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30 Jahre Bahnreform

48 Jahre bei der Bahn: Eine Zeitreise aus persönlicher Sicht

Bahnhof Bielefeld in den 1970er Jahren
Bahnhof Bielefeld in den 1970er Jahren (Foto: Bildarchiv der Eisenbahnstiftung)

Im folgenden Beitrag berichtet der Autor von seiner Zeit bei der Eisenbahn: In insgesamt 48 Jahren und 7 Monaten zunächst bei der Deutschen Bundesbahn und dann bei der Deutschen Bahn AG durfte er viele Facetten des Unternehmens kennen lernen – im Fahrscheinvertrieb, im Gepäckdienst und als Betriebsrat. Das ist der erste Artikel im Rahmen unserer Reihe zum 30-jährigen Jubiläum der Bahnreform, in dem Eisenbahner ihre persönliche Entwicklung vor und nach der Behördenbahn schildern.

Im Rückblick ist es schon verwunderlich, dass ich lediglich 18 Jahre bei der Bundesbahn, noch dazu unterbrochen durch 15 Monate bei der Bundeswehr, verbracht habe. Daraus folgert, mehr als 30 Jahre gehörte ich dann zur Deutschen Bahn AG. Verblüffend. Zumindest für mich.

Das mag daran liegen, dass ich, wie allgemein Konsens, die Erfahrung mache, dass die Zeit immer schneller vergeht. Ich denke auch, dass ich die „frühen Zeiten“, die 1970er und 80er, geprägt durch Fußball, Freundinnen, Welt retten – und eben den mein Leben bestimmenden Einstieg am 1. September 1975 – sehr gern erinnere. Ich war erst Teen und dann Twen, und wie viele andere in dem Alter unverwundbar.

1975: Der Start in Lippstadt

Begonnen hat es für mich beim Bahnhof Lippstadt – damals eine Dienststelle mit mehr als 100 Mitarbeitern. Von Anfang galt mein größtes Interesse, ja, ich behaupte sogar, meine Leidenschaft dem Fahrkartenschalter. Dort konnte ich mich austoben, hatte Spaß am Interagieren mit den Kunden, an der Verkehrsgeographie und Edmonsonschen Fahrkarten. („Edmondsonsche Fahrkarte“ sind Pappfahrkarten die u. a. von der Deutschen Bundesbahn und sogar von der Deutschen Bahn AG noch bis ca. 2008 an einzelnen Bahnhöfen ausgegeben wurden. Entwickelt wurden diese Fahrkarten vom Engländer Thomas Edmondson, der sich an den kleinen dünnen Zettelchen störte, welche damals als Fahrausweise ausgegeben wurden und dann ein System schuf, das aus stabilen Fahrkarten aus Pappe bestand).

Ich traf von Anfang an auf tolle Kollegen – Kolleginnen waren damals selten – und hielt jeden über 40 für alt, über 50 traf die Bezeichnung Grufti zu. Es war eine bunte Zeit, ich trug die Haare recht lang und UBK (Unternehmensbekleidung) für Azubis war noch nicht erfunden. Das mit den Haaren führte dazu, dass ich den Hammer Rangierbahnhof, genauer HDA (Hamm-Dortmund Ausgang) im Schneewinter 1979 zu allen Tages- und Nachtzeiten kennen lernen durfte. Das war sicher nicht geplant, zumindest nicht von mir.

Das einzig Gute an der Bundeswehrzeit war dann die „Rettung“ und im Anschluss, nach einer kurzen Phase als MdM (Mitarbeiter des Mehrbestands) in Lippstadt ein fester Arbeitsplatz auf dem Stellwerk in Ostönnen. In dieses Stellwerk habe ich niemals einen Fuß gesetzt, da die Dienststelle Soest genau wie Lippstadt eine Gemeinschaftsdienststelle gewesen ist und ich ausschließlich in der Fahrkartenausgabe und der Reiseauskunft eingesetzt worden bin.

Da passte halt Bedarf seitens der Dienststelle, Neigung bei mir und wahrscheinlich auch Eignung sehr gut zusammen. Am Stellwerk Ostönnen fuhr ich dann häufig auf dem Weg von und nach Werl vorbei, um dort Fahrkarten zu verkaufen, aber auch, um Gepäck und Expressgut abzufertigen.

Fahrkartenverkauf zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn
Fahrkartenverkauf zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn (Foto: Bildarchiv der Eisenbahnstiftung)

Metropole Bielefeld: Die erste große Veränderung

1983 dann ließ ich mich nach Bielefeld versetzen – nicht, weil es mir in Soest nicht gefiel. Es war eine Herzensangelegenheit. So hat es mich als Westfalen nach Ostwestfalen verschlagen. Am ersten Tag hatte ich tatsächlich gehörigen Respekt vor der „großen“ Stadt Bielefeld und dem Bahnhof mit 14 Schaltern. Das der Respekt dann nicht in „Bammel“ aufging, lag auch hier an den Kolleginnen und Kollegen, die mich sehr herzlich aufgenommen haben.

Das ich dann tatsächlich eine Verstärkung war, lag auch daran, dass ich ein leidlich gutes Englisch sprach – Bruce Springsteens Songtexten sei Dank – und als einziger schon mit dieser fremden und revolutionären Technik vertraut war: TA 1069, landläufig auch als MoFa (Modernisierter Fahrkartenverkauf) bezeichnet. Diese Technik war in der alten und wunderschönen Hansestadt Soest deutlich früher im Einsatz als in Bielefeld und ich kannte sie halt schon.

Ein wichtiges Intermezzo in Detmold

Es war eine berauschend schöne Zeit, aber da der Schritt zum BOS (Bundesbahnobersekretär) in Bielefeld nicht gelang, machte ich diesen 1986 in Detmold. Dort war ich ÖZB (Örtlicher Zusatzbedarf), sowohl im Personen- wie im Güterverkehr.

Ich habe diesen Schritt, der mir so viele neue Erfahrungen brachte, nie bereut. Ermittlung, Entschädigung, Wagendienst, Fahrkartenausgabe, Express- und Güterschalter, Palettendienst, Gepäckabfertigung, Auslandsfrachtrechner, und das sowohl in Detmold als auch in Herford – es war sehr spannend. Und wieder – ein wunderbarer Kollegenkreis.

Stückgut in der Lagerhalle
Stückgut in der Lagerhalle (Foto: Bildarchiv der Eisenbahnstiftung)

Die Bahnreform kommt – und ich zurück nach Bielefeld

1992 machte ich dann einen nächsten Karriereschritt: Ich wurde Lademeister GEP (Gepäck und Expressgut) in Bielefeld in der damals „Neuen Halle“. Heute befindet sich das Ishara-Bad und ein Parkhaus auf dem Gelände.

Einige haben mich damals davor gewarnt, diesen Schritt zu gehen, da ich zur Bezeichnung BHS (Bundesbahnhauptsekretär) den Klammervermerk (Ladedienst) bekam. Auch das habe ich nie bereut, die Nachtdienste auf dem Güterboden waren schon besonders und ich möchte die Zeit nicht missen. Schnell aber stellten die Kollegen bei der Güterabfertigung fest, dass es sinnvoll war, meine in Detmold und Herford gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse auch in Bielefeld zu nutzen. So kam ich dann zur Partiefracht und in die Buchungsabteilung – und nach zwei Jahren war die Klammer verschwunden.

In der Zwischenzeit hat sich der Name meines Arbeitgebers geändert: Aus Deutsche Bundesbahn wurde die DB AG – wir schreiben das Jahr 1994. Zu Beginn habe ich selbst gar nicht so viel davon mitbekommen, das änderte sich schnell mit dem nächsten „Karriereschritt“.

Im Betriebsrat – Organisation des Übergangs

Schon in der Jugend war ich gewerkschaftlich aktiv und so Mitglied in der Bezirksjugendvertretung der Bundesbahndirektion Essen. Und jetzt gab es etwas Neues: Erstmals wurden Betriebsräte gewählt. Da ich sowohl den Lade- wie den Abfertigungsdienst kannte, wurde ich vorgeschlagen und stellvertretender Vorsitzender.

Nach gut einem Jahr übernahm ich den Vorsitz und hatte dann bis Ende 1997 damit zu tun, den Abbau von 297 Arbeitsplätzen als Interessenvertreter zu begleiten. Das war eine sehr prägende Tätigkeit, die wir gemeinsam mit der Arbeitgeberseite, guter anwaltlicher und gewerkschaftlicher Beratung in einem von gegenseitigem Respekt geprägten Klima anständig gelöst haben. Das Zauberwort lautet MITEINANDER.

Vielen Kolleginnen und Kollegen konnten wir Arbeitsplätze in anderen DB-Unternehmen vermitteln, zu der Zeit war die Durchlässigkeit noch sehr gut. Als die Schließung der Niederlassung Stückgut Bielefeld im September 1997 nahte, ermöglichten wir zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BAHNTRANS die Schulung auf deren Speditionssoftware, in dem wir uns mit Kolleginnen aus Erfurt verstärkten – deren Niederlassung war bereits geschlossen. Das ging nur in einem Schulterschluss zwischen Arbeitgeber und Interessenvertretung, sprich BR.

Für den Übergang auf BAHNTRANS hatten wir eine dreijährige Lohnsicherung inkl. Zulagen ausgehandelt – auch dadurch sind in Bielefeld 85 Kolleginnen und Kollegen dorthin gewechselt, die meisten im gesamten DB-Bereich. Das Kapitel endete leider nicht erfolgreich: Die Planungen mit 41 Frachtzentren wurde nur ansatzweise umgesetzt. Bielefeld bekam eines dieser modernen und „zukunftsorientierten“ Zentren, allerdings in Bad Rothenfelde, ohne Gleisanschluss und etwa 30 km von Bielefeld entfernt.

Mit der Entwicklung der Versandhändler wie ebay oder Amazon hatte wohl niemand gerechnet – im Nachhinein betrachtet war es sicher falsch, sich aus dem Stückgut- und Expressgutgeschäft zu verabschieden. Geschichte wiederholt sich, Ähnlichkeiten zur aktuellen Situation bei DB-Cargo – Stichwort Einzelwagenverkehre – drängen sich geradezu auf.

Anfang Oktober 1997 kam die Abrissbirne – ich konnte ihr Wirken von der anderen Gleisseite beobachten – und damit kommen wir zum nächsten Kapitel.

Stückgut-Umladung auf dem Bahnsteig
Stückgut-Umladung auf dem Bahnsteig (Foto: Bildarchiv der Eisenbahnstiftung)

Wieder Personenverkehr – und ohne Abitur in eine Führungsposition

Ich selbst wechselte zu Reise und Touristik, wurde erst Schichtleiter und dann nach erfolgreicher Bewerbung Fachtrainer vor Ort (FvO). Es war nach elf Jahren eine Rückkehr in ein Team, das mir zu einer Hälfte bekannt war und das zur anderen aus neuen und durchweg jüngeren Damen und Herren bestand – die aber auch nicht lange unbekannt blieben.

Die Zeit als FvO war herausragend, sehr abwechslungsreich, geprägt durch einige Neuerungen – wobei die Taktung heute viel dichter ist – und sehr viele Kontakte. Dennoch bin ich dann im Jahr 2009, nachdem ich das FöBi-Programm (Förderung und Bildung) durchlaufen hatte, dem Ruf nach Frankfurt am Main gefolgt, wurde Teamleiter und damit Führungskraft in dem für mich immer noch beeindruckendsten Reisezentrum der DB-Vertrieb: Frankfurt Hbf. In 18 Monaten habe ich die Stadt lieben gelernt – heute ist sie für mich tatsächlich Urlaubsdestination für Kurzreisen – einfach ein toller Fluss, dieser Main.

Wer mein Geburtsjahr kennt und das von meinem Start in FFM abzieht kommt zu dem erstaunlichen Resultat: Die DB machte einen fast 50jährigen zum Teamleiter in einem der wichtigsten Reisezentrum in Deutschland. Das beschreibt ebenfalls eine Entwicklung, die so zu Bundesbahnzeiten nicht erwartbar gewesen ist: Mit einem mittleren Bildungsabschluss und ohne akademische Bildung wurde ich Chef von 35 Kolleginnen und Kollegen, genau so sehr Herausforderung wie Bereicherung – großartig.

2010 kehrte ich, nachdem in Bielefeld dieselbe Position ausgeschrieben war, nach Ostwestfalen zurück. Das waren zwei Reisen in einer, sowohl vom Main an den Teuto als auch vom Kollegen zum Chef. Auf dieser Stelle konnte ich mich dann bis März 2023 austoben – neben Bielefeld gehören Minden, Bad Oeynhausen, Bünde, Herford und Gütersloh dazu.

Mittendrin war ich aufgrund einer Vakanz ein halbes Jahr Teamleiter in Münster und, als Kassel zu Westfalen kam und wir nun als VB Westfalen/Nordhessen firmierten, Vertreter für diesen Bereich. Auch das war sehr interessant und führte natürlich dazu, dass ich eine Menge Menschen kennen gelernt habe, die mein Leben bereichert haben und die mir immer wieder neue Anregungen und hin und wieder Aufregungen vermitteln konnten.

Das Jahr 2023 war seit März mit Vertretungen im VB-Gebiet und einigen Sonderaufgaben gefüllt, einer sehr harmonischen Übergabe an meinen Nachfolger und damit der Erfüllung eines Plans, den ich Ende 2022 gemeinsam mit Thomas Pelka (Leiter Verkaufsbezirk) bei einem Mittagessen in einem türkischen Restaurant gestrickt habe.

Kulturwandel – Auf dem Weg von der Behörde zur AG

Damit komme ich zum Anfang meiner Erzählung zurück und mache gerade an meinem ersten Vorgesetzten und meinem aktuellen Chef die Kulturveränderung fest, über die viel gesprochen, die oft belächelt wird, die aber tatsächlich stattgefunden hat: Zu Beginn war ich, 16 Jahre alt und noch grün hinter den leicht abstehenden Ohren, am dritten Tag beim damaligen Leiter und wurde gemaßregelt, da ihm meine Hose nicht gefiel (für Eingeweihte: eine damals übliche St. Tropez-Jeans), und zwar so sehr, dass ich die Tränen zurückhalten musste. Seine Meinung hätte ich respektiert, aber damals herrschte wirklich noch Kommisston vor. Die Episode Hamm hatte ich bereits erwähnt, damals gab es Führung per Dekret. Heute hingegen wird man gehört und spricht über vieles – Danke dafür.

Ich hoffe, dass die meisten der Kolleginnen und Kollegen, die mich Chef nennen durften, von mir ein ähnliches Bild haben.


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