Der Betrieb einer Eisenbahn – sowohl seitens des EIU wie auch seitens des EVU – verläuft leider nicht immer frei von Störungen. Insbesondere kann trotz aller Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden, dass Personen oder Sachen bei diesem Betrieb Schaden nehmen. Dann stellt sich stets die Frage, ob und inwieweit das Unternehmen oder dessen Mitarbeiter dafür einstehen – „haften“ – müssen.
Haftung allgemein
Haften heißt, für einen Schaden einstehen zu müssen, den jemand anderer etwa als Personen- oder Sachschaden erlitten hat. Schaden ist dabei jede Einbuße an rechtlich geschützten materiellen, ausnahmsweise auch immateriellen Lebensgütern.
Nach den Regelungen des BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist (der „Ersatzpflichtige“ bzw. – nachfolgend – „Schädiger“), in erster Linie den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Der Schädiger hat demnach z. B. eine beschädigte Sache wiederherzustellen (also zu reparieren). Dabei kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Nach Maßgabe des § 250 BGB kann der Gläubiger dem Schädiger zur Herstellung eine angemessene Frist mit der Erklärung setzen, dass er die Herstellung nach dem Ablauf der Frist ablehne. Nach dem Ablauf der Frist kann der Gläubiger den Ersatz in Geld verlangen, wenn nicht die Herstellung rechtzeitig erfolgt.
Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Schädiger den Gläubiger in Geld zu entschädigen (§ 251 Abs. 1 BGB). Der Schädiger kann den Gläubiger von sich aus in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist (§ 251 Abs. 2 BGB).
Der Geschädigte muss zur Erlangung des Schadensersatzes aufgrund seiner „Beweislast“ alle entsprechenden Voraussetzungen darlegen und beweisen. Dazu gehört insbesondere die Höhe des Schadens, die Verursachung durch den Schädiger, die Rechtswidrigkeit des Handelns des Schädigers und dessen Verschulden.
Gehaftet wird dabei nur für adäquat verursachte Schäden, d. h., der Schaden muss seine Ursache in einem bestimmten Tun oder Unterlassen des Schädigers haben und nicht etwa rein zufällig dabei entstanden sein („Kausalität“).
Der Schaden muss rechtswidrig zugefügt sein. Rechtswidrigkeit liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt. Dies kann z. B. Notwehr, Notstand, Selbsthilfe oder die vorherige Einwilligung des Verletzten zu der Tat sein.
Notwehr ist dabei diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (§ 227 Abs. 2 BGB). Ein Fall des Notstands liegt vor, wenn jemand eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, soweit die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht (§ 228 BGB).
Selbsthilfe liegt nach Maßgabe der §§ 229 bis 231 BGB dann vor, wenn jemand eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.
Rechtswidrig kann nicht nur eine aktive Handlung, sondern auch ein Unterlassen sein. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Schädiger aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht oder aufgrund seiner „Garantenstellung“ (z. B. als Sicherungsposten) zur Beaufsichtigung und Warnung von Personen tätig werden müsste, aber dennoch untätig bleibt, also eine Rechtspflicht zum Tätigwerden hatte (z. B. bei einem Sicherungsposten die Pflicht zur rechtzeitigen Warnung von im Gleis arbeitenden Personen).
Grundsätzlich – Ausnahme siehe die „Gefährdungshaftung“ – wird nur für schuldhaft verursachte Schäden gehaftet. Das bedeutet, dass der Geschädigte dem Schädiger Vorsatz oder Fahrlässigkeit nachweisen muss.
Vorsatz liegt dann vor, wenn der Schädiger die Schadensursache mit Wissen und Wollen geschaffen hat („direkter Vorsatz“). Vorsatz liegt aber bereits auch dann vor, wenn der Schädiger den zukünftigen Schaden erkannt hat und ihn billigend in Kauf genommen hat („bedingter Vorsatz“).
Fahrlässigkeit heißt Außerachtlassen der konkret und objektiv im Einzelfall erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt. Verstößt der Schädiger gegen elementare, im gegebenen Fall jedem ohne Weiteres einleuchtende Pflichten in besonders schwerem Maß, so spricht man von grober Fahrlässigkeit.
Ein eigenes Verschulden des Geschädigten beim Entstehen des Schadens mindert seinen Schadensersatzanspruch entsprechend („Mitverschulden“, § 254 BGB).
Neben der Haftung für ein unmittelbares eigenes Handeln kommt auch eine Haftung bei einem Fehlverhalten einer anderen Person in Betracht. Zwei Beispiele hierfür sind die §§ 278 und 831 BGB:
Nach § 278 Satz 1 BGB hat der Schuldner „ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden“ (Haftung für Erfüllungsgehilfen).
Erfüllungsgehilfe ist dabei, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners bei Erfüllung einer dem Schuldner obliegenden (vertraglichen) Verbindlichkeit tätig wird, also das tut, was an sich der Schuldner selbst tun müsste.
Nach § 278 BGB haftet der Schuldner für das Verschulden seines Gehilfen, also dafür, dass dieser fahrlässig oder vorsätzlich einem Dritten einen Schaden zufügt.
§ 278 BGB ist dabei lediglich eine „Zurechnungsnorm“, indem sie das Verschulden des Gehilfen dem eigentlichen Schuldner zurechnet, aber keine eigene Anspruchsgrundlage für den Geschädigten.
Demgegenüber steht die Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB:
Hiernach ist derjenige, der „einen anderen zu einer Verrichtung bestellt“ (der „Geschäftsherr“) zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere (der „Verrichtungsgehilfe“) „in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt“. Diese Ersatzpflicht besteht aber insbesondere dann nicht, wenn der Geschäftsherr den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgewählt und überwacht hat oder wenn der Schaden trotz dieser Sorgfalt entstanden wäre.
Verrichtungsgehilfe ist dabei jeder, der von Weisungen des Geschäftsherrn abhängig ist, was insbesondere bei Arbeitnehmern der Fall ist. Nach § 831 BGB haftet der Geschäftsherr also für die falsche Auswahl bzw. Beaufsichtigung von Verrichtungsgehilfen. Es handelt sich also um eine Haftung für eigenes Verschulden! § 831 BGB ist eine eigene Anspruchsgrundlage.
Mitarbeiter der Eisenbahn können, je nach Situation, Verrichtungs- oder Erfüllungsgehilfen der Eisenbahn sein.
Vertragshaftung
Die Haftung aus Vertrag kommt bei der Eisenbahn am häufigsten auf dem Beförderungssektor vor. Sie beschränkt sich jedoch nicht auf diesen, sondern kann sich in allen Fällen ergeben, in denen die Eisenbahn auf vertraglicher Grundlage Leistungen für Dritte erbringt oder Leistungen von Dritten in Anspruch nimmt.
Im Bereich der Personenbeförderung, an dem die Vertragshaftung verdeutlicht werden soll, entsteht zwischen der Eisenbahn und Personen, die eine Fahrkarte gekauft haben, ein Beförderungsvertrag. Dieser gilt rechtlich als Werkvertrag, dem die Bestimmungen der §§ 631 bis 651 BGB, die Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) und die Tarife zugrunde liegen.
Die Haftung erfolgt aus Verschulden (§ 276 BGB bei Nichterfüllung oder Schlechterfüllung).
Kommt es wegen schuldhafter Verletzung der Pflichten aus dem Beförderungsvertrag zu einem Unfall, haftet die Eisenbahn auf Schadensersatz, wenn die Pflichtverletzung für den Schaden ursächlich war. Die Eisenbahn muss sich dabei das Verhalten ihrer Organe und der verfassungsmäßig berufenen Vertreter sowie ihrer Mitarbeiter – Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) – zurechnen lassen.
Die Haftung ist der Höhe nach unbegrenzt. Schmerzensgeldansprüche und Unterhaltsansprüche Hinterbliebener gegen die Eisenbahn scheiden bei der Haftung aus Beförderungsvertrag jedoch aus. Des Weiteren sind die Besonderheiten der EVO zu beachten.
Die Ansprüche verjähren regelmäßig in drei Jahren, in bestimmten Fällen in bis zu 30 Jahren (§§ 195 ff. BGB).
Haftung aus unerlaubter Handlung
Für die Haftung aus „unerlaubter Handlung“ (auch als „Deliktshaftung“ bezeichnet) gelten die §§ 823 ff. BGB.
Die grundlegende Norm ist dabei § 823 BGB:
- Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
- Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Zum Begriff der widerrechtlichen Verletzung bzw. zum Verschulden zählt auch die unerlaubte Unterlassung, wenn eine Verpflichtung zum Handeln besteht.
Zu ersetzen sind insbesondere alle Nachteile, die dem Verletzten entstehen, wie z. B. Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall, Beerdigungskosten, Unterhalt an Hinterbliebene sowie eine Entschädigung in Geld für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (Schmerzensgeld).
Das Mitverschulden des Verletzten ist auf der Grundlage des § 254 BGB zu berücksichtigen. Die Beweislast für den Schaden obliegt dem Verletzten, und zwar dem Grunde und der Höhe nach.
Eine Forderung aus unerlaubter Handlung verjährt nach § 195 BGB nach drei Jahren. Die Verjährung beginnt mit Kenntnis des Gläubigers (also des Verletzten) über die den Anspruch begründenden Umstände bzw. ab dem Moment, in dem er grob fahrlässig diese Umstände nicht zur Kenntnis nimmt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Gefährdungshaftung
Die „Gefährdungshaftung“ beruht auf dem Gedanken, dass z. B. der Eigentümer einer Sache oder eines Betriebs (wie etwa die Eisenbahn) verschuldensunabhängig für die Schadensfolgen einzustehen hat, die von der Sache oder dem Betrieb ausgehen. Hierfür gelten die jeweiligen Bestimmungen der Gefährdungshaftung.
Die Gefährdungshaftung der Eisenbahnen ergibt sich aus dem HaftPflG.
Nach § 1 Abs. 1 HaftPflG ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz verpflichtet, wenn beim Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht ist (§ 1 Abs. 2 HaftPflG).
„Betriebsunternehmer“ ist derjenige, der eine Bahn für eigene Rechnung benutzt und über den Betrieb die Verfügung hat, also sowohl das EIU als auch das EVU.
Auf ein Verschulden des Betriebsunternehmers kommt es dabei nicht an. Voraussetzung für die Haftung nach dem HaftPflG ist lediglich, dass der Schaden ursächlich beim Betrieb der Bahn entstanden ist. Den Nachweis hierüber muss der Geschädigte erbringen. Ebenso muss er seinen Schaden der Höhe nach nachweisen.
Unter Betrieb der Bahn ist nicht nur das Bewegen von Fahrzeugen zu verstehen. Eine Betriebsgefahr kann auch vom stillstehenden Fahrzeug ausgehen, z. B. beim Ein- und Aussteigen, und auch durch andere, mit der Beförderung des Reisenden verbundene Vorgänge, z. B. Gedränge auf Bahnsteigen, ausgelöst werden.
Die Haftung nach dem HaftPflG ist der Höhe nach begrenzt:
Nach § 9 HaftPflG ist die Haftung nach dem HaftPflG im Falle der Tötung oder Verletzung eines Menschen für jede Person auf einen Kapitalbetrag von maximal 600.000 Euro oder auf einen maximalen Rentenbetrag von jährlich 36.000 Euro begrenzt. § 10 HaftPflG begrenzt den Ersatz von Sachschäden auf einen Maximalbetrag von 300.000 Euro.
Soweit demnach ein Geschädigter einen darüber hinausgehenden Ersatzanspruch geltend machen will, muss er insoweit auf die verschuldensabhängige Haftung der §§ 823 ff. BGB zurückgreifen.
Aus der Gefährdungshaftung sind dem Geschädigten alle materiellen Schäden zu ersetzen, zu denen u. a. Heilungskosten, Verdienstausfall, Erwerbsminderung und Aufwendungen für vermehrte Bedürfnisse (z. B. laufende Pflege) gehören (§ 6 HaftPflG). Im Falle der Tötung haben die gesetzlich Unterhaltungsberechtigten Ersatzanspruch für entgangenen Unterhalt und für die Kosten der Beerdigung.
Die Eisenbahn ist von der Haftung befreit, wenn sie nachweist, dass der Unfall auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Unter höherer Gewalt ist generell ein unabwendbares Ereignis zu verstehen, das auch durch Anwendung äußerster, den Umständen nach möglicher und dem Betreffenden zumutbarer Sorgfalt nicht zu vermeiden war.
Ein Mitverschulden des Verletzten ist entsprechend den Vorschriften des § 254 BGB zu berücksichtigen. Hat ausschließlich das alleinige Verschulden des Verletzten zu dem Unfall geführt, so kann dadurch die Haftung des Betriebsunternehmers aus der Betriebsgefahr völlig in den Hintergrund gedrängt werden. Jedoch kommt es hier auf den Grad des Verschuldens an (leicht fahrlässig, fahrlässig, grob fahrlässig, vorsätzlich).
Es obliegt dem Verletzten, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Schaden beim Betrieb der Eisenbahn entstanden ist.
Der Nachweis für das evtl. Vorliegen höherer Gewalt oder für evtl. Selbst- oder Mitverschulden des Verletzten obliegt dem Betriebsunternehmer.
Die Höhe des Schadens hat der Verletzte darzulegen und nachzuweisen.
Auf die Verjährung finden die für unerlaubte Handlungen geltenden Verjährungsvorschriften des BGB entsprechende Anwendung (§ 11 HaftPflG). Die Forderung verjährt demnach nach drei Jahren.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Gefährdungshaftung nicht auf den Bereich des Eisenbahnbetriebs beschränkt ist. Aus Gefährdung haften in ähnlicher Weise z. B. der Betreiber eines Kraftfahrzeugs, der Inhaber einer Energieanlage gemäß HaftPflG sowie die Inhaber bestimmter Anlagen.
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