Die Forschung im Eisenbahnwesen beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten der Automatisierung, Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz. Dies kann darüber hinwegtäuschen, dass der Mensch weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Gesamtsystems Bahn ist und bleiben wird. Daher ist es wichtig, sich mit dem Menschen im System Bahn auseinanderzusetzen. In den letzten Jahren wurde dafür zunehmend der Begriff der „Rail Human Factors“ geprägt.
Zweck des Bahnbetriebs ist die Durchführung von Fahrten mit Eisenbahnfahrzeugen auf einer Eisenbahninfrastruktur.[1] Diese einfache Definition erfordert, dass zur Erreichung dieses Ziels unterschiedliche Partner zusammenarbeiten müssen. Das Eisenbahnsystem ist ein klassisches soziotechnisches System. In [2] wird dies konkretisiert:
- Es ist ein zielgerichtetes System, das offen ist für Einflüsse und wiederum Einflüsse auf die Umwelt (technisch, sozial, wirtschaftlich, demografisch, politisch, rechtlich usw.) hat.
- Die Personen darin müssen zusammenarbeiten, damit es ordnungsgemäß funktioniert.
- Und der Erfolg bei der Umsetzung von Veränderungen und in ihrer Funktionsweise hängt davon ab, dass die technischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren so weit wie möglich gemeinsam optimiert werden.
Der Mensch als wesentlicher Träger sozialer Interaktion findet sich in allen drei Bedingungen wieder. Die Tatsache, dass der Mensch das System Bahn wesentlich mitgestaltet, ist nicht neu. Allerdings hat sich die Bedeutung, die man dem Menschen für die Sicherheit des Systems beimisst, signifikant in den letzten Jahren verschoben. In [3] wird dies anhand der sogenannten Zeitalter der Human Factors-Forschung beschrieben.
Drei Phasen der Human Factors-Forschung
Im ersten Zeitalter bis in die 1970er Jahre wurde der Mensch vor allem als Systembegrenzung verstanden. Der Mensch erschien ungenau, variabel in seinen Handlungen und langsam. Es wurde versucht, diesen Limitierungen durch Training, Systemdesign und Automatisierung entgegenzuwirken. Aber bereits in diesen frühen Jahren wurde festgestellt, dass beispielsweise durch Automatisierung nicht alle Probleme behoben werden können.[4] In den 1980er Jahren veränderte sich der Fokus der Human Factors-Forschung. Im sogenannten zweiten Zeitalter der Human Factors-Forschung wurde der Schwerpunkt auf den Menschen als Belastung gelegt. Im Mittelpunkt stand die Beschäftigung mit dem menschlichen Fehler.
Diese Ansicht begann sich in den 2000er Jahren zu ändern. Für das dritte Zeitalter der Human Factors-Forschung lautet die allgemeine These, dass alle soziotechnischen, komplexen Systeme unterbestimmt sind. Dies bedeutet, dass möglicherweise Details fehlen oder nicht alle Prozesse und Abhängigkeiten vollständig verstanden werden (auch [5], [6]). An diesem Punkt werden Menschen notwendig, da sie in der Lage sind, wirksame Wege zu finden, um Probleme zu überwinden.
Die drei Phasen der Human Factors-Forschungen sind im Eisenbahnwesen weniger präsent als in anderen Domänen. In der Kerntechnik und auch in der Luftfahrt wurde bereits viel früher die Einbindung des Menschen in das Gesamtsystem untersucht. Es kann aber argumentiert werden, dass gerade die Grundaussagen der zweiten Phase auch die Entwicklungen des deutschen Eisenbahnwesens geprägt haben. Viele Veränderungen der letzten Jahrzehnte wurden durch das Bemühen ausgelöst, den fehlerbehafteten Menschen durch Technik sicherer zu machen. Dabei ist festzustellen, dass die Maßnahmen häufig reaktiv waren: Kam es zu einem Unfall, wurden neue Systeme oder Prozesse eingefügt, welche die unfallauslösende Situation verhindern sollten.
Eine systematische Beschäftigung mit dem Menschen im System ist lange Zeit nicht feststellbar gewesen. So wird beispielsweise in der DIN EN 50126 der Mensch zwar erwähnt, aber nur in allgemeiner Weise und ohne detaillierte Hinweise zur Berücksichtigung im Entwicklungsprozess.[7] Dies trägt nicht zu einer frühzeitigen Berücksichtigung von menschlichen Einflüssen bei.
Zukünftig muss es das Ziel sein, Systeme von vornherein so zu designen, dass der Mensch optimal und entsprechend seiner Fähigkeiten Teil des Gesamtsystems ist. Existierende Systeme müssen regelmäßig darauf überprüft werden, ob sie noch entsprechend ihrer Spezifikation und unter unveränderten Randbedingungen genutzt werden. Im Zweifelsfall muss nachgesteuert werden. In jedem Fall ist es nicht ausreichend, nur das (technische) Teilsystem zu betrachten, sondern die Einbindung in das Gesamtsystem beziehungsweise die Gesamtorganisation ist zu berücksichtigen und gesamtheitlich zu analysieren.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen stellt sich die Frage, wie der menschliche Einfluss beispielsweise bei den Arbeitsplätzen des Triebfahrzeugführers (Tf) und Fahrdienstleiters (Fdl) zu berücksichtigen ist. Im Folgenden wird kurz die Entwicklung der Arbeitsplätze von Tf und Fdl angerissen, bevor drei unterschiedliche Forschungsbereiche vorgestellt und anhand von Beispielen erläutert werden.
Arbeitsplatz von Tf und Fdl: gestern – heute – morgen
War der Arbeitsplatz des Tf früher vor allem durch körperliche Arbeit geprägt, hat dies in den letzten Jahrzehnten dramatisch abgenommen. Besonders mit der Einführung von Überwachungs- und Unterstützungssystemen, bis hin zur Automatischen Fahr- und Bremssteuerung, wandelte sich die aktive Tätigkeit des Tf hin zu einer vor allem überwachenden.
Behielt in den beschriebenen technischen Ausstattungen der Tf letztendlich die Verantwortung, wird dies zukünftig bei hochautomatisierten Systemen (GoA 3 und GoA 4,[8]) nicht mehr der Fall sein. Automatisch arbeitende Systeme werden dann den Zug fahren. Damit wird sich der Arbeitsplatz des Tf weiter wandeln: Es werden neue Aufgaben hinzukommen (zum Beispiel als Zugbegleiter, die im Notfall den Zug vor Ort steuern können) oder bestehende Aufgaben werden sich verschieben (zum Beispiel Arbeitsplätze für Tf in Überwachungseinrichtungen zur Fernsteuerung von Zügen im Notfall). Die Entwicklung dieser Systeme ist noch nicht abgeschlossen; hier wird es notwendig werden, ganz genau zu analysieren, wie solche neuen Arbeitsplätze gestaltet werden können.
Eine reine Verlagerung zum Beispiel des Triebfahrzeugführerstandes in eine Überwachungseinrichtung ohne Anpassungen wird nicht ausreichen, da grundsätzliche Informationen bezüglich Wetter oder dem Fahrzeug nicht mehr wie gewohnt zur Verfügung stehen und dieser Informationsverlust in seiner Auswirkung bewertet werden muss. Auch die Notwendigkeit von Streckenkunde ist zu diskutieren und gegebenenfalls anzupassen. Da sich neue technische Entwicklungen bisher im Allgemeinen stark an bestehenden Implementierungen orientiert haben, stehen die Entwickler hier vor einer großen Herausforderung.
Auch der Arbeitsplatz des Fdl hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Der zu überwachende Bereich ist angewachsen. Die Zahl an Regelbedienungen hat abgenommen, die eigentlich als selten angesehenen Hilfsbedienungen nehmen einen deutlich größeren Raum ein.[9] Es muss analysiert werden, ob die vorhandenen Sicherheitsmechanismen unter diesen geänderten Randbedingungen noch wirken. Auch ist beispielsweise zu prüfen, ob Fdl zu jeder Zeit über ausreichend Situationsbewusstsein verfügen, um die dargestellte Betriebssituation zuverlässig bewerten zu können. Fragen der Arbeitsbelastung müssen neu aufgeworfen und für die geänderten Randbedingungen bewertet werden.
Zukünftig ist vorstellbar, dass durch die Nutzung lernender Systeme/künstlicher Intelligenzen hier signifikante Verschiebungen an Aufgaben und Verantwortlichkeiten anstehen. Auch eine komplette Virtualisierung der Zugsteuerung ist vorstellbar.[10] Auch hier muss überlegt werden, welche grundsätzlichen Informationen, die ein Fdl heute implizit oder explizit nutzt, in einem neuen System bereitgestellt werden können.
Usability/User Experience – Nutzerzentriertes Design
Usability ist ein Forschungszweig, der sich seit den 1970er Jahren entwickelt hat. Usability ist laut Definition in DIN ISO 9241-11 das Ausmaß, in dem ein System durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen. In der Praxis der Usability-Analysen liegt im Allgemeinen der Schwerpunkt auf Effektivität. Das heißt, dient ein Produkt tatsächlich der Zielerreichung und der Effizienz, wird das Ziel zügig und mit möglichst wenig Aufwand erreicht. In vielen Bereichen ist es eine Selbstverständlichkeit, die Usability neuer Produkte stringent zu testen und zu analysieren. Ein gutes Beispiel dafür sind zum Beispiel Mobiltelefone. Eine intuitive, einfache Benutzung trägt signifikant zur Verbreitung und damit dem Markterfolg bei.
In den 2000er Jahren erfolgte eine Weiterentwicklung des Usability-Konzeptes hin zur User Experience. Die Forschung hat festgestellt, dass es in vielen Fällen nicht nur darum geht, effektiv und effizient zu arbeiten, sondern auch darum, Spaß zu haben. User Experience umfasst laut DIN ISO 9241-210 Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren. Dies umfasst alle Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Wahrnehmungen, physiologischen und psychologischen Reaktionen, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben. User Experience ist daher per Definition deutlich subjektiver in ihrer Aussage. Während dies im privaten Bereich einleuchtend und selbstverständlich ist, konnte nachgewiesen werden, dass sich durch Zufriedenheit an einem Produkt tatsächlich das Arbeitsergebnis verbessert.[11]
Sowohl bei der Analyse von Usability wie auch User Experience besteht ein großer Vorteil in der frühzeitigen Einbindung von Mitarbeitern in den Entwicklungsprozess, was zu einer größeren Identifikation dieser Mitarbeiter mit dem neuen Prozess oder Produkt beiträgt. Wählt man als Kontaktpersonen erfahrene, gut vernetzte Kollegen, so wirkt sich dies beispielsweise bei der Akzeptanz neuer Systeme durch die Belegschaft aus.[12]
Im Eisenbahnwesen werden bei der Entwicklung von Systemen und Software bereits heute Usability-Studien durchgeführt.[13] Soweit bekannt, wird User Experience noch nicht verbreitet analysiert. Der Vorteil bei beiden Fragestellungen ist, dass es durch die bereits vorhandene Normung klar ist, welche Arbeitsschritte notwendig sind. Besonders für den Bereich der Usability gibt es eindeutige Kriterien, was ein gutes Produkt ausmacht.
Im Rahmen einer Betrachtung im Eisenbahnwesen sind die Vorgaben umzusetzen und auf konkrete Fragestellungen anzuwenden. Ein Beispiel ist die Gestaltung von Notrufen. Hier kam es in der Vergangenheit zu Schwierigkeiten.[14] Eine Usability-Untersuchung des Systems hätte diese Probleme frühzeitig erkennen können, da es zum Beispiel nicht aufgabenangemessen und selbstbeschreibungsfähig ist.
Auch die Gestaltung von Führerständen ist ein Bereich, der durch Usability-Untersuchungen gewinnen kann. Die unterschiedlichen Aufgaben eines Tf verlangen, dass Anzeigen und Medien so gestaltet sein sollten, dass es möglichst einfach und fehlerfrei möglich ist, mit ihnen zu arbeiten. Hier können entsprechende Studien helfen, frühzeitig Probleme zu identifizieren. Bei der zukünftigen Gestaltung von Arbeitsplätzen beispielsweise für eine Remote-Steuerung von Zügen sind ähnliche Überlegungen notwendig. Hier kommt erschwerend hinzu, dass der Person, die nicht im Zug befindlich ist, zusätzliche Informationen zu übermitteln sind. Dies so darzustellen, dass diese Person möglichst fehlerfrei agiert, ist eine Herausforderung, bei der die Anwendung der Regeln der Usability helfen kann.
Sicherheitskultur
Das Thema Sicherheitskultur kam in den 1980er Jahren nach dem Unfall von Tschernobyl, dessen Analyse ein Organisationsversagen verdeutlichte, in das Bewusstsein der Gesellschaft. Arbeiten von Perrow[6] und Reason[15] machten damals deutlich, dass unsere heutigen technischen Systeme immer komplexer werden und es neue ganzheitliche Ansätze geben muss, um die Sicherheit zu garantieren. Dabei wurde festgestellt, dass es nicht ausreichend ist, technische Barrieren vorzusehen, sondern der Mensch ist aktiv in den Prozess der Gefahrenabwehr einzubinden. Es darf nicht das Ziel sein, dass die Menschen nur Vorgaben umsetzen, sondern Sicherheitskultur ist dann erfolgreich, wenn die Vorgaben verstanden werden.
In [16] wird Sicherheitskultur wie folgt definiert als „… assembly of characteristics and attitudes in organizations and individuals which establishes that, as an overriding priority, safety issues receive the attention warranted by their significance.“ Sicherheitskultur umfasst sowohl die Organisationen als auch das Individuum und berücksichtigt persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen, wie auch die Art der Organisation. Sicherheitskultur bedeutet nicht nur das Vorliegen von Prozessen und Vorgaben, sondern das Begreifen der dahinterliegenden Bedingungen, Abläufe und Annahmen, um im Zweifelsfall reagieren zu können. Alle Beteiligten in dem System müssen die zugewiesenen Aufgaben und Prozesse korrekt ausführen.
Im Unterschied zu dem vorher beschriebenen Arbeitsfeld Usability/User Experience ist Sicherheitskultur weniger durch Normen und klare Prozesse bestimmt. Um Sicherheitskultur erfolgreich umzusetzen, benötigt es Training und vor allem Kommunikation auf allen Hierarchieebenen. Dabei sind sowohl technische Aspekte als auch organisatorische und soziale Implikationen zu adressieren. Der Erfolg von Sicherheitskultur kann anders als bei Usability/User Experience nicht immer eindeutig bewertet werden. Er zeigt sich häufig erst, wenn ein Notfall/Störfall eintritt.
Ein gutes Beispiel für Sicherheitskultur ist die Einhaltung von Prozessen, vor allem solchen, die im Allgemeinen erfolgreich sind. Muss ein Fahrdienstleiter regelmäßig prüfen, ob ein Gleis unbesetzt ist, so wird er versucht sein, diesen Schritt wegzulassen, wenn er glaubt zu wissen, dass es frei ist. Ein weiteres Beispiel ist die Einhaltung des vorgeschriebenen Wortlauts bei Zugmeldungen. Der Unfall von Warngau[17] illustriert hier gut das Problem: Die Fdl hatten vermutlich aufgrund von Erfahrung und Bequemlichkeit die Texte verkürzt, da sie glaubten zu wissen, was der andere sagt.
Ein wesentliches Element von Sicherheitskultur ist das Verständnis der Mitarbeiter für die Hintergründe der betrieblichen Regeln
Solange es nicht möglich ist, den Menschen durch Hilfsmittel bei der Einhaltung von Prozessen zu unterstützen – und es geht hier nicht darum, ihn zu kontrollieren – muss Sicherheitskultur qualitativ vermittelt werden. Dies bedeutet, immer wieder auf die betriebliche Notwendigkeit hinzuweisen, Verständnis für den Zusammenhang von betrieblichen Handlungen und Risiko zu erzeugen.
Prozess- und Aufgabengestaltung
Wie bereits angerissen, ändern sich nicht nur die technischen Systeme, sondern auch Regeln, Prozesse und Kompetenzen. In allen diesen Fällen müssen die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Menschen im gegebenen Kontext betrachtet und analysiert werden. Die geschieht beispielsweise durch Beobachtung, Interview und Experimente.
Durch Beobachtung der relevanten Situationen im Alltag können bereits Rückschlüsse gezogen werden, wie Aufgaben umgesetzt werden und warum bestimmte Handlungen ausgeführt werden. Auch wenn klar ist, dass eine Person sich unter Beobachtung immer anders verhalten wird, als wenn sie unbeobachtet ist, ist dies ein sinnvoller erster Arbeitsschritt, um eine zu beurteilende Situation oder ein entsprechendes technisches System besser zu verstehen. Interviews dienen unter anderem dazu, Meinungen zu erfragen, Verständnisfragen zu stellen und Feedback zu erhalten. Gerade wenn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht, können Interviews wichtige Forschungsansätze liefern. Durch Experimente unter Variation der Randbedingungen können konkret Fragestellungen untersucht werden. Häufig werden dazu Simulationen verwendet.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Konstrukt des Situationsbewusstseins. Situationsbewusstsein wird hier verstanden als die Fähigkeit des Menschen, Situationen korrekt wahrnehmen, zutreffend zu interpretieren und daraus adäquate Handlungen zu generieren.[18] Das vorhandene Situationsbewusstsein ist abhängig von den Randbedingungen. So ist einleuchtend, dass sich bei einer rein überwachenden Aufgabe über einen längeren Zeitraum das Verständnis für die aktuelle Situation verändert. Dies kann in Experimenten analysiert und zum Beispiel durch Fragebögen, Blickanalysen und der Auswertung betrieblicher Daten quantitativ nachgewiesen werden. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse kann dann das technische System, der Prozess oder die Aufgabe neu strukturiert werden und die Effektivität dieser Maßnahme durch Validierung im Experiment nachgewiesen werden. Andere Beispiele, die durch die oben genannten Methoden analysiert werden können, sind die Arbeitsbelastung oder die Einflussfaktoren, die die Leistungsfähigkeit von Menschen beeinflussen.
Der hier beschriebene Forschungsbereich unterscheidet sich erneut von den beiden vorher beschriebenen Arbeitsgebieten. Zwar gibt es Normen, die angewendet werden können, aber die Anwendung auf die konkreten Situationen erfordert eine signifikante Transferleistung. Auch ist der Erfolg einer Analyse an selbst festzulegenden Kriterien zu messen, was dann jedoch im Allgemeinen sowohl qualitativ wie auch quantitativ erfolgen kann.
Durch die oben beschriebenen Veränderungen am Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters gibt es in diesem Bereich eine Vielzahl von Fragestellungen. Besonders hervorzuheben sind hier Überlegungen, ob nach einer Zusammenlegung von Steuerbereichen für den Fahrdienstleiter dieser noch ausreichendes Situationsbewusstein hat, um im Fall von Störungen oder Besonderheiten im Betriebsablauf korrekt und sicher zu reagieren. Kann er erkennen, wenn eine Anzeige zum Beispiel zur Besetzung von Bahnhofsgleisen, in der Übersicht nicht nachvollziehbar ist? Welcher Bedeutung kommen Ortskenntnis und der Aufrechterhaltung von dieser bei komplexen Situationen zu?
Aber auch die Performance Shaping Factors, also die Randbedingungen, die den Erfolg oder Misserfolg von Arbeiten beeinflussen, sind spannende und aktuelle Forschungsgebiete, da sich durch die technischen Veränderungen das Arbeitsumfeld und daraus resultierend die Arbeitsbedingungen verändern. Diese Einflüsse sind beispielsweise Stress, neue oder veränderte Kommunikation oder die Aufteilung und Gestaltung neuer Arbeitsräume.
Und was sind Rail Human Factors?
Der Begriff der Rail Human Factors hat sich erst in den letzten Jahren im allgemeinen Sprachgebrauch des Eisenbahnwesens durchgesetzt. Laut der International Ergonomics Association (IEA)[19] kann man Human Factors wie folgt definieren: „Ergonomics (or human factors) is the scientific discipline concerned with the understanding of interactions among humans and other elements of a system, and the profession that applies theory, principles, data, and methods to design in order to optimize human well-being and overall system performance.“
Im Deutschen wird eher der Begriff der Human Factors verwendet, da das englischsprachig „ergonomics“ eine andere, umfassendere Bedeutung hat als das deutsche „Ergonomie“. Aber auch noch andere Fachbereiche haben enge Verknüpfungen zu den Human Factors, dazu zählen vor allem die Arbeits- und Organisationspsychologie, die Ingenieurpsychologie und die Arbeitswissenschaft.[18] Es wird immer wieder versucht, hier durch eindeutige Definitionen eine klare Unterscheidung der Bereiche vorzunehmen. Dies ist jedoch nicht möglich, es gibt eine große Überlappung der betrachteten Arbeitsbereiche.
Die Rail Human Factors verbinden die Fragestellungen der Human Factors mit den technischen und organisatorischen Randbedingungen des Eisenbahnwesens. Es erfolgt eine Anwendung und gegebenenfalls Anpassung von Methoden und Vorgehensweisen mit dem Ziel, den Menschen im Gesamtsystem Bahn einzugliedern, zu bewerten und zu analysieren. Darüber hinaus spielen auch weitere Bereiche wie beispielsweise die Rechtswissenschaft, Informatik oder Medizin eine Rolle bei der umfassenden Beurteilung von (Rail) Human Factors.
Fazit
Der Beitrag hat gezeigt, dass es ganze unterschiedliche Ansätze gibt, wenn man den Menschen bei der Gestaltung des Systems Bahn berücksichtigen möchte. Die drei vorgestellten Bereiche sind dabei nur Beispiele, eine Vielzahl anderer Methoden und Vorgehensweisen ist denkbar. Im Moment wird die Entwicklung im Eisenbahnwesen vor allem durch neue technische Möglichkeiten getrieben. Dies ist gut und wichtig. Nichtdestotrotz wird der Mensch und seine möglichst optimale Einbindung in das Gesamtsystem auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unabdingbar für das zuverlässige und sichere Funktionieren des Systems Bahn sein.
Literatur
[1] Jörn Pachl: Die Bedeutung betrieblicher Regelwerke für die Leit- und Sicherungstechnik. In: Signal+Draht 100 (2008), Heft 12, S. 32-38.[2] Wilson, J.R.; Farrington-Darby, T.; Cox, G. et al.: The railway as a socio-technical system: Human factors at the heart of successful rail engineering. In: Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part F: Journal of Rail and Rapid Transit 221 (2007), Heft 1, S. 101-115.
[3] Hollnagel, E.: The third age of human factors: From independence to interdependence. In: Dadashi, N. (Hrsg.): Rail Human Factors around the World. Taylor & Francis, 2009.
[4] Bainbridge, L.: Ironies of automation. In: Automatica 19 (1983), Heft 6, S. 775-779.
[5] Nancy Leveson: Engineering a safer World, 2009.
[6] Perrow, C.: Normal accidents – Living with high-risk technologies. Basic Books, New York, NY, 1984.
[7] Birgit Milius: Human factors and their application in railways. In: Cepin, M.; Bris, R. (eds.): ESREL 2017 (Portoroz, Slovenia, 18-22 June, 2017). CRC Press, Milton, 2017.
[8] Niels Brandenburger; Anja Naumann: Der Arbeitsplatz des Train Operators im Fokus. In: Der Eisenbahningenieur (2019), Heft 11.
[9] Jörn Pachl: Anforderungen an die sicherheitsgerechte Visualisierung der Betriebslage. In: Signal+Draht 90 (1998), 1+2, S. 5-9.
[10] Marc Burkhardt; Damaris DOSE; Elke Grabe et al.: USER TESTS OF INNOVATIVE INTERACTION WITH A „3D OPERATOR WORKSTATION“. In: Proceedings of Rail Human Factors Conference.
[11] IBM: The Total Economic Impact™ Of IBM’s Design Thinking Practice. Forrester Consoulting Ausgabe 2018.
[12] Heape, S.; Lowe, C.: Effective human factors integration in the design of a signalling and train control system for the metro rail industry. In: Dadashi, N. (Hrsg.): Rail Human Factors around the World. Taylor & Francis, 2009, S. 324-333.
[13] Arne W. Andersson, Bengt Sandblad & Alexander Nilsson: Improving interface usability for train dispatchers in future traffic control systems. In: Transactions on the Built Environment 37 (1998).
[14] BEU: Untersuchungsbericht Zugkollision, Bad Aibling–Kolbermoor.
[15] Reason, J.T.: Managing the risks of organizational accidents. Ashgate, Farnham, Surrey, 2011.
[16] IAEA: The Interface Between Safety and Security at Nuclear Power Plants INSAG-24 Ausgabe 2010.
[17] N.N. Vorschrift verkürzt [online] – Unfall Warngau. In: Der Spiegel 1976, 1976,
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41251910.html
[18] Badke-Schaub, P.; Hofinger, G.; Lauche, K.: Human Factors. Springer, Dordrecht, 2012.
[19] International Ergonomics Association: Was sind Human Factors? – https://iea.cc/what-is-ergonomics/, 2020.
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