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In Kürze

BMU-Schienenkongress: Systemgedanken im Verkehrssektor stärken

Podiumsdiskussion im Bundesumweltministerium in Berlin (Foto: BMU/Sascha Hilgers)

Anlässlich des europäischen „Jahrs der Schiene“ und der bevorstehenden Bundestagswahl haben das Bundesumweltministerium (BMU) und die Allianz pro Schiene Ende Juni zum „Kongress Schienenverkehr“ in Berlin eingeladen. Vertreter*innen von Politik, Unternehmen, Wissenschaft und Verbänden diskutierten in einem Livestream-Event über den aktuellen Stand und die Herausforderungen der Verkehrswende.

Dabei wurde deutlich: Um den Verkehr, in Sachen Klimaschutz nach wie vor ein Sorgenkind, zukunftsfähig weiterzuentwickeln, braucht es eine Zusammenarbeit aller Akteure im Sektor, die alle Verkehrsträger in den Blick nimmt. Jochen Flasbarth, Staatsekretär im BMU, schlug in seiner Keynote vor, die Verkehrswegeplanung des Bundes in der kommenden Legislaturperiode zu einem Bundesmobilitätsplan fortzuschreiben, der umweltfreundlichen Verkehrsmitteln eine tragende Rolle zuweist.

„Die Schiene muss Verkehrsträger Nr. 1 in Europa werden“ (Martin Burkert, EVG)

Die Schiene müsse Verkehrsträger Nr. 1 in Deutschland und Europa werden, forderte Martin Burkert, stellvertretender Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft EVG. Dazu gehöre auch, dass Deutschland bei den Ausgaben für die Schiene „in der Champions League“ spielen müsse, um die Chancen des von der EU ausgerufenen „Green Deals“ nicht zu verpassen. Zu viel Geld fließe nach wie vor in den Straßenverkehr, kritisierte Burkert. Er sprach sich für eine Fortführung der Investitionsoffensive aus, mit der vor allem die Kapazität im Schienennetz erweitert werden müsse. Politik und Industrie sollten sich zudem auf die Einführung verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards einigen.

Dass die Branche noch viel Arbeit vor sich hat, um die Schiene zur echten Alternative für den Personen- und Güterverkehr zu machen, machte auch EU-Verkehrskommissarin Adina Ioana Vălean in ihrem Videostatement deutlich. Mit dem Eisenbahnpaket sei bereits ein großer Schritt in Richtung eines einheitlichen Eisenbahnraums getan, aber auch weiterhin seien viel politischer Wille und hohe Investitionen erforderlich, so Vălean. Sie kündigte einen Aktionsplan für den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr an.

Wie eine ganzheitliche Verkehrspolitik aussehen kann, verdeutlichte der Vortrag von Peter Füglistaler, Direktor des Schweizer Bundesamtes für Verkehr. In der Alpenrepublik ist das Ziel der Verkehrsverlagerung auf die Schiene in der Verfassung verankert. Bei den Investitionen werden alle Verkehrsträger berücksichtigt und gleichmäßig gefördert, gleichzeitig setzen die Schweizer klare ökologische Akzente. So wurde eine Lkw-Maut eingeführt, die nach Verbrauch und Emissionen gestaffelt ist. Zudem darf der Straßenverkehr seine Kapazitäten im Alpenraum nicht weiter ausbauen. Obwohl die Zahl der Lkw-Fahrten im Alpentransit bis 2020 gesunken sei, habe die Schweiz ihr Verlagerungsziel im Güterverkehr noch nicht erreicht, räumte Flüglistaler ein.

„Menschen entscheiden über den Erfolg der Verkehrswende“ (Dirk Flege, Allianz pro Schiene)

Zum Programm des Kongresses gehörten zwei Podiumsdiskussionen, an denen unter anderen DZSF-Direktorin Prof. Corinna Salander, DB-Personenverkehrsvorstand Berthold Huber, Michael Peter, CEO von Siemens Mobility, und die stellvertretende Pro Bahn-Vorsitzende Anja Schmotz teilnahmen. Per Chatfunktion beteiligten sich zahlreiche Zuhörer*innen an der Diskussion, wobei auch kritische Fragen zur Sprache kamen. Etwa, ob denn die Branche über genügend Personal, Rollmaterial und Kapazitäten bei Planungs- und Bauunternehmen verfügt, um die ambitionierten Wachstumsziele zu erreichen, wie mit Widerständen seitens der Bürger*innen gegen Infrastrukturausbauten und mehr Gütertransporte auf der Schiene (Stichwort Lärmbelastung) umgegangen werden soll, wie der Einfluss der Autolobby auf die Politik begrenzt, die Planungs- und Genehmigungszeiten bei Bauprojekten verkürzt oder eine Gleichbehandlung der Verkehrsträger bei Kosten und Abgaben durchgesetzt werden kann.

In seinem Fazit zum Kongress sagte Allianz pro Schiene-Chef Dirk Flege, in der Klima- und Verkehrswende sei eine Einzeloptimierung von Verkehrsträgern nicht zielführend, vielmehr müsse der Systemgedanke im Sektor gestärkt werden. Die große Herausforderung bestehe weniger in der Technik, sondern den erforderlichen Veränderungen im Mobilitätsverhalten. „Menschen entscheiden über den Erfolg der Verkehrswende“, betonte Flege. Diese sei nicht nur ein politisches, sondern auch ein emotionales Thema. Lust auf die Verkehrswende zu machen und ihre Chancen und Vorteile in den Vordergrund zu rücken, sei die Hauptaufgabe der Branche und der Politik in der Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit.

(23.07.2021)