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Buchrezension

„Bahnübergänge“ – eine dringend benötigte Veröffentlichung

Foto: DB AG/Claus Weber
Foto: DB AG/Claus Weber

Der Bahn Fachverlag hat mit Dr.-Ing. Eric Schöne den vielleicht profiliertesten Experten zum Thema Bahnübergänge für die Erstellung eines Fachbuches gewinnen können. Dieses Buch schließt eine große Lücke in der Eisenbahnfachliteratur und richtet sich in erster Linie an Praktiker (Ingenieure/Eisenbahnbetriebsleiter). Es kann sowohl als Lehrbuch als auch als Kompendium zum Thema Bahnübergänge genutzt werden.

Bis zum Erscheinen des Buches gab es wenig Hintergrundliteratur zu Bahnübergängen. Informationen musste man sich mühsam aus den wenigen Fachartikeln oder der Kommentierung zur Eisenbahn-Bau und Betriebsordnung zusammensuchen.

Das hat sich jetzt geändert: „Bahnübergänge“ von Eric Schöne ist auf über 300 Seiten prall gefüllt mit wirklich hilfreichen Informationen, Praxisbeispielen und auch Bildern, die – das finde ich sehr anschaulich – Positiv- und Negativbeispiele in der Umsetzung zeigen und die auch textlich gut erklärt sind.

Die einzelnen Kapitel, 8 an der Zahl, sind jeweils mit Lernzielen versehen und lauten wie folgt: 1. Einführung (Besonderheiten von Bahnübergängen), 2. (Allgemeine) Anforderungen, 3. Rechtliche Grundlagen, 4. Planung, 5. Betrieb, 6. Instandhaltung, 7. Beseitigung und 8. Ausblick (Aktuelle und künftige Entwicklungen).

Wenn man das Buch durchgearbeitet hat, sollte jeder Leser das System der Bahnübergänge verstanden haben. Das stellt der Autor am Schluss des Buches im Anhang durch 15 Seiten mit Wiederholungsfragen zu allen Kapiteln sicher.

Behandelt werden ausschließlich Bahnübergänge auf Eisenbahnstrecken; Bahnübergänge auf Straßen-/Stadtbahnstrecken bleiben ebenso außer Betracht wie Reisenden- und innerdienstliche Übergänge.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Auflockerung des eher trockenen und teils sehr technischen Themas durch aussagekräftige Fotos (weit überwiegend aus eigenem Fundus des Autors, was einmal mehr belegt, dass der Autor die Materie, über die er schreibt, en detail kennt) und gut gemachte Tabellen und grafische Darstellungen, die vieles veranschaulichen und komplizierte Zusammenhänge auch technischen Laien leicht begreiflich machen.

Ergänzungen zur Rechtsprechung mit Bezug auf Bahnübergänge

Für mich als Rechtsanwalt ist selbstredend das Kapitel 3. zu den rechtlichen Grundlagen besonders spannend: Neben den Rechtsgrundlagen (u. a. EKrG, 1. EKrV, AEG, EBO, EBOA/BOA, StVO sowie anerkannte Regeln der Technik wie Ril 815 und BÜV NE) betrachtet der Autor auch auf sechs Seiten die einschlägige Rechtsprechung.

Dabei fehlen dem Rezensenten jedoch noch ein paar Urteile, die sich mit dem Thema Haftung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens (EIU) befassen. Diese führen dazu, dass jedes EIU sich gewahr sein muss, dass in punkto Bahnübergänge die allgemeine Sicherheitspflicht des § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 AEG dynamisch zu verstehen ist und § 11 EBO lediglich Mindestanforderungen vorgibt, was zu erheblichen Haftungsrisiken für alle EIU führt. Zu nennen wären insbesondere BGH, Beschluss vom 31.1.1995 – VI ZR 203/94 mit Vorinstanz OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 4.5.1994 – 7 U 133/92 oder OLG München, Urteil vom 17.11.2000 – 10 U 1721/98.

Das in dem Buch behandelte Urteil des BGH vom 18.11.1993 (Aktenzeichen III ZR 178/92) ist hingegen durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich mit Wirkung ab dem 1.7.2021, hier durch §§ 24, 24a AEG entschärft, der EIU das Recht gibt, bei Gefahr im Verzug die von Vegetation auf Nachbargrundstücken ausgehende Gefahr unverzüglich zu beseitigen. In dem zitierten Urteil hatte ein kommunaler Straßenbaulastträger es unterlassen, die Vegetation im Bereich einer Blinklichtanlage so zurückzuschneiden, dass diese einsehbar war, und das EIU hatte es unterlassen, dies einzufordern, weswegen es zu einem Unfall mit Todesfolge gekommen war. Das sind aber nur Kleinigkeiten, die der hohen Qualität der Publikation im Übrigen keinen Abbruch tun.

Das nachfolgende Kapitel 4. schafft es, selbst dem technisch nicht ausgesprochen versierten Rezensenten zu verdeutlichen, wie etwa Räumstrecken korrekt berechnet werden oder wie bei nichttechnisch gesicherten Bahnübergängen die Sichtdreiecke zu bemessen sind. Detailliert legt der Autor dar, wie die Planung von Bahnübergängen zu erfolgen hat und welche Parameter dabei Berücksichtigung finden müssen.

Leider geht er nur auf knapp zwei Seiten auf das Thema der Postensicherung als Regelsicherung ein, das im EBO-Kommentar missverständlich behandelt worden ist, in der Berufspraxis des Rezensenten aber durchaus eine Rolle spielt, wenn auch maßgeblich nur noch bei NE-Infrastruktur. Hilfreich wäre hier auch ein Hinweis auf die Rechtsgrundlagen (§ 11 Abs. 11 EBO, konkretisiert durch Modul 815.0010 4 der DB-Richtlinie 815 sowie in geringem Maße durch die BÜV NE). Die Darlegung der Berechnungsverfahren hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs des Sicherungsvorgangs für einen technisch gesicherten Bahnübergang samt Einschaltstrecken für jedes Gleis und jede Fahrtrichtung schließt Kapitel 4. ab und kann nur als beeindruckend bezeichnet werden.

Kapitel 5. behandelt die Themen „Abnahme und Inbetriebnahme“, „Bestandsunterlagen und Bahnübergangspass“, „Störungen und Außerbetriebnahmen“, „Besondere Straßenverkehrssituationen“, „Besondere Bahnbetriebssituationen“, „Baustellen-Bahnübergänge“ und schließlich „Unfalluntersuchung“. Besonders das letzte Thema ist nicht nur für Ingenieure von erheblicher Bedeutung.

Instandhaltung von Bahnübergängen – endlich verständlich erklärt

Im 6. Kapitel, das sich mit der Instandhaltung beschäftigt, gliedert der Autor zunächst nach „Aufgaben und Verantwortlichkeiten“ und „Bautechnischer Instandhaltung“: Hier sieht man etwa auf den ersten Blick, wie häufig welche Bahnübergänge nach der Ril 815.8000 Abschnitt 2 und der Ril 821.2003 Abschnitt 2 bautechnisch inspiziert werden müssen – sehr hilfreich. Bei nicht technisch gesicherten Bahnübergängen sorgt die Prüfung von Sichtflächen für viel Arbeit. Unter „Vermessung und Prüfung von Sichtflächen“ ist die richtige Vorgehensweise so gut beschrieben, dass selbst der Rezensent sie endlich verstanden hat.

Zu technisch gesicherten Bahnübergängen wird die „Sicherungstechnische Instandhaltung“ dargelegt, und fünf Seiten beschäftigen sich mit dem Ablauf der in der Regel alle zwei, ausnahmsweise alle vier Jahre stattfindenden Bahnübergangsschau. Vor dem Hintergrund der vorstehend genannten Dynamik der allgemeinen Sicherheitspflicht des § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 AEG wesentlich ist Abschnitt 6.6 „Verbesserung der Funktionsfähigkeit“, in dem mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an Bahnübergängen unterhalb eines Verfahrens nach § 18 AEG aufgezeigt werden.

Wichtiges Praxisthema: Beseitigung von Bahnübergängen

Das 7. Kapitel widmet sich dem aus praktischer Sicht sehr wichtigen Thema der Beseitigung von Bahnübergängen: Bei der DB InfraGO AG existieren immer noch Bahnübergänge, die technisch nur mit Halbschrankenanlagen gesichert sind, auf TEN-Strecken, und bei NE-Bahnen stellt die Beseitigung von Bahnübergängen gerade bei Reaktivierungsvorhaben alle Beteiligten vor große Herausforderungen.

Wünschenswert wäre es, bei einer Neuauflage die rechtlichen Voraussetzungen und auch Hindernisse zu beleuchten: So ist die Einziehung einer Straße bei NE-Bahnen oft weniger ein Thema als die Widmung von vormaligen Privatwegen – um in den Genuss von EKrG-Mitteln bei einer notwendigen technischen Sicherung zu kommen, oder auch die vorübergehende Widmung, um EKrG-Mittel für die Anlage von Parallelwegen im Zuge einer Beseitigung zu erhalten. Dennoch: Bislang gab es zu diesem Thema, der Beseitigung von Bahnübergängen, fast keine Literatur, und dem Autor ist für seine Arbeit sehr zu danken.

Thematisch schließt das Buch im 8. Kapitel mit einem interessanten Ausblick, der insbesondere Bahnübergänge unter ETCS und die Automatisierung des Eisenbahnbetriebs in den Fokus nimmt.

Hilfreich ist das Glossar am Schluss – so wusste auch der Rezensent mit dem Begriff des „Quadranten“ bislang nichts anzufangen, der hier nicht nur textlich, sondern sogar mit einer Zeichnung erläutert ist.

Fazit: Ein rundum gelungenes Buch für Planer*innen, EBL und Mitarbeitende in Eisenbahninfrastrukturunternehmen.


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