Aufgrund seiner deutlich höheren Energieeffizienz, einem 42-prozentigen Anteil erneuerbarer Energie im Bahnstrommix sowie über 90 Prozent elektrisch erbrachter Verkehrsleistung, ist der Schienenverkehr eines der klimaschonendsten Transportmittel. Der Einsatz von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr verspricht zusätzliche Energieeinsparungen von bis zu 15 Prozent.
Die Marktdurchdringung von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr ist heute noch immer sehr gering. Rund 15 Prozent der Schienenfahrzeuge verfügen über ein solches technisches System. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Energiesparendes Fahren und ein geringer Energieverbrauch spielen bei der Vergabe von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr keine oder kaum eine Rolle. Im Güterverkehr stehen die Bahnen in Deutschland unter großem Wettbewerbsdruck und erwirtschafteten nach Angaben der Bundesnetzagentur[1] in den letzten drei Jahren eine negative Umsatzrendite. Dadurch fehlt es an der nötigen Investitionskraft für Innovationen. Auch gibt es bisher keinen nennenswerten Erfahrungsaustausch zwischen Anbietern und potenziellen Anwendern von Fahrerassistenzsystemen. Eine belastbare Informationsquelle, die verfügbare Systeme vorstellt, Einführungs- und Betriebskosten darlegt oder die Höhe des Energieeinsparpotenzials offenlegt, fehlte bislang.
Relevanz von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr
Fahrerassistenzsysteme geben dem Triebfahrzeugführer über akustische und optische Signale Fahrempfehlungen, durch die der Bedarf an Traktionsenergie minimiert werden kann. Gleichzeitig wird auch der Ausstoß der Treibhausgasemissionen deutlich reduziert. Auf diese Weise kann der Schienenverkehr dazu beitragen, die Klimaschutzziele zu erreichen. Für den Verkehrssektor hat sich die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 vorgenommen, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren. Das ist auch dringend nötig, denn der Verkehr ist der einzige Wirtschaftsbereich, in dem der Treibhausgas-Ausstoß seit 1990 nicht gesunken ist, da das anhaltende Verkehrswachstum alle Effizienzgewinne kompensiert hat.
Auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist der Einsatz von Fahrerassistenzsystemen sinnvoll. Er ermöglicht es den Unternehmen, Ressourcen sparsam einzusetzen und so die Energiekosten zu senken. Durch das Vermeiden unnötiger Brems- und Beschleunigungsvorgänge wird auch der mechanische Verschleiß von Fahrzeugkomponenten und der Infrastruktur reduziert – so sinken die Kosten für Instandhaltung und Wartung.
Fahr umweltbewusst!
Um die Vorteile von Fahrerassistenzsystemen bekannt zu machen und den Umweltvorsprung des Schienenverkehrs weiter auszubauen, setzt die Allianz pro Schiene seit März 2017 das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderte Projekt „Fahr umweltbewusst!“ um. Das Projekt bringt Anbieter und Anwender von Fahrerassistenzsystemen, Vertreter der Wissenschaft, der Gewerkschaften und der Politik in einem strukturierten Dialog zusammen. Die Anwender sind Eisenbahnverkehrsunternehmen, die bereits Fahrerassistenzsysteme nutzen sowie Unternehmen, die über den Einsatz dieser Systeme nachdenken. Im Dialog wollen wir das Bewusstsein für mehr Energieeffizienz im Schienenverkehr schärfen, Unternehmen motivieren, Fahrerassistenzsysteme anzuschaffen und Möglichkeiten der Implementierung aufzeigen.
Im Projekt tauschen sich die Akteure in Workshops über Erfahrungen, Best Practice und Hemmnisse bei der Einführung von Fahrerassistenzsystemen im Schienenpersonenverkehr und Schienengüterverkehr aus. Anschließend werden gemeinsame Empfehlungen für die Überwindung von Hemmnissen und eine schnelle Implementierung von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr erarbeitet. Als Grundlage des Dialogs dient eine von der Allianz pro Schiene in Auftrag gegebene Marktstudie, die die bestehenden Angebote von Fahrerassistenzsystemen mit Funktionen zur Energieeinsparung erfasst, die Systeme nach unterstützter Antriebsart, Installationsart und Einsatzbereichen systematisiert und praktische Erfahrungen der Anwender dokumentiert.
Einsatzgründe der Anwender
Die Entscheidung eines Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU), ein Fahrerassistenzsystem einzuführen, beruht auf vielfältigen Gründen. Laut Ergebnissen einer Befragung, die im Rahmen der Marktstudie durchgeführt wurde, sind mögliche Kosten- und Energieeinsparungen der größte Motivator (siehe Abbildung oben). Wie wirkungsvoll der Einsatz eines Assistenzsystems für ein Unternehmen sein kann, zeigt ein exemplarischer Blick auf die übliche Kostenstruktur im Schienengüterverkehr (siehe Abbildung oben). Die Energiekosten der Güterbahnen in Deutschland stellen 20 Prozent der Gesamtkosten dar. Spart das EVU durch den Einsatz eines Fahrerassistenzsystems 15 Prozent seiner Energiekosten, kann es seine Gesamtkosten um drei Prozent reduzieren.
Diese Kosteneinsparung scheint auf den ersten Blick nur sehr gering. Für die Güterbahnen in Deutschland sind sie jedoch von größter Bedeutung, da sie seit Jahren negative Betriebsergebnisse erzielen. Lag ihr Betriebsergebnis nach Angaben der Bundesnetzagentur im Jahr 2014 noch bei einer Leistungseinheit von -0,07 Cent je Tonnenkilometer, waren es 2016 bereits -0,17 Cent mit sich verschlechternder Tendenz. Auch ein scheinbar kleiner Beitrag zur Kostenreduktion spielt also für die Wirtschaftlichkeit und die intermodale Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Güterverkehrs in Deutschland eine wichtige Rolle.
Neben den Energie- und Kosteneinsparungen sind auch die kostenwirksamen Nebeneffekte relevant, die sich mit den Systemen erzielen lassen. Die befragten Anwender haben bestätigen können, dass der Einsatz eines Fahrerassistenzsystems im realen Betrieb zu Verschleißreduktionen im Bremsbereich sowie in der Mechanik geführt hat, durch die sie ihre Kosten für Wartung und Instandhaltung senken konnten.
Ein weiterer Einführungsgrund ist die Entlastung der Triebfahrzeugführer (Tf). Der Einsatz eines Fahrerassistenzsystems unterstützt nicht nur ihre energiesparende Fahrweise. Er kann auch dazu beitragen, einen papierlosen Führerstand zu erreichen, da betriebsrelevante Inhalte und deren Aktualisierungen gesammelt auf dem Gerätebildschirm des Systems angezeigt werden. Dem Tf wird es dadurch möglich, auf kurzfristige Änderungen zu reagieren und seine Fahrweise an die aktuelle Betriebslage anzupassen.
Die Marktstudie fasst die zehn wichtigsten Einführungsgründe, die in der Befragung ermittelt wurden, auch prozentual zusammen. Die Übersicht macht deutlich, dass die wichtigsten Einführungsgründe vor allem betriebswirtschaftlich relevant sind. Ihr Erfolg ist messbar. Weiche Faktoren wie der Imagegewinn eines Unternehmens oder die Verbesserung des Verkehrsflusses spielen bei den befragten Anwendern nur eine untergeordnete Rolle.
Einflussfaktoren auf die Energieeinsparung
Die erzielbaren Energieeinsparungen eines Fahrerassistenzsystems sind nicht nur für Unternehmen betriebswirtschaftlich relevant, sondern tragen maßgeblich zum Schutz der Umwelt bei.
Die Erkenntnisse der Marktstudie und der ersten Dialogworkshops in 2017 haben deutlich gemacht, dass das Energiesparpotenzial eines Fahrerassistenzsystems insbesondere von drei korrelierenden Faktoren abhängt:
- von der Bereitstellung von Infrastrukturdaten,
- von der Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen sowie
- von der Akzeptanz der Triebfahrzeugführer.
Bereitstellung von Infrastrukturdaten
Um eine Empfehlung abzugeben, benötigt das Fahrerassistenzsystem zahlreiche Input-Daten. Dazu zählen nicht nur dynamische Betriebsdaten wie Informationen über betriebliche Störungen oder Baustellen, die Fahrplanlage, sondern ebenso Informationen über den Streckenverlauf, Fahrzeugleistungsdaten oder Fahrzeugpositionen auf der Strecke.[2] In den ersten Projektworkshops, die 2017 stattgefunden haben, wurde klar, dass viele EVU im realen Betrieb bisher auf nur wenige Infrastrukturdaten zugreifen können. Das Gleiche gilt für die Nutzung aktueller Betriebsdaten. Obwohl es beispielsweise durch die „Grünen Funktionen der Zuglaufregel“ der DB Netz AG schon heute erste Angebote zur Bereitstellung von Infrastrukturdaten gibt, fehlt bisher ein kostenfreier Zugang im Schienennetz, der diese Daten für alle Anwender diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt.
Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen
Die ersten Arbeitsergebnisse der Workshops zeigen zudem, dass Fahrerassistenzsysteme unterschiedlicher Hersteller sich noch nicht miteinander vernetzen und kommunizieren können. Standardisierte Input-Daten und einheitliche Schnittstellen im Schienennetz, die für die Berechnung einer Fahrempfehlung notwendig sind, fehlen bisher. Darum liegen die Input-Daten in jedem Unternehmen bisher in individueller Struktur und Speicherform vor. Dadurch muss die Konfiguration des Programmcodes zur Berechnung von Fahrempfehlungen individuell für jedes Verkehrsunternehmen angepasst werden. Durch die Individualisierung müssen zudem alle notwendigen Daten manuell eingespeist werden, wodurch ein erheblicher Mehraufwand für die Anwender entsteht.
Durch das Fehlen einheitlich standardisierter Schnittstellen, über die Assistenzsysteme Fahrzeug- und Betriebsdaten barrierefrei austauschen können, entwickeln Hersteller zudem häufig proprietäre Lösungen für Anwender. Diese sind jedoch nicht immer miteinander kompatibel. Systeme unterschiedlicher Hersteller können sich auch dadurch nicht problemlos zum Datenaustausch miteinander vernetzen. Zusätzlich mögliche Energieeinsparungen gehen verloren.
Akzeptanz der Triebfahrzeugführer
Alle teilnehmenden Akteure des Dialogs stimmen darüber ein, dass der Triebfahrzeugführer die Schlüsselfigur des Fahrzeugbetriebs ist und auch in Zukunft bleiben soll. Er entscheidet als letzte Instanz, eine vom Fahrerassistenzsystem berechnete Fahrempfehlung anzunehmen oder nicht.
Deshalb sollten Unternehmen die Akzeptanz des Fahrpersonals bei der Einführung eines Assistenzsystems von Anfang fördern. Erste Befragungsergebnisse von Triebfahrzeugführernder DB Cargo AG, dieim Rahmen der ersten Workshops vorgestellt wurden, unterstreichen, dass die Annahmequote einer Fahrempfehlung unmittelbar von der Qualität der Fahrempfehlung abhängt. Erhält der Triebfahrzeugführer aufgrund der niedrigen Datenqualität[3] ungenaue oder fehlerhafte Fahrempfehlungen, lehnt er diese aufgrund seiner Sicherheitsverantwortung schnell ab. Auch ablenkende visuelle oder akustische Signale des Systems sowie zu viele dargestellte Informationen führen dazu, die Fahrempfehlung nicht anzuwenden.
Um die Akzeptanz der Triebfahrzeugführer nachhaltig zu unterstützen, erweist sich nach Angaben der teilnehmenden Workshop-Akteure die Umsetzung verschiedener Maßnahmen auf drei Ebenen als zielführend:
1. Die kommunikative Ebene
Das Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sollte dem Triebfahrzeugführer von Anfang an eindeutig kommunizieren, warum die Einführung eines Fahrerassistenzsystems geplant ist und wie er durch den Einsatz eines Fahrerassistenzsystems unterstützt werden kann. Er sollte von Anfang an in den Einführungsprozess und in das fortlaufende Optimierungsmanagement eines Fahrerassistenzsystems mit eingebunden werden.
2. Die didaktische Ebene
Durch Gruppenschulungen, Simulatoren-Fahrten, durch individuelle Betreuung während der Fahrt, Zufriedenheitsumfragen und die Versorgung der Triebfahrzeugführer mit Informationsmaterial kann der Triebfahrzeugführer für den Einsatz eines Fahrerassistenzsystems sensibilisiert werden.
3. Die technische Ebene
Die Systeme sollten von Anfang an auf die Bedürfnisse der Triebfahrzeugführer ausgerichtet und abgestimmt werden. Auch die Ergebnisse der im Projekt durchgeführten Marktstudie zeigen, dass sich die Qualität der Input-Daten unmittelbar auf die Qualität der Fahrempfehlung auswirkt, die wiederum die Akzeptanz des Triebfahrzeugführers beeinflusst.
Um die Marktdurchdringung von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr zu beschleunigen, soll im weiteren Projektverlauf der Frage nachgegangen werden, wie eine Standardisierung der Input-Daten erreicht werden kann und wie Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen die dynamische Datenübertragung zwischen Infrastruktur und Fahrzeugen gemeinsam forcieren können. Der erste Schritt diese Herausforderung zu meistern, ist ein offener Dialog aller Beteiligten, den das Projekt „Fahr umweltbewusst“ bereits initiiert hat.
Interessierte Anwender werden zudem durch breitenwirksame Öffentlichkeitsarbeit in Printmedien, über die Online-Präsenz des Projekts sowie in den sozialen Medien Facebook und Twitter über die zahlreichen Vorteile und Best-Practice-Beispiele beim Einsatz von Fahrerassistenzsystemen informiert. Aus den Ergebnissen des umfassenden Dialogs werden abschließend Handlungsempfehlungen erarbeitet, die darstellen, wie der Einsatz von Fahrerassistenzsystemen bei Eisenbahnverkehrsunternehmen gefördert werden kann.
Zusammenfassung
Kleines System, große Wirkung? Der Einsatz von Fahrerassistenzsystemen ermöglicht dem Schienenverkehr, Personen und Güter noch energie- und kosteneffizienter zu transportieren. Dadurch kann der Schienenverkehr seine Umweltbilanz steigern und im intermodalen Wettbewerb gestärkt werden. Der Schlüssel für den erfolgreichen Einsatz von Fahrerassistenzsystemen im Schienenverkehr ist die die Akzeptanz der Triebfahrzeugführer sowie die Qualität der zu verarbeitenden dynamischen Daten und ihre Übertragung über normierte Schnittstellen. Die Auswertung dieser Daten eröffnet zudem die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die für betriebliche Prozessoptimierung innerhalb eines Unternehmens, aber auch unternehmensübergreifend genutzt werden können.
Um die Potenziale der neuen Umwelttechnologie optimal nutzen zu können, muss ein einheitlicher Wissensstand über Technologie, Prozesse und Verantwortlichkeiten geschaffen werden, der für alle Akteure des Schienenverkehrs leicht zugänglichundumsetzbar ist. Die Erarbeitung eines umfassenden Bildungskonzepts ist der erste Meilenstein zur Erreichung dieses Ziels, den das Projekt „Fahr umweltbewusst“ noch in diesem Jahr umsetzen wird.
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Quellen und Literatur
[1] Bundesnetzagentur: Marktuntersuchung Eisenbahnen 2017. [2] Häger, Stephan, Zapf, Udo: Herangehensweisen „Digitalisierung“: Der spannende Weg der Daten von einem Schienenfahrzeug zum Nutzer. In: Eisenbahntechnische Rundschau 10/2017, S. 20 sowie Scheier, Benedikt und Schumann, Tilo und Meyer zu Hörste, Michael und Dittus, Holger und Winter, Joachim: Wissenschaftliche Ansätze für einen energieoptimierten Eisenbahnbetrieb. In: Eisenbahn Ingenieur Kalender 2014 Eisenbahn Ingenieur Kalender. DVV Media Group | Eurailpress, S. 270f. [3] Siehe: Dr. Ulrich Bock, Steffen Maas, Johannes Mäder: Erfolgsfaktoren bei der Asset-Digitalisierung im Schienenverkehr. Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe Nr. 9, September 2017, S. 36.Bock, Ulrich, Dr., Steffen Maas, Johannes Mäder: Erfolgsfaktoren bei der Asset-Digitalisierung im Schienenverkehr. Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe Nr. 9, September 2017, S.34-37.
Bundesnetzagentur: Marktuntersuchung Eisenbahnen 2017.
Häger, Stephan, Zapf, Udo: Herangehensweisen „Digitalisierung“: Der spannende Weg der Daten von einem Schienenfahrzeug zum Nutzer. In: Eisenbahntechnische Rundschau 10/2017, S.18–21.
MRK Management Consultants GmbH im Auftrag der Allianz pro Schiene e.V.: Projekt Fahr umweltbewusst. Energieverbrauch im Schienenverkehr durch den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen reduzieren. Marktüberblick Fahrerassistenzsysteme 2017.
Scheier, Benedikt und Schumann, Tilo und Meyer zu Hörste, Michael und Dittus, Holger und Winter, Joachim: Wissenschaftliche Ansätze für einen energieoptimierten Eisenbahnbetrieb. In: Eisenbahn Ingenieur Kalender 2014 Eisenbahn Ingenieur Kalender. DVV Media Group Eurailpress, S. 265–275.
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