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Gemeinwohlorientierte Infrastruktur

Paradigmenwechsel für mehr Qualität und Kapazität

Foto: DB AG/Markus Kehnen
Foto: DB AG/Markus Kehnen

Die Infrastruktur der Deutschen Bahn soll gemeinwohlorientiert ausgerichtet werden, so hat es die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Ein modernes, zukunftsfähiges Netz mit leistungsfähigen Bahnhöfen ist für unser Land, unseren Wohlstand und für den Klimaschutz wichtige Voraussetzung. Dabei ist der Auftrag klar definiert: Die Verdopplung des Personenverkehrs, der Ausbau des Marktanteils im Schienengüterverkehr von 19 auf 25 Prozent und die Umsetzung des Deutschlandtakts. Von einer leistungsfähigen Eisenbahninfrastruktur profitieren somit Menschen, Wirtschaft und Umwelt – ganz Deutschland und Europa.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung festgehalten, dass die „Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) der Deutschen Bahn AG (…) innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt“ werden. Aber was versteht man konkret unter einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur?

Klar ist: Gemeinwohlorientiert ist nicht zu verwechseln mit gemeinnützig. Gemeinwohlorientierte Infrastruktur heißt, dass wir deren Bewirtschaftung und Ausbau konsequent an den Bedürfnissen unseres Landes ausrichten: der Bürger*innen, der Umwelt, der Wirtschaft. Dabei steht das Ziel, mehr Personen und Güter auf die Schiene zu bringen und damit einen starken Beitrag zum Kilmaschutz zu liefern, an erster Stelle.

Im Vordergrund stehen also nicht Partikularinteressen und auch nicht möglichst hohe Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Im Vordergrund stehen die verkehrspolitischen Ziele, wonach die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppelt, der Deutschlandtakt realisiert und der Marktanteil des Schienengüterverkehrs von heute 19 auf 25 Prozent ausgebaut werden soll – für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor.

Modernisierung aus einem Guss statt Stückwerk: Bauarbeiten an der geplanten Hochleistungstrasse auf dem Streckenabschnitt Nürnberg–Ebensfeld
Modernisierung aus einem Guss statt Stückwerk: Bauarbeiten an der geplanten Hochleistungstrasse auf dem Streckenabschnitt Nürnberg–Ebensfeld (Foto: DB AG/Oliver Lang)

Generalinventur zeigt gravierende Mängel im Netz

Auf Basis dieser Ziele haben wir uns im nächsten Schritt genau angesehen, wo wir aktuell stehen, und haben das Schienennetz erstmals einer umfassenden Generalinventur unterzogen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nach der Schulnotenlogik ist der Zustand qualitätskritischer Anlagen wie Stellwerke, Weichen oder Bahnübergängen gerade einmal befriedigend, teilweise sogar deutlich schlechter. Dies ist das Resultat eines massiven Investitionsrückstaus von aktuell rund 90 Milliarden Euro.

Auch im europäischen Vergleich hinkt das deutsche Schienennetz hinterher: Die Anlagen der schweizerischen SBB und der österreichischen ÖBB erhalten deutlich bessere Zustandsnoten, weil beide Länder schon seit vielen Jahren deutlich mehr in ihre Schieneninfrastruktur investieren als Deutschland. Alle, die heute auf der Schiene unterwegs sind oder Güter transportieren, wissen, dass es nicht rund läuft.

Bei Gemeinwohlorientierung geht es immer um einen Ausgleich von Interessen“

Strukturelle Defizite klar erkennen

Aus meiner Sicht liegt die Ursache für den aktuell schlechten Zustand vor allem in strukturellen Defiziten begründet.

1. Unterfinanziert und überkomplex

Die Investitionen, insbesondere in die bestehende Infrastruktur, waren zu gering, um die Alterung der Anlagen zu stoppen und die Qualität auf das erforderliche Niveau zu heben. Zudem ist die Finanzierungslogik so komplex, dass schnelle und pragmatische Lösungen kaum möglich sind. So ist aktuell eine Kombination von Ersatz- und Instandhaltungsmaßnahmen nicht möglich, da diese unterschiedlichen Finanzierungsregimen unterliegen. Das Ergebnis ist, dass wir in einem permanenten Reparaturmodus sind und unzählige Baumaßnahmen, oft immer wieder an der gleichen Stelle, durchführen, die wiederum Züge ausbremsen und die Pünktlichkeit drücken, besonders auf den ohnehin hochbelasteten Strecken.

2. Steuerungslogik auf Finanzziele fokussiert

Hinzu kommt, dass die Infrastruktur bei zu geringen Mitteln trotzdem auf die geforderten Finanzziele hin gesteuert werden musste. Eine marktübliche Eigenkapitalrendite, testiert von der Bundesnetzagentur, schränken den Spielraum ein, Kapazität und Qualität hatten zu oft das Nachsehen. Ganz konkret: Im reinen „Reparaturbetrieb“ erzielt man keine Kapazitätsgewinne, oft hat eine Strecke nach der Sanierung aufgrund neuer rechtlicher Vorgaben sogar weniger Kapazität als vorher. Bahnhöfe und ihr Umfeld werden oftmals in Einzelschritten erneuert, was Dauerbaustellen zur Folge hat und ein entsprechend schlechtes Kundenerlebnis. Zudem sind heute große Teile der Bahnhöfe gar nicht förderfähig.

3. Keine Gesamtbetrachtung der Infrastrukturmaßnahmen

Ergebnis der vorgenannten Punkte (Steuerungslogik und Finanzregime) ist zudem, dass die Effekte von Bestandserneuerung, Digitalisierung sowie Neu-/Ausbau nicht gesamtheitlich gemanagt werden. Es gibt keinen Gesamtbebauungsplan, sondern unterschiedliche Töpfe mit unterschiedlichsten Förderbedingungen, die separat bewirtschaftet werden. Da wir nicht aus einem Guss planen konnten, ist gewissermaßen ein Stückwerk entstanden.

Deshalb gilt es, vieles von Grund auf neu zu denken und zu verändern. Es geht nicht nur um mehr Geld oder eine interne Strukturveränderung bei der DB. Gemeinwohlorientierung beinhaltet vielmehr ein umfassendes Reformpaket und ein Gesamtprogramm zur Erneuerung und Modernisierung, das die gesamte Infrastruktur umfasst: von den Bahnhöfen und Rangieranlagen über das Flächen- bis hin zum Hochleistungsnetz. Deshalb bringen wir gemeinsam mit dem Bund die erforderlichen Schritte auf den Weg.

Ziele und Maßnahmen der gemeinwohlorientierten Infrastruktur
Ziele und Maßnahmen der gemeinwohlorientierten Infrastruktur (Quelle: DB AG)

Gesamtprogramm der neuen Infrastrukturgesellschaft

Hoch verfügbar und digital verdichtet

Bis zum Jahr 2030 will die DB ein 9.400 Kilometer langes Hochleistungsnetz aufbauen. Hierzu gehört die Generalsanierung von rund 4.200 Streckenkilometern im hochbelasteten Teil des Schienennetzes bis 2030. Es gibt kein Stückwerk mehr. Alles wird aus einem Guss modernisiert und erneuert – vom verlängerten Bahnsteig bis zum digitalen Stellwerk. Weitere 5.200 Kilometer sollen so ertüchtigt werden, dass der Zustand dieser Strecken einer Durchschnittsnote von 2,5 und besser genügt. Darüber hinaus starten Bund und DB eine Initiative für schnelle Kapazitätserweiterung mit über 350 kleinen und mittleren Maßnahmen bis 2030. Durch zusätzliche Maßnahmen wird auch der Zustand des Flächennetzes verbessert.

Die Generalsanierung der hochbelasteten Streckenabschnitte beginnt 2024 mit der Riedbahn zwischen Frankfurt/Main und Mannheim. Im Jahr 2025 folgen die Korridore Hamburg–Berlin und Emmerich–Oberhausen. Damit schaffen wir Planungssicherheit für alle Beteiligten. Darüber hinaus sollen bis 2030 rund 40 Prozent des Schienennetzes mit dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS ausgestattet werden, ein unverzichtbarer Schritt für die weitere Steigerung der Kapazität im Gesamtnetz.

Für alle zugänglich

Wir werden alle Stationen entlang der Hochleistungskorridore entwickeln sowie zahlreiche weitere Bahnhöfe in den Regionen zu modernen Mobilitätsdrehscheiben, sogenannten Zukunftsbahnhöfen, ausbauen. Es geht um einen attraktiven Zugang zur Schiene für mehr als die Hälfte aller Reisenden. Außerdem wird angestrebt, 150 Serviceeinrichtungen im gesamten Netz auszubauen, um die Kapazität und Wettbewerbsfähigkeit der Schiene sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr zu steigern.

Gezielt erweitert

Aus- und Neubau sowie Elektrifizierung werden weiter vorangetrieben. Bis 2030 will die DB ca. 750 zusätzliche Gleiskilometer bauen.

Eine noch verhüllte Eisenbahnbrücke bei Forchheim vor dem Einbau
Eine noch verhüllte Eisenbahnbrücke bei Forchheim vor dem Einbau (Foto: DB AG/Claus Weber)

Mehr Mittel und verlässliche Finanzierung

Die Eisenbahninfrastruktur soll signifikant mehr Mittel erhalten, um den Investitionsstau der vergangenen Jahrzehnte abzubauen und das Netz ebenso wie die Bahnhöfe zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Der Koalitionsausschuss hat sich am 28. März 2023 darauf verständigt, die Modernisierung des Schienennetzes und den notwendigen Kapazitätsausbau für den Personen- und Güterverkehr zu beschleunigen und damit die Umsetzung des Deutschlandtaktes voranzubringen. Die Kapazitäten für den kombinierten Verkehr werden modernisiert und ausgeweitet.

Die Deutsche Bahn benötigt zur Deckung des Investitionsbedarfs bis zum Jahre 2027 rund 45 Milliarden Euro zusätzlich. Dieser weitere Investitionsbedarf soll, soweit finanziell darstellbar, unter anderem durch den Einsatz von anteiligen Einnahmen aus dem CO2 -Zuschlag der Lkw-Maut gedeckt werden. In den laufenden und künftigen Haushaltsberatungen setzen sich Bund und Branche dafür ein, dass der Mittelzuwachs fortgesetzt wird und die Bedarfe zur Erreichung der verkehrspolitischen Ziele abgedeckt werden.

Vereinfachung der Finanzierungsstruktur

Die Finanzierungsregeln für die Eisenbahninfrastruktur sollen vereinfacht werden. Der Bund plant die zuwendungsfähigen Sachverhalte deutlich zu erweitern, etwa auf Instandhaltung und Digitalisierung. Diese notwendige Veränderung hat auch die Beschleunigungskommission Schiene in ihrem Abschlussbericht betont. Hierfür sollen durch eine Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Aus Sicht der Bundesregierung sind außerdem eine erhöhte Transparenz und proaktive Steuerung der gemeinwohlorientierten Infrastruktur zentral. Mit der Einführung einer jährlich rollierenden mehrjährigen Mengen-, Maßnahmen- und darauf abgestimmten Finanzplanung soll sich die Planungssicherheit für DB und Baubranche erhöhen. Auch die Steuerungsmöglichkeiten für den Bund werden größer.

Die neue Infrastrukturgesellschaft der DB soll jährlich auf Grundlage eines Mehrjahresplans Rechenschaft über den Fortschritt in der Erreichung ihrer Ziele und die Umsetzung der geplanten Maßnahmen ablegen. Der Bund stärkt zudem seinen Einfluss mit Einrichtung der Steuerungsgruppe im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, die insbesondere mit der Steuerung der Infrastruktur sowie dem Aufbau der gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft befasst ist.

Die konkrete Ausgestaltung von Kennzahlen, Berichten und Steuerung wird von unabhängigen Gutachtern in den nächsten Monaten im Auftrag des Bundes entwickelt. Gleichzeitig hat die DB den Auftrag, die internen Voraussetzungen für die Zusammenlegung der Gesellschaften zum Jahresbeginn 2024 zu schaffen.

Zeitplan zum Aufbau der gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft
Zeitplan zum Aufbau der gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft (Quelle: DB AG)

Die Schiene gemeinsam nach vorne bringen

Die Grundzüge der neuen Eisenbahn-Infrastruktur sind damit klar. Und wir werden weiter im Gespräch bleiben: Bei Gemeinwohlorientierung geht es immer um einen Ausgleich von Interessen. Und das bedeutet mehr Dialog, mehr Diskussion, mehr Transparenz. Deshalb ist uns der Dialog mit der Branche – von Eisenbahnverkehrsunternehmen über Aufgabenträger und Industriekunden bis hin zur Bauwirtschaft – ein besonderes Anliegen.

Die Aufgaben, die vor uns stehen, werden wir nur gemeinsam schaffen, mit viel Einsatz und Verständnis für andere Positionen. Das wird kein einfacher oder bequemer Weg sein. Aber es ist der einzige Weg, um die Schiene zu stärken, mehr Menschen und Unternehmen von der Eisenbahn zu überzeugen und damit klimafreundliche Mobilität voranzubringen.


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