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Fachbuch-Auszug „Planung- und Betriebsmanagement für das System Bahn“

Einstieg in das Konfliktmanagement bei der Planung und Disposition

Foto: DB AG/Uwe Miethe
Foto: DB AG/Uwe Miethe

Das DB-Fachbuch „Planungs- und Betriebsmanagement für das System Bahn“ stellt die Planung, Steuerung und Durchführung für einen sicheren und wirtschaftlichen Bahnbetrieb im Zusammenhang dar. Neben den betrieblichen Prozessen und rechtlichen Anforderungen sind unter anderem auch die wissenschaftlichen Grundlagen für Infrastrukturmodellierung, Trassenkonstruktion und Kapazitätsmanagement Gegenstand des Fachbuchs, das beim Bahn Fachverlag erschienen ist. Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus dem Kapitel „Konfliktmanagement“.

Die betrieblichen Prozesse im System Bahn erfordern entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Lösung von Konflikten. Ursachen können konfliktäre Trassenwünsche (z. B. von verschiedenen EVUs) oder Abweichungen vom geplanten Betriebszustand (einschl. Abweichungen in der verfügbaren Infrastruktur, bei den verfügbaren Fahrzeugen und Personalen) sein. Diese Ursachen können zu Belegungskonflikten, Anschlusskonflikten oder Umlaufkonflikten (Fahrzeuge oder Personal) führen.

Im Weiteren bezeichnet ein Konflikt die Situation, dass eine Bindung gemäß Tabelle 1 zwischen zwei Zugfahrten (Belegungs-, Anschluss- oder Umlaufbindung) oder einer Zugfahrt nicht wie gewünscht (Planung) oder geplant (Betrieb) realisiert werden kann.

Tabelle 1: Bindungen zwischen Zugfahrten und zugehörige Pufferzeiten einschl. ihrer betrieblichen, verkehrlichen und Kostenwirkungen
Tabelle 1: Bindungen zwischen Zugfahrten und zugehörige Pufferzeiten einschl. ihrer betrieblichen, verkehrlichen und Kostenwirkungen (Abbildung: BFV/Oetting/Crespo)

In der Praxis [Crespo et al. 2023] werden zunächst Konflikte erkannt, dann Konfliktlösungsalternativen entwickelt, diese vergleichend bewertet und die beste Lösung ausgewählt.

Die Eingangsgrößen der Berechnungen sind die Fahrzeiten und ggf. die Belegungszeiten sowie ggf. weitere prozessspezifische Größen (z. B. Einbruchs- oder Urverspätungen, Reservezeiten). Sie liegen – abhängig vom Planungshorizont und vom Planenden – in den dargestellten unterschiedlichen Granularitäten vor: Während für die langfristige Planung detaillierte Daten noch unbekannt sein können, sind für kurzfristige Konfliktlösungen im Betrieb auch sehr detaillierte Informationen, z. B. alternative Durchrutschwege und Beeinflussungen durch PZB, relevant.

Mögliche Ergebnisse der Berechnungen sind:

  • die Konfliktlösungen oder ggf. Konfliktlösungsalternativen,
  • die resultierenden Warte- und Synchronisationszeiten,
  • die Auswirkungen auf die Infrastrukturbelegung,
  • die Beförderungs- und Reisezeiten und
  • die Bindung von Personal und Fahrzeugen.

Wartezeiten ergeben sich aus der Lösung von Belegungs-, Verfügbarkeits- und Umlaufkonflikten, Synchronisationszeiten aus der Lösung von Anschlusskonflikten. Planmäßige Warte- und Synchronisationszeiten entstehen in der Planung. Sie können im Verspätungsfall – sofern sie infolge der Verspätung nicht mehr benötigt werden – zum Verspätungsabbau genutzt werden. Ursache von planmäßigen Wartezeiten sind z. B. konfliktäre Trassenbestellungen.

Außerplanmäßige Wartezeiten treten im Betrieb auf und resultieren aus Verspätungen oder in der Planung nicht gelösten Konflikten. Wartezeiten können weiter in Abhängigkeit des Ortes ihres Auftretens und ihrer Ursache differenziert werden:

  • Wartezeiten auf Einfädeln entstehen vor,
  • Wartezeiten unterwegs entstehen auf

einem Netzelement.

Durch Warte- und Synchronisationszeiten verlängern sich die Beförderungszeiten zur planmäßigen voraussichtlichen oder tatsächlichen Beförderungszeit (Ril 405.0103, S. 30 f.):

  • Planung: planmäßige Beförderungszeit
    = Beförderungszeit + planmäßige Wartezeiten + planmäßige Synchronisationszeiten
  • Betrieb: Beförderungszeit
    = planmäßige Beförderungszeit + außerplanmäßige Wartezeiten + außerplanmäßige Synchronisationszeiten + außerplanmäßige Änderungen der Fahr- und Haltezeiten – Verspätungsabbau
    • voraussichtliche Beförderungszeit: mit eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Verfahren für den Betriebsablauf prognostizierte Beförderungszeit
    • tatsächliche Beförderungszeit: im Betriebsablauf aufgetretene Beförderungszeit

Konfliktarten

Abbildung 1 gibt einen Überblick über die möglichen Bindungen zwischen Zugfahrten und die resultierenden Konfliktarten (Belegungs-, Anschluss-, Umlauf- und Personalumlaufkonflikte).

Abbildung 1: Konflikterkennung (Beispiel)
Abbildung 1: Konflikterkennung (Beispiel) (Abbildung: BFV/Oetting)

Anhand von Belegungskonflikten lassen sich auch Einflüsse infolge der Belegung des Nachbargleises abbilden. Dazu zählen auch das Tunnelbegegnungsverbot (Verbot der Begegnung oder Überholung eines Reise- und eines Güterzugs in zweigleisigen Tunneln) und Lademaßüberschreitungen. Sie führen zu einer Sperrzeit für das nicht befahrene Gleis, die ggf. nur für bestimmte Verkehrsarten gilt.

Eine weitere Konfliktart sind Verfügbarkeitskonflikte, die auftreten, wenn Züge ein Infrastrukturelement nutzen sollen, das nicht zugänglich oder befahrbar ist (Pferdmenges, Schaefer 1995). Sie unterscheiden sich von den anderen genannten Konfliktarten durch den zweiten Konfliktpartner, der bei Verfügbarkeitskonflikten kein zweiter Zug, sondern die Infrastruktur ist.

Verfügbarkeitskonflikte können z. B. kurzfristig aus technischen Störungen an der Infrastruktur oder einem defekten, die Infrastruktur blockierenden Fahrzeug resultieren. Dadurch, dass beispielsweise für die Erstellung eines Fahrplans für längere Perioden (z. B. Jahresfahrplan) eine über die gesamte Periode einheitliche Infrastruktur unterstellt werden muss, können auch längerfristig absehbare Verfügbarkeitskonflikte entstehen.

Anschlusskonflikte umfassen auch Korrespondenzen, die wie zwei einzelne Anschlusskonflikte behandelt werden. Umlaufkonflikte umfassen auch Stärken und Schwächen von Zügen.

Konflikterkennung (KE)

Grundlagen

Im Falle eines Konflikts wird der kleinste zeitliche Abstand zwischen zwei Vorgängen (siehe Abb. 1) nicht eingehalten:

tBind,ij < tBind,ij,min + tP,ij,min

mit

tBind,ij vorhandene Bindungszeit zwischen zwei Zugfahrten i und j
tBind,ij,min Mindest-Bindungszeit zwischen zwei Zugfahrten i und j
tP,ij,min Mindest-Pufferzeit zwischen zwei Zugfahrten i und j

 

Die erforderliche Bindungszeit tBind,ij,min ist der in Abbildung 1 genannte kleinste erforderliche zeitliche Abstand. Die vorhandene Bindungszeit tBind,ij ergibt sich als Differenz der Größen in den Spalten „Ende“ und „Beginn“ des „vorhandenen zeitlichen Abstands“ der Abbildung 1.

tBind,ij = tj – ti

Bei Belegungskonflikten sind ti und tj die Zeitpunkte des gewünschten Beginns der Belegung des Fahrwegabschnitts, des Überholungs-/Kreuzungsabschnitts oder des Netzelements. Bei Verfügbarkeitskonflikten ergibt sich die vorhandene Bindungszeit als Differenz des Zeitpunktes tj des Beginns der Belegung eines Fahrwegabschnitts im Bereich der Verfügbarkeitseinschränkung durch den Zug und dem Beginn ti der Verfügbarkeitseinschränkung. Sofern der Zug erst nach Beginn der Verfügbarkeitseinschränkung eintrifft, ist die erforderliche Bindungszeit die Dauer der Verfügbarkeitseinschränkung, andernfalls ist sie die Sperrzeit des Zuges. Bei Anschluss-, Umlauf- und Personalumlaufkonflikten ist ti die geplante (Planung) oder prognostizierte (Betrieb) Ankunftszeit des Zuges i am Ort der Bindung und tj die gewünschte (Planung) oder geplante (Betrieb) Abfahrtszeit des Zuges j an diesem Ort.

Grundlage für die Ermittlung des vorhandenen zeitlichen Abstands ist die jeweils zum Zeitpunkt der Konfliktlösung aktuell gültige (operative) Planung. Sie umfasst

  • die Lösung aller Konflikte, die zeitlich vor dem betrachteten Konflikt liegen,
  • alle bekannten, bereits quantifizierbaren Urverspätungen und
  • alle bereits bekannten zugbezogenen Differenzen zwischen
    • der Beförderungszeit (Planung) bzw.
    • der voraussichtlichen Beförderungszeit (Betrieb)

und der planmäßigen Beförderungszeit

und wird im Betrieb als „Prognose“ bezeichnet.

Treten mehrere Konflikte einer Konfliktart gleichzeitig auf (z. B. Korrespondenz; drei Züge im gleichen Fahrwegabschnitt), werden auf die dargestellte Weise zunächst mehrere 2-Zug-Konflikte identifiziert. Die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen ihnen und Einflüsse z. B. auf weitere Konfliktarten werden im Rahmen der Konfliktlösung berücksichtigt.

Die Zeitpunkte beziehen sich räumlich auf den Ort, auf den sich der kleinste erforderliche zeitliche Abstand bezieht oder auf den entsprechenden Abschnitt (bei Mindestzugfolgezeiten für Strecken).

Der Zeitraum, für den die Konflikterkennung erfolgt, kann parametrisiert und damit eingeschränkt werden. Seine Größe beeinflusst sowohl die Rechenzeit als auch ggf. die Ergebnisqualität des Konfliktmanagements (vgl. Oetting et al. 2013; Crespo 2020). Beispielsweise lassen sich im Betrieb Entscheidungen für die nächsten fünf Minuten oft nicht mehr umsetzen, da bereits Fahrstraßen gestellt sind. Aufgrund der Unsicherheit aus zukünftigen Urverspätungen wird der Zeitraum für die Konflikterkennung z. B. auf 45 Minuten ab der aktuellen Zeit begrenzt.

Sofern Konflikterkennung und -lösung nicht gleichzeitig erfolgen, ist das Ergebnis der Konflikterkennung eine Liste der Konflikte einschließlich ihrer für die Konfliktlösung relevanten Eigenschaften (z. B. Zeit, Ort, Konfliktart, beteiligte Züge).

Im Weiteren werden die Besonderheiten je Konfliktart dargestellt.

Spezifika je Konfliktart

Bei Belegungskonflikten hängt die Mindest-Bindungszeit von der Reihenfolge des Eintreffens der Züge ab, da in der Regel gilt: tZ,ij ≠ tZ,ji. Kein Konflikt liegt vor, wenn sich zwei Durchrutschwege überlappen.

Belegungs- und Verfügbarkeitskonflikte lassen sich – je nach Granularität der Infrastrukturmodellierung (vgl. Kap. 3.1.1) – je Fahrwegabschnitt oder für jedes Netzelement identifizieren. Wenn der Zug i so spät kommt, dass er den Zug j nicht mehr beeinflusst bzw. bei Verfügbarkeitskonflikten die Störung der Infrastruktur nicht mehr besteht, liegt ebenfalls kein Konflikt vor. Somit müssen, damit ein Konflikt existiert, beide Ungleichungen erfüllt sein:

tBind,ij < tBind,ij,min + tP,ij,min ⌃ tBind,ji < tBind,ji,min + tP,ji,min

Bei Folgefahrten und Verfügbarkeitskonflikten wird der erste (Fahrweg-)Abschnitt in dem die Ungleichungen nicht erfüllt sind als Konfliktort gewählt, bei Gegenfahrten der (Fahrweg-)Abschnitt, in dem sich die beiden Zeit-Wege-Linien schneiden.

Der Konfliktweg umfasst die gemeinsamen Fahrwegabschnitte rund um den Konfliktort. Er wird in beiden Richtungen begrenzt durch den nächsten Überholungs-/Kreuzungsbahnhof, die nächste Abzweigstelle, die von nur einem der beiden Züge zum Abzweigen genutzt wird, einem längeren Halt von einem der beiden Züge sowie Start oder Ende der beiden Zugfahrten (Oetting et al. 2013). Im Betrieb wird er zusätzlich durch den aktuellen Standort der Züge und bereits eingestellte Fahrstraßen begrenzt.

Umlaufkonflikte und Personalumlaufkonflikte entstehen auch, wenn zu Beginn eines Umlauftags keine geeigneten Fahrzeuge bzw. kein geeignetes Personal am Ort des Beginns verfügbar sind. Das Flügeln von Zügen führt zu mehr als einer Bindung des Zubringers zu Abbringern.

Anschluss-, Umlauf- und Personalumlaufkonflikte lassen sich bezogen auf einen Bahnhof identifizieren.

Fazit

Die Konfliktlösung ist in der Regel ein Problem, dessen Rechenzeit mehr als polynominell mit der Problemgröße wächst (NP-vollständiges Problem). Es ist daher i. d. R. nur mit Näherungsverfahren lösbar. Dabei ist grundsätzlich zwischen der Rechenzeit und der Qualität der Ergebnisse bei gleichzeitig meist hohen Anforderungen an die Rechenzeit abzuwägen.

Um eine niedrige Rechenzeit bei der Planung und Disposition zu erreichen, können die Granularität der Eingangsgrößen reduziert, der Lösungsraum eingegrenzt oder das Problem in Teilprobleme aufgeteilt werden. Häufig kommen abstraktere Modellierungen, die Fokussierung auf einzelne Konfliktarten oder Näherungsverfahren zum Einsatz, die den Lösungszeitraum begrenzen.

Im Fachbuch erfahren Sie mehr über konkrete Ansätze und Methoden zur Konfliktlösung, die für Planung und Disposition direkt anwendbar sind. Außerdem erhalten Sie Einblicke in zukünftige Entwicklungen in der Automatisierung, die neue Möglichkeiten zur Verbesserung dieser Ansätze und zur Erfüllung steigender Qualitätsanforderungen bieten, in die Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie ihre rechtlichen Grundlagen.

Literatur
DB Netz AG: Ril 405.0103 – Grundlagen Zeitverbrauch bei Nutzung der Fahrwegkapazität, gültig ab 01.01.2008.

A. Crespo; C. Steinbach; S. Chai; A. Oetting (2023): Towards a Generic Heuristic Approach for the Real-Time and Automatic Schedule Adjustment. In: RailBelgrade 2023, 10th ICROMA, April 25th – 28th, 2023, Belgrade, Serbia.

S. Pferdmenges, K. Schaefer: Automatische Konflikterkennung und wissensbasierte Konfliktlösung in der Streckendisposition. In: Signal und Draht 87.5 (1995), 174-177.

A. Oetting, R. Kaufmann, T. Weidner: Entwicklung eines Konfliktassistenzsystems für die Disposition bei der DB Netz AG. In: Tagungsband der IT13.rail „A new railway age – future challenges and opportunities in quality and capacity optimisation“, Zürich, 2013.

A. Crespo Materna: Dynamic and Intermodal Disruption-Management for Commuter Railway Networks, Dissertation. Darmstadt: TU Darmstadt, 2020.


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