Merkliste aktualisiert
Home > Themenwelten > Verkehr > Erfolgserprobte Ansätze bringen Tempo in den Klimaschutz

Verkehrswende konkret

Erfolgserprobte Ansätze bringen Tempo in den Klimaschutz

Foto: unsplash/andreas-kind
Foto: unsplash/andreas-kind

Vermeiden, verlagern, verbessern. Dieser Dreiklang beschreibt schlaglichtartig eine Transformation, die der deutsche Verkehrssektor dringend durchlaufen muss, wenn er die Klimaziele des Bundes für das Jahr 2030 erreichen will – die Verkehrswende. Sie ist ein Prozess, der darauf abzielt, straßengebundenen Individual- und Güterverkehr stark zu reduzieren, indem Personen- und Güterverkehrsströme auf nachhaltige und energieeffiziente Verkehrsträger wie den Schienenverkehr verlagert werden, die miteinander vernetzt mehr Mobilität mit weniger Verkehr ermöglichen. Die Rahmenbedingungen dafür gestaltet die Politik.

Der Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität ist mit vielen Vorteilen verknüpft: ein besserer Gesundheitsschutz, mehr Sicherheit auf Straßen, höhere Lebensqualität in verkehrsgeplagten Städten, mehr Gendergerechtigkeit und eine bessere Versorgung ländlicher Regionen mit Öffentlichem Verkehr.[1]

In Großstädten und Metropolen stehen die Zeichen für die Verkehrswende bereits auf grün. Hier boomen der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), Rent-A-Bike-Dienstleistungen und E-Scooter. Und trotzdem bleibt die Zahl der Neuzulassungen beim Pkw in Deutschland beinahe unverändert hoch.[2]

Denn: Die Verkehrswende entsteht im Kopf. Um das über Jahrzehnte autozentrierte Verkehrsverhalten der Menschen zu ändern und individuelle Routinen neu zu denken, braucht es positive persönliche Erfahrungen mit den umweltfreundlichen Alternativen zum motorisierten Individualverkehr und Möglichkeiten, diese zu sammeln. Gerade in ländlichen Gegenden gibt es jedoch meist einen deutlich schlechteren Zugang und Erreichbarkeit zu konstanten des ÖPNV-Angeboten oder nur wenige Mikromobilitätsoptionen.[3]

Verkehrswende kann nur verkehrsträgerübergreifend gelingen

Die Verkehrswende scheint noch lange nicht in Sicht. Es gibt (noch) keine übergreifende Verkehrspolitik, deren Ziele auf eine ganzheitlich ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Die verschiedenen Verkehrsträger werden isoliert in separaten Masterplänen betrachtet, wie die Schiene im Masterplan Schienenverkehr (2020).[4] Die Verkehrswende ist aber nur integriert und übergreifend gestaltbar. Nur so lassen sich Zielkonflikte mit anderen Politikfeldern vermeiden oder auflösen.

Die Verkehrspolitik in Deutschland ist diesbezüglich widersprüchlich. Zusätzlichen Mitteln für ein 49-Euro-Ticket für den ÖPNV stehen Diesel-Subventionen und Dienstwagenprivileg gegenüber. Die Inkonsistenz ist auch zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern erkennbar. So gibt es Kaufprämien und eine Mautbefreiung für bestimmte Lkw, wohingegen Güterbahnen weder die eine noch die andere Vergünstigung erhalten – trotz einer mehrfach besseren Umwelt- und Energiebilanz.

Auch zwischen den Politikfeldern tun sich solche Widersprüchlichkeiten auf: Einerseits wird der Kohleausstieg mit Datum festgelegt, um den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern zu forcieren. Andererseits wird der Bau weiterer Autobahnen als Kompensationsleistung vorgesehen, die diesem Nachhaltigkeitsziel entgegensteht. Ähnliches gilt für die durch den Steuerzahler subventionierten Regionalflughäfen.

Aber steht die Verkehrswende wirklich noch komplett am Anfang? Die Allianz pro Schiene ist davon überzeugt, dass es unter den Verkehrsmitteln des Umweltverbunds bereits heute vorbildliche, nachahmenswerte Beispiele gibt, die zeigen, dass die Verkehrswende möglich ist und wie sie gelingen kann.

Um solche Erfolgsbeispiele nachhaltiger Mobilität zu identifizieren und sie bundesweit bekannt zu machen, haben wir im Oktober 2020 das Projekt Verkehrswende konkret initiiert, das durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert wurde. Die Mittelbereitstellung ist auf Beschluss des Deutschen Bundestages erfolgt.

Die Verkehrswende findet schon statt

Der Deutsche Verkehrswendepreis wurde erstmals am 6. April 2022 verliehen

Um die Verkehrswende praktisch erlebbar zu machen, hat die Allianz pro Schiene von Mai bis September 2021 im Rahmen eines Wettbewerbs fünf Projekte aus ganz Deutschland identifiziert und mit dem Deutschen Verkehrswendepreis ausgezeichnet. Sie alle zeigen durch ihre erfolgreiche Umsetzung, wie die Verkehrswende beschleunigt werden kann:

  • Der PlusBus, der durch kurze Taktzeiten und eine gute Anbindung an wichtige Verknüpfungspunkte des ÖPNV die S-Bahn in die Fläche bringt,
  • das Fahrradparkhaus Eberswalde, das durch seine unmittelbare Nähe zum Bahnhof und seine nachhaltige Bauweise die intermodale Verknüpfung Öffentlicher Verkehrsmittel idealtypisch attraktiviert,
  • die On-Demand Shuttles von ioki Hamburg, mit denen Fahrgäste des Öffentlichen Verkehrs unkompliziert und bequem die erste und letzte Meile überbrücken können,
  • die Transportlösung RoadRailLink (r2L), die das Verladen nicht kranbarer Sattelauflieger auf Güterzüge erheblich vereinfacht und
  • das Zukunftsnetz Mobilität NRW, das seine Mitgliedskommunen durch Beratung und Vernetzung dabei unterstützt, ein ganzheitliches und nachhaltiges Mobilitätsmanagement in ihren Verwaltungen zu verankern.

Erfolgsrezepte für mehr nachhaltige Mobilität

Die fünf Gewinner des Deutschen Verkehrswendepreises zeigen, wie Mobilität auf Basis vorhandener Strukturen schneller, besser und nachhaltiger wird, wie Verkehrsmeidung und -verlagerung einfach funktionieren kann. Alle Projekte haben individuelle Lösungen entwickelt, mit denen sie täglich dazu beitragen, das Klima zu schützen. Trotzdem weisen sie vier primäre gemeinsame Merkmale auf,[5] die ihrem Erfolg den Weg geebnet haben:

1. Ohne starke Partnerschaften geht es nicht

Die Gewinner zeigen: Verkehrswende ist Teamarbeit. Denn die erfolgreiche Umsetzung der Projekte beruht auf starken Partnerschaften im Umweltverbund. So wird zum Beispiel das Zukunftsnetz Mobilität NRW von den Verkehrsverbünden Rhein-Ruhr (VRR), dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und dem Zweckverbund Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) getragen. Hinter ioki Hamburg steckt die Zusammenarbeit der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (vhh) und der ioki GmbH. Die Entwicklung des RoadRailLinks konnte durch die enge Kooperation gleich dreier Akteure, der VTG AG, Vega International Car Transport & Logistic Trading GmbH und der Kässbohrer Transporttechnik GmbH, erfolgreich umgesetzt werden.

Fahrzeuge, die begeistern: die emissions- und barrierefreien Elektroshuttles von ioki Hamburg
Fahrzeuge, die begeistern: die emissions- und barrierefreien Elektroshuttles von ioki Hamburg (Foto: DB AG/Faruk Hosseini)

2. Die Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus rücken

Um mehr Menschen davon zu überzeugen, sich vorzugsweise mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zu bewegen, muss insbesondere der ÖPNV die Bedürfnisse seiner Kund*innen bedienen und maßgeschneiderte Angebote schaffen. Dieser Anspruch wurde bei den Projekten ioki Hamburg, dem PlusBus oder dem Fahrradparkhaus Eberswalde in die Realität übersetzt.

Das Angebot des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds (MDV) wurde nach den Vorstellungen der Fahrgäste in der MDV-Region entwickelt, die in einer großen Marktforschungserhebung befragt wurden. Den Wunsch der Fahrgäste nach einem zuverlässigen und leicht verständlichen Angebot, das seine Passagiere schnell zum nächsten Bahnhof bringt, hat der PlusBus konkret erfüllt: mit gleichen Linienwegen bei allen Fahrten einer PlusBus-Reise und wiedererkennbaren Symbolen wie dem PlusBus-Logo.

Nach ähnlichem Prinzip agiert auch ioki Hamburg. In den Hamburger Stadtteilen Osdorf und Lurup shuttlen emissions- und barrierefreie Elektroautos ihre Fahrgäste zu S-Bahn-Stationen, Bushaltestellen oder anderen Haltepunkten des Hamburger ÖPNV. Die Buchung der Shuttles erfolgt über eine App. Ein Algorithmus im Hintergrund bündelt dort eingehende Einzelanfragen zu Fahrgemeinschaften, um Strecken und Fahrzeuge optimal zu nutzen.

Auch im Fahrradparkhaus Eberswalde sind die Fahrradparkmöglichkeiten explizit auf die Bedürfnisse der Radfahrenden zugeschnitten. Zu den insgesamt 604 sicheren und witterungsgeschützten Stellplätzen zählen auch Sonderstellplätze für Lastenräder und Fahrradboxen mit und ohne Lademöglichkeiten. Die unmittelbare Nähe zum Bahnhof erleichtert zudem allen Nutzergruppen das Umsteigen.

3. Intermodale Reiseketten eng aufeinander abstimmen

Ob zu Fuß vom Fahrradparkhaus zum Bahnhof, mit dem Shuttle zur S-Bahn oder mit dem Bus zur Regionalbahn: Bei allen drei Projekten steht das Angebot einer maßgeschneiderten intermodalen Reisekette, in der die integrierten Verkehrsmittel aufeinander getaktet sind, im Vordergrund. Sie tragen so umfänglich dazu bei, öffentliche Verkehrsmittel erreichbarer zu machen und nehmen dadurch eine echte Vorbildfunktion im gesamten Bundesgebiet ein.

Eine bessere Erreichbarkeit – vor allem im Sinne einer dichteren Taktung der Abfahrten von Bus und Bahn – ist ein Muss, um mehr Personen auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlagern. Das hat zuletzt auch eine von der Allianz pro Schiene, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Auftrag gegebene repräsentative Studie, das Mobilitätsbarometer, gezeigt.[6] Ein zentrales Ergebnis der Befragung war, dass aktuell jede dritte Person unzufrieden mit der Erreichbarkeit von Bus und Bahn am eigenen Wohnort ist.

4. Adaptationsmöglichkeiten in der Entstehung mitdenken

Alle Gewinner des Deutschen Verkehrswendepreises zeichnen sich dadurch aus, dass sie übertragbar sind und von verschiedenen Akteursgruppen und unter variablen Rahmenbedingungen umgesetzt werden können. Mit dem r2L-Ladekorb können Trailer, aber auch Lkw – ohne Rampe oder andere Einrichtungen – durch einen Terminalkran oder Reach-Stacker in oder aus einem Doppeltaschenwagen gehoben werden. Das System ist also an jedem Güterverkehrsterminal flexibel einsetzbar.

Mit dem r2L-Ladekorb können nichtkranbare Sattelauflieger flexibel auf die Schiene verlagert werden
Mit dem r2L-Ladekorb können nichtkranbare Sattelauflieger flexibel auf die Schiene verlagert werden (Foto: VTG AG)

Projekte wie der PlusBus oder das Zukunftsnetz Mobilität NRW sind vor Ort so erfolgreich, dass sie gleich von mehreren Bundesländern adaptiert wurden: Das Konzept des Zukunftsnetzes hat mit dem Kompetenznetz Klima Mobil in Baden-Württemberg bereits eine Nachahmung gefunden, in Bayern ist ein ähnliches Modell in Planung. Das PlusBus-Konzept wurde bereits in den Bundesländern Brandenburg, Niedersachsen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen übernommen.

Der PlusBus des MDV bringt den ÖPNV in die Fläche
Der PlusBus des MDV bringt den ÖPNV in die Fläche (Foto: Christian Hüller/MDV)

Verkehrswende braucht Förderung

Klimaschonenden Verkehrsmitteln gehört die Zukunft. Das beweisen die fünf Gewinner des Deutschen Verkehrswendepreises schon jetzt. Sie illustrieren, dass nachhaltige Verkehrsträger zusammengedacht und miteinander verknüpft werden müssen, um ein gutes Angebot zu schaffen. Gleichzeitig bedarf es massiver Angebotsverbesserungen, um eine flächendeckende Versorgung durch den Umweltverbund gewährleisten zu können – auch und gerade im ländlichen Raum.

Jetzt ist die Politik gefragt. Um bestehende ÖPNV-Angebote in den einzelnen Regionen zu unterstützen, müssen Regionalisierungsmittel deutlich aufgestockt werden. Der Bund sollte die Verknüpfung der Verkehrsträger stärker unterstützen, indem er Förderangebote für den Schienennahverkehr erweitert und Anreize für Städte und Kommunen setzt, um breitere Sharing-Angebote zu ermöglichen und den öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren, zu digitalisieren und auszubauen.

Die Länder sollten darüber hinaus Mobilitätsgarantien einführen, die deutschlandweite Mindeststandards und einen gesetzlichen Anspruch auf Mobilitätsdienstleistungen gewährleisten. Um die Verkehrswende in den Städten und Kommunen voranzubringen, sollten die Länder außerdem die Gründung und den Fortbestand von Vernetzungsstellen nach Vorbild des Zukunftsnetz Mobilität NRW finanzieren.

Aber auch intelligente Lösungen und ein flächendeckendes Intermodalangebot brauchen politische Verbindlichkeit. Um zukünftig mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, sollte sich der Bund auf EU-Ebene für eine verpflichtende Kranbarkeit bei neuen Lkw-Trailern einsetzen. Im Kombinierten Verkehr wird zudem mehr Kapazität benötigt, Terminals und Gleisanschlüsse müssen ausgebaut werden. Dazu sollte der Bund zum Beispiel im Planungsrecht verankern, dass neue aufkommensstarke Industrie- und Logistikstandorte nur mit Gleisanschluss genehmigt werden dürfen und den Bau von neuen Terminals mit zusätzlichen Fördermitteln unterstützen.

Fazit

Die fünf Gewinner des Deutschen Verkehrswendepreises haben gezeigt, dass der Umweltverbund bereits viele kreative Lösungen entwickelt hat, die die Verkehrswende beschleunigen und unterstützen. Wenn Bund und Länder jetzt die Weichen stellen, um Ideen wie diese mit den richtigen Rahmenbedingungen zu unterstützen, kann es bundesweit vorangehen mit der Verkehrswende. Denn: Die Verkehrswende beginnt vor Ort. Gelingen kann sie nur gemeinsam.

Weitere Infos

Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte Fassung der Abschlussbroschüre, die zum kostenfreien Download auf der Verkehrswende konkret-Projektwebseite abrufbar ist:

www.allianz-pro-schiene.de/themen/forschungsprojekte/verkehrswende-konkret/

Das Zukunftsnetz Mobilität NRW wird am 18.01.2023 aus Anlass des Gewinns des Deutschen Verkehrswendepreises eine Veranstaltung in Berlin durchführen.

Quellen und Anmerkungen

1] Umweltbundesamt: Verkehrswende für alle. So erreichen wir eine sozial gerechtere und umweltverträgliche Mobilität. Dessau-Roßlau 2020, S. 7.

[2] Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/12386/umfrage/anzahl-der-monatlichen-pkw-neuzulassungen-in-deutschland/

[3] Laut Definition des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) ist Mikromobilität die Fortbewegung mit elektrisch motorisierten sowie nicht motorisierten Kleinst- und Leichtfahrzeugen, auch Elektrokleinstfahrzeuge genannt. Siehe: https://difu.de/nachrichten/was-ist-eigentlich-mikromobilitaet

[4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan Schienenverkehr. Berlin, 2020.

[5] Anmerkung der Autorin: Nicht alle ausgezeichneten Projekte weisen die hier aufgeführten Merkmale in gleich ausgeprägter Form aus. Die dargestellten Gemeinsamkeiten wurden über mehrheitliche Schnittmengen definiert und ausgewählt. [6] www.mobilitaetsbarometer.de


Artikel als PDF laden