzes sieht Nagl eine bevorstehende Trendwende – die im Infrastrukturbericht des Konzerns veröffentlichten Zustandsnoten hätten sich zuletzt nicht mehr verschlechtert.

Große Aufgaben stehen an: Das Publikum in Fulda aus der Perspektive von Gastgeber und BSN-Präsident Prechtl (Foto: AVP Berlin/Alexander Doehring)

Angebote machen statt nur zu kritisieren

In der abschließenden Podiumsdiskussion ging es um die Fragestellung, wie künftig der Wettbewerb im SPNV vor dem Hintergrund des aktuellen Welt- und Klimageschehens und immer enger werdenden finanziellen Spielräumen gesichert werden kann. Es diskutierten mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann, Dr. Sabine Stock, Vorständin der ÖBB-Personenverkehr, Dr. Jan Schilling, Vorstand Marketing bei DB Regio, Peter Panitz, Geschäftsführer der Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt und Jan Görnemann, Sprecher der Geschäftsführung des BSN.

In der Diskussion kamen weitere Gesichtspunkte hinzu, wie die aus Sicht der Branchenvertreter ausufernde Bürokratie und Regelungswut, die sich unter anderem im stetig wachsenden Umfang der Verkehrsverträge zeigt, die zu geringe Attraktivität der Schienenbranche als Arbeitgeber oder Mängel in der Steuerung, wenn es um Kosteneffizienz und die Verwendung von Mitteln geht.

Dabei war durchaus Raum für Selbstkritik: EVU und Aufgabenträger sollten bei sich selbst ansetzen, statt nur auf andere zu zeigen, sagte Regio-Vertreter Schilling. Die Branche sei sich einig in der Diagnose der Probleme, müsse aber ins Handeln kommen und der Politik konkrete Angebote für Veränderungen machen.

Dem schloss sich BSN-Geschäftsführer Görnemann an, der sich dafür aussprach, stärker mit Akteuren auf Bundes- und Länderebene über die gegenseitigen Erwartungen ins Gespräch kommen. Die Verbände seien ihrerseits offen für strukturelle Fragen, etwa was die Anzahl von Gremien, Standardisierung oder die Aufgabenverteilung zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen betrifft.

Gegen Ende rief Görnemann die schon oft auf solchen Veranstaltungen geäußerte Ermutigung in den Saal, dass die Branche bei allen Sorgen positiver über sich selbst sprechen solle, sie sei schließlich von der Gesellschaft gewünscht und eine Wachstumsbranche – in einem Satz: „Wir sind die Guten“.


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