Anfang 2020 war die Verkehrswende zum Greifen nah. DB Station&Service hatte sich auf den Weg in Richtung „Deutschlands größter Gastgeber“ gemacht und sich mit all ihrem Handeln noch mehr den Kund*innen zugewandt. Schwerpunkte waren unter anderem Kapazitätsmanagement, Wachstum Reisendenzahlen, die Sicherheitsgenehmigung und der Bahnhofsplan als neues Entwicklungsinstrument. Im März 2020 überrollte dann die Corona-Pandemie das Land. Wie reagiert ein Betreiber von 5.400 Bahnhöfen darauf? Nach einigen Aufs und Abs schien die Situation beherrschbar, aber schon folgte im Ahrtal und der Eifel die furchtbare Flutkatastrophe. Was tun Bahnhofsmanagement und Bauabteilung in solch einer Situation? Anfang dieses Jahres folgte ein weiteres Ereignis mit Folgen für die ganze Welt: Der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Plötzlich stand an vielen Bahnhöfen das Thema „Flüchtlingshilfe organisieren“ auf der Tagesordnung.
Summa summarum hieß es für die Bahnhöfe in Deutschland und alle ihre Mitarbeitenden zwei Jahre lang auf Einflüsse diverser, externer Impulse zu reagieren und die Situation bestmöglich für die Kund*innen zu managen. Ach, und dann war da ja noch das „Alltagsgeschäft“: Stationen sicher betreiben, Finanzierung für Bauprojekte sicherstellen, strategische Definition der Zukunftsbahnhöfe weiter ausarbeiten.
#gemeinsamgehtdas: Ein langer Atem für gegenseitige Achtsamkeit
Als uns die Coronapandemie im März 2020 kalt erwischte, galt es ad hoc Lösungen zu finden. Lösungen für einen sicheren Betrieb unserer Bahnhöfe und die Gestaltung der “neuen” Zusammenarbeit. Was heißt es nun in dieser Situation „Deutschlands größter Gastgeber“ zu sein?. Mehr denn je waren wir auf jeden einzelnen guten Einfall und den kollektiven Zusammenhalt angewiesen. Die oberste Maxime war Sicherheit. Für unsere Reisenden sowie unsere Mitarbeitenden in den Bahnhöfen. Gegenseitige Rücksichtnahme, der verantwortungsvolle Umgang mit sich selbst und allen anderen sowie die unkomplizierte und schnelle Beschaffung von sinnvollen Hilfsmitteln wie beispielsweise Masken oder Desinfektionsspendern waren die Grundelemente, die die Kampagne #gemeinsamgehtdas mit Leben gefüllt haben. Über zwei Jahre lang haben uns Unsicherheit und auch Angst, je nach Jahreszeit und damit Pandemieverlauf, latent begleitet und die Unbeschwertheit der vergangenen Jahre genommen.
Als ich meine neue Position als Vorständin Produktion im Oktober 2021 antreten durfte, veränderte sich meine Rolle in einem Team, das nicht nur seit über eineinhalb Jahren einen großen Dienst während der Pandemie leistete. Im Juni 2021 wurden einige unserer Kolleg*innen zusätzlich vom Hochwasser im Ahrtal und in der Eifel heimgesucht.
Das Jahrhundert-Hochwasser 2021
Nach allerersten Schätzungen betrug der Schaden zirka 475 Mio. Euro an mehr als 200 Stationen. Nach genauer Untersuchung konnten wir die Schadenshöhe deutlich reduzieren. Die Zerstörung der Bahninfrastruktur war enorm und kostet die Kolleg*innen vor Ort noch immer viel Zeit und Kraft beim Wiederaufbau. Dass alle unsere Kolleg*innen die schreckliche Katastrophe überlebt haben, dafür bin ich sehr dankbar. Beeindruckend sind die Tatkraft und Energie, mit welcher die Kolleg*innen unentwegt im Einsatz waren, um den betroffenen Menschen vor Ort zu helfen und unsere Bahnhöfe wiederaufzubauen.
Mir ist es an dieser Stelle ein persönliches Anliegen, ein großes Dankeschön an die vielen Kolleg*innen der Bahnhofsmanagements Köln, Koblenz, Essen, Saarbrücken und Hagen zu senden ebenso wie an die Kolleg*innen aus den Bereichen Finanzen, Planen&Steuern, Baumanagement & Bahnhofsentwicklung und Facility-Management in den Regionalbereichen Mitte und West sowie in der Zentrale.
Herzlichen Dank und meinen größten Respekt für die geleistete Arbeit. Und wir sind noch lange nicht fertig. Mit großer Kraftanstrengung gemeinsam mit der für den Fahrweg verantwortlichen DB Netz wurde Ende 2021 im Ahrtal der Streckenabschnitt zwischen Remagen und Walporzheim eingleisig wieder in Betrieb genommen. Am zerstörten Haltepunkt Heimersheim wurde ein provisorischer Bahnsteig erstellt. Auf dem weiteren, 14 km langen Streckenabschnitt von Walporzheim nach Ahrbrück wird der Wiederaufbau uns noch weiter beschäftigen, da dort vier weitere Stationen und acht Brücken komplett zerstört sind.
Jahresabschluss 2021: Ein Jahr, auf das wir stolz sein können
Die vorher beschriebenen, außergewöhnlichen Leistungen unserer Teams reichen bereits aus, um zu verstehen, wie stolz ich auf unsere Kolleg*innen bin. Neben unserem tatkräftigen Einsatz nach unvorhersehbaren Ereignissen sollen aber auch unsere Regelleistungen nicht zu kurz kommen. Sofern man die Ergebnisse unseres Konjunkturprogramms 2021 „Regelleistungen“ nennen kann. Zwar konnten sich die Kolleg*innen bereits 2020 im Rahmen des ersten Konjunkturprogramms in Höhe von 40 Mio. Euro warmlaufen und ihre Organisationsstruktur finden, dennoch galt es 2021, das dreifache Fördervolumen in doppelter Laufzeit umzusetzen.
Konkret: 2020 konnten in 5 Monaten Laufzeit 1.120 Maßnahmen an 430 Bahnhöfen umgesetzt werden. 40 Mio. Euro Fördermittel des Bundes wurden dabei erfolgreich investiert.
2021 toppten unsere Kolleg*innen diese Leistung und setzen in 11 Monaten Laufzeit 2.450 Maßnahmen an rund 1.050 Bahnhöfen um. 120 Mio. Euro flossen dabei in Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität, Verbesserung der Reisendeninformation, Barrierefreiheit und Sicherheit sowie der energetischen Verbesserung und Nachhaltigkeit unserer Bahnhöfe.
Diese großartigen Ergebnisse unterstützen unser Zielbild als „Deutschlands größter Gastgeber“, denn durch diese Maßnahmen fühlen sich unsere Reisenden:
- „sicher“: zum Beispiel durch die Erneuerung von Treppen und Zugängen, Beseitigung von Bodenunebenheiten, Verbesserung der Beleuchtung
- „informiert“: zum Beispiel durch den Einsatz moderner Anzeiger und Nutzung neuer Vitrinen
- „wohl“: zum Beispiel durch neues Sitzmobiliar, neue Wetterschutzhäuser.
Erste Ergebnisse der Kundenzufriedenheitsbefragung zeigen bereits positive Resultate. Unsere Reisenden sind deutlich zufriedener mit den Stationen als vor der Renovierung im Rahmen des Konjunkturprogramms. Ein weiterer wichtiger Erfolg im Jahr 2021 war für uns die erneute Erteilung der Sicherheitsgenehmigung (SiGe). Ohne Sicherheitsgenehmigung dürfen Betreiber der Schienenwege keine Eisenbahninfrastruktur betreiben. Die Genehmigung wird immer nur für eine Zeitspanne von fünf Jahren erteilt und muss regelmäßig neu erworben werden. 2021 stand die letzte Rezertifizierung an.
Eine hervorragende Strukturierung aus den Tiefen unserer Teams heraus, die richtigerweise bereits lange vor Pandemiebeginn 2020 Strukturen und Formate zur Vorbereitung auf die SiGe eingefordert und mitaufgesetzt haben, hat uns dann auch in diesen stürmischen Zeiten Halt gegeben. Nach der SiGe ist vor der SiGe. Ich wünsche uns für 2026 denselben Kampfgeist in den Teams, aber gerne auch einfachere Rahmenbedingungen.
Einfachere Rahmenbedingungen und ruhigere Zeiten im Jahr 2022?
Ruhigere Zeiten und einfachere Rahmenbedingungen hätte ich uns auch für 2022 gewünscht. Strategische Fragestellungen, die nach der Neuorganisation unserer Gesellschaft 2020 noch offen sind, durchdenken. Einfach mal die Gedanken kreisen lassen und „Was-wäre-wenn-Szenarien“ aufstellen. Gedanken zum Arbeiten im Verbund der DB, Qualitätssteigerungen für unsere Kund*innen.
So hätte 2022 beginnen können – heute wissen wir leider, es kam anders. Am 24. Februar 2022 erfolgte der Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine und für uns änderte sich nicht nur das Europa, das wir so lange kannten, sondern auch die Situation zuhause, an unseren Bahnhöfen.
Nicht einmal eine Woche nach Kriegsbeginn meldete die polnische Eisenbahn, dass sie Flüchtende aus der Ukraine kostenlos innerhalb Polens bis an angrenzende europäische Länder bringt. Die Deutsche Bahn führte das Ticket „helpukraine“ ein, das den Geflüchteten die kostenfreie Fahrt zu jedem deutschen Bahnhof sicherte. Mit einer wahrscheinlich unvergleichlichen Schnelligkeit in unserer Konzerngeschichte wurden die notwendigen Entscheidungen getroffen und alle betrieblichen und organisatorischen Prozesse auf die Beförderung und den Empfang von Flüchtlingsströmen umgestellt.
Es wurden die notwendigen Transportkapazitäten sowie Empfangsmöglichkeiten geschaffen. An rund 20 Bahnhöfen hieß es von heute auf morgen Arbeiten rund um die Uhr, scheinbar unmögliche Dinge möglich machen, Politik bewegen, Leidenschaft und in unseren Bahnhöfen der Blick in die Augen von ankommenden Menschen, die alles verloren hatten. Knapp 900.000 Flüchtende haben wir seit Februar 2021 deutschlandweit an unseren Bahnhöfen in Empfang genommen. Neben der hohen Arbeitsbelastung kam hier eine schwere psychische Komponente hinzu – und das erleichternde Gefühl, dass wir mit unserer Arbeit immerhin einen Beitrag leisten konnten.
Instinktiv wussten die Kolleg*innen vor Ort, was zu tun war. Jeder brachte sich ein. Niemand fragte nach Hierarchien, Rollen oder Prozessen – es ging nur um die Sache. Darum, den ankommenden Menschen ein erstes Gefühl von Sicherheit zu geben. Über 600 Mitarbeitende des DB-Konzerns meldeten sich freiwillig, um am Berliner Hauptbahnhof operativ zu unterstützen. Im 3-Schicht-System wurden allein in Berlin bis heute knapp 270.000 Flüchtende willkommen geheißen.
Allen Kolleginnen und Kollegen im aktiven Dauereinsatz sei an dieser Stelle herzlich für den Einsatz gedankt. Ausblickend hoffen wir alle, dass der Konflikt zeitnah beigelegt wird.
9 für 90 – 3 Monate 9-Euro-Ticket
Ende April 2022 hat das Bundeskabinett und Ende Mai der Bundesrat die vom Bundesminister für Digitales und Verkehr (BMDV) vorgelegte Änderung des Regionalisierungsgesetzes beschlossen. Mit dieser Gesetzesänderung wurden die Regionalisierungsmittel im Jahr 2022 um insgesamt 3,7 Milliarden Euro erhöht. Damit soll sowohl die Umsetzung des „9 für 90-Ticket“ finanziert als auch der Beitrag des Bundes am Ausgleich der pandemiebedingten Fahrgeldeinnahmeausfälle der ÖPNV-Verkehrsunternehmen ermöglicht werden.
Eine herausragende Chance für den Nahverkehr und die Verkehrswende und eine weitere Gelegenheit, unsere Gastgeberqualitäten unter Beweis zu stellen. Auch wenn wir uns sicherlich mehr Vorbereitungszeit vor dem offiziellen Start des 9-Euro-Tickets gewünscht hätten, lag es in der Natur der Beweggründe für dieses Ticket, dass es keinen zeitlichen Spielraum gab. Ziel des Tickets ist für uns, noch mehr und neue Kund*innen für das System Bahn zu gewinnen und vor allem auch zu überzeugen. In unseren Bahnhöfen heißt es, mit noch mehr Servicekräften für die Kund*innen da zu sein – wir haben dafür Reisendenlenker*innen und Kolleg*innen aus der Administration rekrutiert. Ich möchte an dieser Stelle auch die ausgezeichnete und gleichzeitig essenzielle Zusammenarbeit im Verbund betonen.
Selbstverständlich führen uns alle geschilderten Sondersituationen und Extrembeispiele auch vor Augen, wo noch Handlungsbedarf besteht. Investitionsbedarfe in unsere Infrastruktur sowie die aktuelle Pünktlichkeits-Performance bauen zusätzlichen Druck auf unsere Teams auf.
Aber wenn ich eins weiß und möchte, dass ein Eindruck bei den Leser*innen hängen bleibt, dann, dass wir die bestmögliche Führungsmannschaft und Teams haben, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Ich blicke positiv und voller Freude auf alle Themen, die uns erwarten. Benötigtes Fachwissen kann jeder und jede lernen, aber was wir den Mitarbeitenden nicht beibringen können, sind inhärente Einstellungen und Leidenschaft; wir können sie nur darin unterstützen.
Fazit
Wenn wir als DB eines unter Beweis gestellt haben, dann ist es, für unsere Kund*innen bestmöglich auf neue Situationen oder externe Impulse zu reagieren und das Beste aus der Situation zu machen.
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