Die Initiative metropa stellt eine umfassende Nachtzugkarte Europas vor – wie es dazu kam, was das eigentlich soll und was dahinter steckt, das berichtet der Autor und Gründer in diesem Beitrag.
Metropa ist ein (noch) kleiner Verein, gegründet von Künstler*innen, Designer*innen und Wissenschaftler*innen mit einer bereits respektablen Anzahl an Fans und Unterstützer*innen. Die Mitwirkenden nennen sich Metropisten und wollen vor allem zwei Dinge: die Mobilität der Zukunft nachhaltiger und sozialverträglicher gestalten und damit dem europäischen Einigungsprozess auf die Sprünge helfen. Beides zusammen geht, ja es ist sogar miteinander aufs Engste verbunden, wenn man europäisch denkt. Deshalb hat metropa vor kurzem eine umfassende Karte des derzeitigen europäischen Nachtzugnetzes (Abbildung 2) veröffentlicht.
Begonnen hat metropa mit einer Utopie. Als vor etwa drei Jahren der erste Plan (Abbildung 1) eines europäischen Superschnellbahnnetzes im Netz zu kursieren begann, war die Aufmerksamkeit groß, denn so etwas gab es damals noch nicht. Ein kühner Entwurf genau zur richtigen Zeit, als die Grenzkontrollen an den Außengrenzen wieder einmal für Schlagzeilen sorgten, alle Reisen nach und nach durch die Pandemie unmöglich wurden und obendrein das Thema Klimawandel endlich auf der politischen Agenda angekommen war.
Damals sahen die Menschen metropa als Lichtblick einer zwar fernen, doch nun vorstellbaren Zukunft, wie der europäische Verkehr und Europa im Ganzen denn aussehen könnten. Die Initiative veröffentlichte den Plan in unzähligen Medien, gab Interviews und Vorträge, war letztes Jahr sogar auf der InnoTrans in Berlin. Doch die Grafik blieb zunächst eine Utopie.
Der steinige Weg zum Nachtzug-Plan
Der Nachtzugplan (Abbildung 2) ist hingegen eine Abbildung der Wirklichkeit. Doch der Weg dorthin war steinig, was viel über die derzeitige Situation im europäischen Eisenbahnverkehr aussagt.
Am Anfang stand der Wunsch, den immer populärer werdenden Nachtzuglinien Rechnung zu tragen und sie mit der ursprünglichen metropa-Karte zu vergleichen. Ganze vier gemeinsame Linien fanden sich in beiden. So beschloss metropa, eine eigene Nachtzugkarte herauszubringen, in der eigenen Darstellungsweise, gewissermaßen also eine Schnittmenge aus Utopie und Wirklichkeit.
Die Recherche stellte sich als äußerst verzwickt heraus. Nicht nur gibt es keine verlässliche zentrale Plattform, die alle Ergebnisse liefert, man muss auf viele verschiedene, teilweise fragwürdige Suchmaschinen zurückgreifen, die jedoch unterschiedliche und widersprüchliche Ergebnisse ausspucken. Auch die Websites der Betreibergesellschaften waren veraltetet und unzuverlässig, selbst bei ihren eigenen Zügen (mit einer einzigen Ausnahme, der ÖBB). Die größte und auch nervtötendste Arbeit war also, valide Daten zu sammeln, die in diesem Netz abzubilden waren, insgesamt über 90 Linien.
Das Design selbst hat hingegen wie immer großen Spaß gemacht. Zur Anwendung kam wieder die Methode der Abstraktion, denn der europäische Kontinent in seiner etwas unförmigen Art eignet sich denkbar schlecht für schematische, maßstabs- und geografisch getreue Darstellung in papier- und onlinegeeignetem Format.
Und so fügte sich nach und nach der ganze Plan zusammen. Vieles war zum Staunen: zum Beispiel die große Dichte an Nachtzügen in Polen. Auf der iberischen Halbinsel hingegen gibt es (zurzeit) keinen einzigen Nachtzug! Finnland ist – wenn man von der gekappten Verbindung nach St. Petersburg absieht – vom Rest isoliert, genauso wie der Großteil Norwegens. Durch den Eurostartunnel fährt kein Nachtzug. Nordsüd-Verbindungen innerhalb Deutschland z. B. von Berlin oder Hamburg nach München sucht man vergebens. Und Frankreich… nun ja, sehen Sie selbst.
Sechs Wochen lang dauerte die Recherchearbeit, zahllose Expert*innen, Vielreisende, Planer*innen und Blogger*innen wurden befragt. Und bis heute gibt es keine Garantie, dass nicht doch die eine oder andere Linie sprichwörtlich über Nacht verändert, gestrichen oder umbenannt wird. Es gibt keine zentrale Instanz, die dieses schöne, wilde und doch menschengemachte Geflecht aus Zügen beaufsichtigt, pflegt und darüber Bescheid weiß – von Gesamtverantwortung ganz zu schweigen.
So zwangen die Gegebenheiten auch zu vielem Nachdenken. Viele dieser Züge gibt es schon lange, sie folgen alten Traditionen, die im Zuge der Motorisierung und „Verflugung“ unserer Mobilität immer weiter aufgegeben wurden. Heute werden sie wiederentdeckt und wiederbelebt, es gibt einen regelrechten Nachtzugboom.
Österreich an der Spitze der Bewegung
Die ÖBB hat sich mit ihrer mutigen, damals antizyklischen Einkaufspolitik an die Spitze einer Bewegung back-to-the-future gesetzt, was sich auch visuell auf unserer Karte niederschlägt. Die österreichische Hauptstadt Wien ist das absolute Nachtzug-Zentrum Europas. Da will noch jemand sagen, Verkehrspolitik sei kein Macht- bzw. Repräsentationsfaktor. Fünf weitere österreichische Städte strahlen als dicke schwarze Punkte im Zentrum des Plans als die neue Mitte Europas.
Doch auch Italien – wie auch Polen – ist eindrucksvoll gut aufgestellt, wenn es um Nachtzüge geht. In der Recherche kompliziert, füllt es fast den ganzen Stiefel aus und bildet ihn auch trotz Abstraktion optisch auf der Karte ab.
What you see is what you get – man sieht es halt bloß nirgends. Also existiert es auch nicht. Vergeblich sucht man auf Bahnhöfen und im Internet nach Gesamtdarstellungen Europas, wenn es um Züge geht. Das ist natürlich beim Tagesverkehr sehr unübersichtlich und auf Papier sowieso unmöglich. Aber hier geht es um die Nacht, und siehe da, es klappt. Also nichts wie an jede Bahnhofswand damit. Damit wir endlich sehen, was es schon alles gibt. Dann ist auch der Weg zum geeinten Europa nicht mehr weit, so wie er im ursprünglichen metropa-Plan skizziert ist.
Politik, Betreiber und Fahrgäste einbinden
Die Arbeit von metropa besteht insofern also nicht nur darin, eine Gegebenheit abzubilden und sichtbar zu machen, sondern auch alle Beteiligten dafür zu sensibilisieren und in den Prozess einzubinden. Da ist zuvorderst die EU als erste Instanz überstaatlicher europäischer Belange. Metropa hat diesen Plan deshalb auch an alle Parlamentarier*innen geschickt. Ihre Aufgabe wäre es, als Vertreter*innen ihrer Länder und nicht zuletzt Wähler*innen die politischen Voraussetzungen für eine Weiterentwicklung der Bahnnetze in Europa zu schaffen.
Dann gibt es die Bahngesellschaften, deren Züge dieses Netz befahren sollen und deren Infrastruktur auch für andere zur Verfügung stehen soll. Leider verstehen sie sich zugleich auch als die Hüterinnen ihres Datenschatzes und wirtschaftlich agierende Unternehmen – was nicht immer im Sinne ihres allgemeinen Mobilitätsauftrags ist, siehe Suchmaschinen.
Und zu guter Letzt die Fahrgäste. Sie benutzen die Netze, also die technische sowie die datenbasierte Infrastruktur, um von A nach B zu gelangen. Ihre Hauptaufgabe in diesem Setting ist es, Leistungen einzufordern und Möglichkeiten zu erkennen.
Und da es schließlich eine Initiative für grenzenlose und nachhaltige Mobilität ist, richtet sich metropa aufgrund der aktuellen Erfahrungen mit den europäischen Nachtzügen mit ein paar Forderungen an diese Akteure:
- Das Netz muss vereinfacht und besser aufeinander abgestimmt werden
- Redundanzen müssen verringert, Strecken zusammengelegt und Lücken geschlossen werden
- Es braucht eine einheitliche, zuverlässige, aktuelle Such- und Buchungsplattform, am besten von einer zentralen Stelle (wie die EU)
- Das Netz muss ganz Europa umfassen, das Angebot an Zügen und Plätzen erweitert werden
- Die Preise müssen sinken
Ein Aufruf
Die Nachtzüge sind schon heute ein wichtiger Baustein der Verkehrswende im europäischen Kontext. Sie könnten zum Leitstern der europäischen Bahnpolitik werden, ein Experimentierfeld, auf dem man vieles ausprobieren kann, bevor man es im engen Tagesnetz umsetzt. Es ist an den Regierungen der Länder, den Bahngesellschaften und den zahlenden Fahrgästen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und durch die europäische Nacht in die Zukunft zu reisen.
Mehr zu metropa:
www.metropa.eu
Ab sofort kann man metropa auch als Mitglied beitreten bzw. für die Initiative spenden!
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