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Eisenbahnrechtliche Fachtagung 2023

Infrastruktur-Reform: Time to GO?

Prof. Jürgen Kühling von der Uni Regensburg stellt das Sektorgutachten Bahn der Monopolkommission vor
Prof. Jürgen Kühling von der Uni Regensburg stellt das Sektorgutachten Bahn der Monopolkommission vor (Foto: Bundesnetzagentur)

Etwa 150 Juristen, Wissenschaftler und Vertreter von Behörden und Bahnunternehmen waren im November der Einladung von Bundesnetzagentur und Universität Regensburg nach Berlin gefolgt, um über „Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts“ zu beraten, so der Titel der Konferenz. Thematisch nahmen dabei das Kapazitätsmanagement im Schienennetz und insbesondere die neue Infrastrukturgesellschaft der Bahn einen großen Raum ein. Was diese Gesellschaft bringen wird und ob die Reform weit genug geht, darüber gingen die Meinungen auseinander. Fest stand dagegen: InfraGO kann nur ein Anfang sein.

Pünktlich zum ersten Konferenztag war in Karlsruhe die Bombe geplatzt: Die obersten Richter erklärten den zweiten Nachtragshaushalt der Bundesregierung für verfassungswidrig, Knackpunkt war eine unzulässige Verschiebung nicht ausgegebener Coronahilfen in den Klima- und Transformationsfonds. Aus diesem Fonds stammen auch Mittel für den Schienenausbau, weshalb die Nachricht für regen Gesprächsstoff unter den Teilnehmenden sorgte. Neben Ratlosigkeit und Überraschung wurde vor allem die Hoffnung geäußert, dass dringend notwendige Modernisierungsvorhaben auch weiterhin ausreichend finanziell ausgestattet werden und nicht unter die Räder dieser unerwarteten Haushaltskrise geraten. Dazu kam noch ein kurzfristig angesetzter Streik der Lokführergewerkschaft, der dafür sorgte, dass einige Konferenzbesucher einen Tag mehr in der Hauptstadt verbringen mussten als geplant.

Kapazitätsmanagement im Schienensektor: Europa setzt den Rahmen

Ganz nach Plan lief dagegen das Programm der Konferenz. Zu wenig Qualität und Kapazität – so fasste Kathrin Obst von der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der EU-Kommission den Zustand des deutschen Bahnsystems in ihrem eröffnenden Vortrag zusammen. Brüssel spielt bekanntlich als Taktgeber im Schienensektor eine immer größere Rolle, und so ist auch eine Kapazitätsverordnung entstanden, deren Entwurf im Sommer vergangenen Jahres vorgestellt wurde und deren Grundzüge und Ziele die Referentin in Berlin erläuterte.

Mit dieser Verordnung will die EU für effektivere Prozesse, bessere Abstimmung und mehr Transparenz und Qualität auf der Schiene sorgen, freilich in allen Mitgliedsländern. Wir müssten heraus aus dem starren Muster der Trassenvergabe hin zu mehr Planbarkeit, betonte Obst. Dazu gehört auch eine adäquate Kontrolle und Überwachung der nationalen Infrastrukturbetreiber, welche nach dem Willen Brüssels stärker strategisch agieren sollen, durch die für Regulierung zuständigen Stellen, in Deutschland die Bundesnetzagentur. Aufgrund der langwierigen Verhandlungen, aber auch der in diesem Jahr anstehenden europäischen Wahlen wird die Verordnung nicht vor 2025 verabschiedet werden können.

Direkt an den Vortrag von Obst knüpfte Jörg Maas von der Bundesnetzagentur an, der die Verordnung auf ihre Implikationen für den Deutschlandtakt abklopfte, etwa bei der Trassenkonstruktion, der Zuweisung im Netzfahrplan durch die DB Netz AG oder die Einbeziehung von Serviceeinrichtungen. Viele Punkte im Kommissionsentwurf seien noch unklar und müssten präzisiert oder diskutiert werden, jedoch gebe es darin viele brauchbare Instrumente für die Umsetzung des Deutschlandtaktes, folgerte Maas. Aus deutscher Perspektive müsse im System nachjustiert werden, um besser mit dem europäischen Konzept zu harmonisieren.

Welche Vorgaben die Politik den Infrastrukturbetreibern machen sollte, ob der Entwurf nicht die Staatsbahnen bevorzuge, diese und andere Fragen wurden im Anschluss diskutiert. Dabei erklärte EU-Vertreterin Obst, die Kommission wolle nicht zu viele Kompetenzen an sich ziehen, Priorität habe die Selbstregulierung der Unternehmen. Bezogen auf die Umsetzung auf nationaler Ebene sagte sie, aus der Unabhängigkeit der zuständigen Stellen folge nicht, dass es keine länderübergreifenden Absprachen und damit eine gewisse Harmonisierung geben könne, ebenso könne sich das europäische Netzwerk der Infrastrukturbetreiber auf eine einheitliche Vorgehensweise verständigen.

Bahnmarkt: Mehr Qualität und Wettbewerb – aber wie?

Die im Januar eingeleitete Umstrukturierung im DB-Konzern stand im Mittelpunkt des 9. Sektorgutachtens Bahn der Monopolkommission, welche die Bundesregierung in kartellrechtlichen Fragen berät. Jürgen Kühling, Kommissionsvorsitzender und zugleich Professor an der gastgebenden Uni Regensburg, stellte das im Sommer 2023 veröffentlichte Gutachten vor, das in Anlehnung an den Namen der neuen Infrastruktursparte der Bahn mit „Time to GO“ überschrieben war.

Einen stagnierenden Wettbewerb im Bahnmarkt stellt das Gutachten fest, was ein Problem auch für den intermodalen Wettbewerb und somit die Verkehrswende darstellt, betonte Kühling. Die Kommission habe sich ursprünglich für eine weitergehende Entflechtung des Konzerns ausgesprochen, allerdings sei eine neue Gesellschaft auch nicht die alleinige Lösung für die zahlreichen Probleme im Schienensektor. Kühling sprach sich dafür aus, die von der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bereitgestellten Hebel stärker zu nutzen, etwa durch eine Finanzierung auch von Bestandsinfrastruktur und mehr Qualitätssicherung durch Anreizregulierung. Auch die Gewinnorientierung der Infrastruktursparte sollte erhalten bleiben, aber mit den richtigen Anreizen und einer Reinvestition der Gewinne in das Netz.

Prof. Karsten Otte von der Bundesnetzagentur, der die Konferenz gemeinsam mit seinen Kollegen Dr. Axel Müller und Dr. Anne Strohbach moderierte, teilte zwar das Lagebild des Gutachtens in den wesentlichen Punkten, nicht aber alle Schlussfolgerungen, die Kühling gezogen hatte. So fehlten ihm Belege für den Nutzen einer Entflechtung des Bahnkonzerns. Widerspruch aus dem Publikum gab es gegen die geforderte Gewinnorientierung. Verbleiben Gewinne im Unternehmen, ist Gewinnerzielung nicht gemeinwohlschädlich, schlug Otte schließlich als Kompromissformel vor. Große Einigkeit unter den Diskutierenden herrschte wiederum bei der Feststellung, dass die langjährige Unterfinanzierung der Schiene das größte Problem war und ist.

Mit der praktischen Umsetzbarkeit der Vorschläge der Monopolkommission wie auch der Beschleunigungskommission Schiene hatte sich Dr. Anne Strohbach auseinandergesetzt, Referatsleiterin bei der Bundesnetzagentur. Eine zwangsläufige Diskriminierung von Wettbewerbern durch die DB-Konzernstruktur konnte auch sie nicht erkennen, da mit regulatorischen Instrumenten gegengesteuert werden könne. Eine qualitätsorientierte Entgeltregulierung wiederum hielt Strohbach grundsätzlich für ökonomisch sinnvoll, aber weder mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz vereinbar noch aufgrund des derzeitigen Zustands der Infrastruktur umsetzbar – zusätzliches Sparen und noch weniger Qualität wären die Folgen.

Eine Wortmeldung aus dem Publikum gab zu bedenken, dass in anderen von der Kommission überwachten Sektoren Geld verdient werde, während die Schiene chronisch defizitär sei, weshalb die vorgeschlagenen Mechanismen dort nicht wirksam wären. Der Kommissionsvorsitzende Kühling, der nun in die Rolle des Moderators gewechselt war, räumte ein, dass die Einführung eines solchen Regulierungsregimes in der derzeitigen Umbauphase des Netzes herausfordernd ist und gut gemacht, ansonsten besser gar nicht gemacht werden sollte.

Konferenz-Moderatoren Prof. Karsten Otte (Mitte) und Dr. Axel Müller (li.) im Gespräch mit Jörg Maas, alle von der Bundesnetzagentur
Konferenz-Moderatoren Prof. Karsten Otte (Mitte) und Dr. Axel Müller (li.) im Gespräch mit Jörg Maas, alle von der Bundesnetzagentur (Foto: Bundesnetzagentur)

InfraGO: Wieviel Reform darf und muss es sein?

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion waren naturgemäß alle Augen und Ohren auf den Mann gerichtet, der die neue Infrastruktursparte im DB-Konzern verantwortet und damit in der Öffentlichkeit auch das Gesicht von InfraGO ist: Dr. Jörg Sandvoß. Der Konzernbevollmächtigte fand klare Worte und zeichnete ein ungeschminktes Bild der Lage: Das Schienennetz sei in einem schlechten Zustand, gleichwohl immer noch sicher. Das ganze System müsse aufgebrochen und neu gedacht werden, angefangen mit der Finanzierung, aber auch dem Baumanagement, das ineffizient und kleinteilig sei. Ein grundlegend anderes Bewirtschaftungskonzept und einfachere Finanzierungsstrukturen werden gebraucht, sowie Ruhe, Berechenbarkeit und eine langfristig planbare Perspektive, im Interesse der eigenen Mitarbeitenden, aber auch der Bahnindustrie. Sandvoß warnte gleichzeitig davor, sich mit der rückblickenden Aufarbeitung von Fehlern auf- und an unrealistischen Zielvorgaben festzuhalten, stattdessen müsse der Kern der Probleme angegangen und nach vorne geschaut werden. 2024 werde ein Jahr des Übergangs, aber ein Anfang sei mit der Einrichtung von InfraGO gemacht.

InfraGO ist nur der Auftakt eines Prozesses, betonte auch Benedict Janich, der eine im Bundesverkehrsministerium eingerichtete Steuerungsgruppe für die Transformation des DB-Konzerns leitet. Er stellte klar, dass diese Organisationseinheit den Output nach bestimmten Kennzahlen steuern, sich aber nicht mit jeder Entscheidung auf Projektebene befassen werde. Das Erreichen der Ziele – höhere Qualität für die Kunden – und nicht das Wie stünden im Vordergrund der Steuerung. Dazu kündigte Janich einen 5-Jahres-Plan (InfraPlan) und eine vierte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV InfraGO) an.

Die Lagebeurteilung des Konzernbevollmächtigten teilte auch Peter Westenberger vom Verband der privaten Güterbahnen NEE, der aber konkrete Schritte und Ergebnisse vermisste, ebenso wie eine ehrliche Bilanz der Zeit seit der Bahnreform, die in diesem Jahr ihr dreißigjähriges Jubiläum begeht. Dass eine Organisation von der Größe der InfraGO effektiv aus dem Ministerium heraus gesteuert werden könne, bezweifelte Westenberger, der sich stattdessen für eine dem BMVI nachgeordnete Behörde nach Vorbild des Schweizer Verkehrsamtes aussprach. Gleichzeitig müsse der Bund als Eigentümer der DB mehr Verantwortung übernehmen.

Dr. Matthias Stoffregen, der als mofair-Chef die nichtbundeseigenen Personenverkehrsbahnen vertritt, warnte vor einer unscharfen Verwendung des Begriffs Gemeinwohlorientierung und einer Verengung der Reformdiskussion auf Finanzierungsfragen. Er bemängelte zudem ineffiziente Führungsstrukturen, da der DB-Konzern das Infrastrukturressort beibehalte, obwohl die InfraGO ein eigenes Leitungsgremium hat.

Pointiert äußerte sich Dr. Wilhelm Eschweiler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, in der Diskussion. Allen Beteiligten riet er, nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen der Reform zu sehen, und einfach zu machen, statt zu viel Arbeit in Organisationsstrukturen zu stecken. Mehr Steuerungskompetenz für den Bund ist gut, unklare oder vermischte Zuständigkeiten seien zu vermeiden. Die Bundesnetzagentur bleibe ein unabhängiger Partner von Markt und Politik und könne eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Betriebsqualität im Schienenverkehr einnehmen. Eschweiler mahnte, dass sich nicht oft die Gelegenheit zu Reformen wie der derzeitigen Neuorganisation böte und diese im ersten Anlauf gelingen müsse, um das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht zu verspielen: „Wir haben nur einen Schuss, und der muss sitzen.“

Die nächste Eisenbahnrechtliche Fachtagung ist für den 8. und 9. Oktober 2024 in Würzburg geplant, dann mit der dortigen Universität als drittem Gastgeber.


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