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Tag der Sicherheitskultur 2024

Neue Aspekte einer positiven Sicherheitskultur

Foto: SBB
Foto: SBB

Der Tag der Sicherheitskultur 2024 bot einen tiefgreifenden Einblick in die kontinuierliche Weiterentwicklung der Sicherheitskultur im Eisenbahnwesen. Fachleute aus verschiedenen Bereichen stellten innovative Ansätze aus Forschung und Praxis vor und betonten die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit und offenen Kommunikation. Es wurden unterschiedliche Ansätze diskutiert und der Vergleich mit anderen Ländern und zu anderen Verkehrsträgern hergestellt.

Die trinational in den Räumlichkeiten des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) in Bonn durchgeführte Veranstaltung mit Diskussionen und Vorträgen von Referenten aus Eisenbahnunternehmen, Verbänden und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) wurde vom EBA und dem Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung beim EBA (DZSF) veranstaltet und richtete sich an alle Interessenten aus dem Eisenbahnsektor.

Das 4. Eisenbahnpaket verpflichtet die Branche, eine positive Sicherheitskultur zu fördern und kontinuierlich zu verbessern. Ein Einblick in andere Branchen und die europäische Perspektive rundete das Bild dabei ab und die Referenten stellten den Teilnehmenden Maßnahmen und Werkzeuge sowie praktische Beispiele vor. Die Fachtagung wurde hybrid durchgeführt. Mit rund 200 Teilnehmenden vor Ort und bis zu 400 Onlineteilnehmenden zeigte sich der hohe Bedarf einer solchen Veranstaltung in der Branche.

Stefan Dernbach, Präsident des EBA, begrüßte die Teilnehmenden und stellte dabei fest, dass der menschliche Faktor im Zuge des 4. Eisenbahnpaketes mit der Richtlinie (EU) 2016/798 und der Delegierten Verordnung (EU) 2018/762 nun Einzug in den gesetzlichen Rahmen gefunden habe. Es ist nun Aufgabe der Aufsichtsbehörden, ob EBA, ERA oder dem schweizerischen Bundesamt für Verkehr (BAV), die Eisenbahnunternehmen in der Förderung einer positiven Sicherheitskultur zu beaufsichtigen.

Nach dem Präsidenten stimmte Ministerialdirigentin Prof. Dr. Corinna Salander, Abteilungsleiterin Eisenbahn im Bundesverkehrsministerium (BMDV), die Teilnehmenden in einem Impulsvortrag ebenfalls auf das Thema ein. Prof. Salander ist die Thematik bestens bekannt, war sie doch in unterschiedlichen Positionen und Organisationen für die Einführung der Common Safety Methods (CSM) verantwortlich.

Faktor Mensch und Faktor Technik

In einem kurzen geschichtlichen Abriss vom Vorlauf bis zur Etablierung der Sicherheitskultur stellte sie fest, dass für Eisenbahner*innen Sicherheit schon immer selbstverständlich war – kann doch ein Risiko in der Betriebssicherheit oder ein Versagensrisiko auch zu einem Risiko für die Öffentlichkeit führen. Dabei gibt es zwei Perspektiven zu betrachten: den Faktor Mensch und den Faktor Technik.

Es steckt nach Prof. Salander in der DNA der Eisenbahner, Risiken zu betrachten, ereignisbezogen das Regelwerk fortzuschreiben und durch Einhaltung des Regelwerks die Risiken abzufedern. Die Eisenbahn schaffe naturgemäß Gefahren und müsse daher alles Zumutbare zu deren Reduktion unternehmen. Dabei kann nicht jegliches Risiko ausgeschlossen werden. Dieses Ziel wird nie erreichbar sein, da die Technik nicht zu 100 Prozent beherrschbar ist. Da kommt in zweierlei Hinsicht der Mensch ins Spiel: als Rückfall zu den technischen Systemen und als derjenige, der die Technik entwickelt und am Laufen hält. Dieser Aspekt hat nun mit dem 4. Eisenbahnpaket Einzug in den regulatorischen Rahmen gefunden.

In ihrem Vortrag stellten Annette Hinze, als Leiterin Referat 34 beim EBA zuständig für Sicherheitsbescheinigung, ECM und Führerscheinstelle, und Dr. Kristin Mühl vom DZSF die Sichtweisen der beiden Organisationen auf das Thema vor. Aufgrund des veränderten regulatorischen Rahmens, der Eisenbahnunternehmen dazu verpflichtet, eine positive Sicherheitskultur zu etablieren und kontinuierlich zu verbessern, hat sich der Arbeitskreis Sicherheitskultur beim EBA zur Durchführung dieser Tagung entschlossen.

Während das Sicherheitsmanagementsystem (SMS) einen Soll-Zustand von Regeln, Mensch & Organisation und Technik darstellt, wird dies durch das Individuum und von Gruppen beeinflusst – was dann den Ist-Zustand darstellt. In Anlehnung an die Kerntechnik hat der Arbeitskreis Sicherheitskultur den Begriff definiert.

Die Veranstaltung erhielt in Präsenz und online regen Zuspruch
Die Veranstaltung erhielt in Präsenz und online regen Zuspruch (Foto: DZSF/Luise Ross)

Die Pflichten für die Eisenbahnunternehmen führen aber auch zu einem veränderten Auftrag an das EBA als nationale Sicherheitsbehörde. In diesem Zusammenhang konnte Annette Hinze bereits Erkenntnisse des EBA aus der Aufsichtstätigkeit vorstellen. Verbesserungspotenziale zeigen sich vor allem bei der Etablierung eines einheitlichen Verständnisses der Bedeutung von Sicherheitskultur, der Einbeziehung von Sicherheitskultur-Fachwissen in Personalprozesse sowie bei der Schaffung eines Klimas des Vertrauens durch die Geschäftsführungen.

Definition Sicherheitskultur (nach EBA/DZSF)
Sicherheitskultur wird bestimmt durch die sicherheitsorientierte Grundhaltung, die Verantwortung und die Handlungsweise aller Personen, die für die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs erforderlich sind. Die Sicherheitskultur umfasst dabei die Gesamtheit der Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen innerhalb eines Unternehmens und bei den einzelnen Personen. Die Managementebene muss dabei Kenntnis haben zu Faktoren wie Arbeitsbelastung (quantitativ und qualitativ) und der Gestaltung der Arbeitsplätze. Menschliche und organisatorische Faktoren (MOF) sind immer Bestandteil einer positiven Sicherheitskultur.

Im zweiten Teil des Vortrages blickte Dr. Kristin Mühl auf die Thematik der Sicherheitskultur aus der Perspektive der Forschung. Das DZSF als Denkfabrik für die Schiene sammle dabei objektiv und systematisch Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst nahe am Sektor, auch auf Veranstaltungen wie dieser, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis übertragen zu können und so die Sicherheitskultur langfristig zu stärken. Evidenzen aus dem Ausland zeigen dabei einen positiven Zusammenhang aus der Beschäftigung einer Organisation mit ihrer Sicherheitskultur und den eingetretenen Ereignissen.

In diesem Zusammenhang nannte Dr. Mühl auch die vier wichtigsten Aktivitäten zur Etablierung einer positiven Sicherheitskultur:

  • Ernennung einer Schlüsselperson (i.d.R. die Führungskraft), die für die Durchführung der Maßnahmen verantwortlich ist,
  • Institutionalisierung gemeinsamer Diskussionen und Risikobewertungen von Gefahren unter Einbeziehung von Führungskräften und Beschäftigten,
  • Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen auf der Grundlage dieser Gespräche und gemeinsamen Risikobewertungen (z. B. Meldesystem und Trainings) und
  • Aufrechterhaltung einer effektiven Kommunikation in Sicherheitsfragen in der Organisation (informierte Sicherheitskultur).

Nach der Begrüßung und den Impulsvorträgen starteten die drei Sessions. Session A moderierte Volker Rupprecht, Leiter der Abteilung 3 (Fahrzeuge, Betrieb) beim EBA. Thematisch wurde darin in vier Vorträgen das Thema aus der Perspektive der Eisenbahninfrastruktur und -verkehrsunternehmen (EIU und EVU) betrachtet.

Die Vorträge brachten Forschung und Praxis zueinander
Die Vorträge brachten Forschung und Praxis zueinander (Foto: DZSF/Luise Ross)

Von der Kontrolle zur lernenden Organisation

Mit der Vortragsreihe startete Dirk Menne, als Eisenbahnbetriebsleiter und profunder Kenner der Materie in unterschiedlichen Funktionen tätig, zum Thema Sicherheitskultur auf dem Stellwerk bei der DB InfraGO AG. Zu Beginn seines Vortrages stellte auch er die Problematik dar, dass die Sicherheitskultur nicht unmittelbar messbar ist. Zwar bescheinige die Allianz pro Schiene beispielsweise dem Straßenverkehr eine um den Faktor 150 größere Unfallhäufigkeit als dem Schienenverkehr. Dies lasse aber nur Rückschlüsse auf das Gesamtsystem Eisenbahn zu, nicht aber auf das jeweilige Unternehmen. Keinesfalls dürfe sich der Sektor auf dieser Statistik ausruhen, im Gegenteil – es sei notwendig, kontinuierlich an einer Verbesserung der Sicherheit zu arbeiten.

Eine Möglichkeit des Monitorings auch der Sicherheitskultur sind Kontrollen. Damit werden seit jeher Fahrdienstleiter*innen (Fdl) durch die zuständigen Bezirksleiter*innen Betrieb überwacht. Dirk Menne bezeichnete dabei die Ergebnisse der Überwachungen als einen phantastischen Schatz, der bislang nicht genutzt werden konnte. Das Wissen verstaubte in Papier-Ordnern der Bezirksleiter*innen Betrieb. Mit der Einführung des EDV-Systems PANOPTES können diese Daten nun systematisch ausgewertet und die entsprechenden Schlüsse daraus abgeleitet werden.

In diesem Zusammenhang stellt die DB InfraGO AG ihr Kontrollsystem im Bereich des Bahnbetriebs um. Mit dem neuen Überwachungskreislauf ist es nicht mehr nur möglich, das Verhalten des einzelnen Mitarbeitenden zu verbessern, im letzten Schritt kann nun auch die Organisation aus den Ergebnissen lernen und die Maßnahmen daraus ableiten. Damit ist aus der ehemals rein mitarbeiterbasierten Kontrolle nun ein organisatorisches Lernen geworden und es gibt nun die Möglichkeit des Transfers der Informationen zur Änderung an den Rahmenbedingungen und am Regelwerk.

Markus Lorenz, Eisenbahnbetriebsleiter (EBL) der DB Regio AG, setzte die Vortragsreihe für die Vertreter der Eisenbahnunternehmen fort. Lorenz berichtete von den Schwierigkeiten, die entstehen, wenn Technokraten, wie EBL es seien, sich plötzlich um das auf den ersten Blick so wenig greifbare Thema der Human Factors kümmern müssen. Dies sei bei der DB Regio AG aus Sicht des Referenten aber dennoch sehr gut gelungen und so konnte er eine ganze Palette an unterschiedlichen, auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittenen Kommunikationskanälen vorstellen (siehe Deine Bahn 2/25, Seite 6ff.).

Anders als bei einer Hausordnung, so Lorenz, bei der zwar jeder weiß, wo sie hängt, aber niemand ihren Inhalt kennt, war es den Verantwortlichen der DB Regio AG ein Ansporn, diese für die jeweilige Zielgruppe gut handhabbar, verständlich und eine Weiterentwicklung dessen sind, was schon da war. Insbesondere ein Video, das von den Mitarbeitenden der DB Regio AG in Eigeninitiative selbst erstellt wurde, fand großen Anklang im Saal.

Schweiz: Sicherheitskultur als Gemeinschaftsaufgabe

Eine erste internationale Perspektive brachten Andrea Wyss und Andreas Mack von der SBB Cargo International mit ein und stellten zu Beginn einen Vergleich über die Wahrscheinlichkeit her, in unterschiedlichen Kategorien des Lebens zu verunglücken. Auch in der Schweiz nimmt hierbei die Eisenbahn einen herausragenden Platz ein.

Aktuelle Herausforderungen im Bereich der Sicherheit sind bei der SBB die gesellschaftliche Entwicklung (dabei insbesondere das Aggressionspotenzial), der Generationenwechsel (einhergehend mit einem immensen Verlust an Erfahrung und Wissen, was aus Sicht des Autors auch in Deutschlands eine große Herausforderung ist), ein zunehmender Effizienz- und Leistungsdruck sowie eine ebenfalls zunehmende Regelungs- und Informationsflut.

Diesen Punkten gilt es durch eine verstärkte Selbst- und Führungspräsenz entgegenzuwirken. Bei der SBB wurden daher vier Grundsätze der Sicherheitskultur erarbeitet, die nun mit der Kampagne „OneSBB“ kommuniziert wird. Sicherheit wird dabei als Gemeinschaftsaufgabe gesehen, die SBB wird gesamthaft betrachtet. Die Schweiz ist aktuell gerade dabei, das Konzept der „Just Culture“ im geltenden Recht zu verankern. Dieses ursprünglich aus der Luftfahrt stammende Konzept soll dabei in allen sicherheitsrelevanten Bereichen, dem Gesundheitswesen und der Industrie Anwendung finden.

Just Culture
Eine Kultur, in der operative Mitarbeitende oder andere Personen nicht für Handlungen, Unterlassungen oder Entscheidungen, die ihrer Erfahrung und Ausbildung entsprechen, bestraft werden, jedoch Grobfahrlässigkeit, vorsätzlich Verstöße und destruktives Handeln nicht toleriert werden.

Auch diese beiden Referenten stellten die aktuell bei der SBB zur Anwendung kommenden Maßnahmen vor. Im Rahmen der mit Humor angelegten Kampagne #Sei8sam will die SBB die Sicherheitskultur festigen und positiv beeinflussen. Zusammenfassend wird die Sicherheit in der Schweiz erreicht durch eine gelebte Sicherheitskultur, Safety Leadership, eine positive Fehlerkultur, Lernen aus Fehlern/Ereignissen, Achtsamkeit und Kampagnen zur Sicherheit.

Die Sicherheitskultur der ÖBB Infrastruktur stellten Gerhard Gmall und Ludwig Koschutnig in ihrem Vortrag vor. Sie bauten ihren Vortrag von der Betrachtung des Begriffs der Kultur aus auf, unterlegten dies mit Beispielen außerhalb des Eisenbahnbereichs und führten einen Vergleich zwischen Österreich, Deutschland und den Niederlanden durch.

In jedem Eisenbahnunternehmen arbeiten Beschäftige mit unterschiedlichsten kulturellen Vorprägungen, was die ÖBB schon im Jahr 2009 zum Start einen Sicherheitsprogramms und darauf aufbauend die Einbringung der Erfahrung in die unterschiedlichen Gremien beim UIC und der ERA. Die 9 Felder einer positiven Sicherheitskultur der UIC sind Verpflichtung und Beteiligung, Management und Führung, Just Culture, Lernen aus Fehlern, Einhalten von Regeln, Ausbildung und Ausrüstung, Veränderung, Zusammenarbeit und Vertrauen sowie Kommunikation und werden seither bei den ÖBB umgesetzt.

Die Referenten stellten eine ganze Reihe der bei der ÖBB zur Anwendung kommenden weiterer Werkzeuge vor. Die Werkzeuge werden durchgehend beim Topmanagement beginnend angewandt. Es kommt daher in Österreich durchaus auch vor, dass ein Finanzvorstand im Rahmen von Safety Walks eine Baustellenkontrolle durchführt und in dem Zusammenhang auch mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen konfrontiert wird. Auch bei den ÖBB werden Werte kommuniziert, die akzeptiert werden und solche, die nicht akzeptiert werden und dadurch mit Konsequenzen verbunden sind. Dabei orientiert man sich an der oberen, emotionalen Ebene, um zu erreichen, dass Mitarbeitende Fähigkeiten entwickeln und ihr Verhalten anpassen.

Eine einheitliche Sicherheitskultur wird es in Europa nie geben. Dazu sind die einzelnen Länder und Unternehmen zu unterschiedlich. Was aus Sicht der Referenten gebraucht wird, ist ein gemeinsames Bild und gemeinsame Instrumente.

In den Podiumsdiskussionen interagierten die Referenten mit dem Publikum
In den Podiumsdiskussionen interagierten die Referenten mit dem Publikum (Foto: DZSF/Luise Ross)

Nicht aus jedem Fehler eine Regel machen

Kritische Worte richteten die Referenten an die Vertreter anwesenden Aufsichtsbehörden. Diese müssten aus ihrer Sicht diese Verschiedenartigkeit akzeptieren und den Unternehmen Entscheidungsfreiheit in der Anwendung dieser gemeinsamen Werkzeuge lassen. Um es für den einzelnen Beschäftigten beherrschbar zu lassen, sei es wichtig, nicht aus jedem Fehler gleich eine Regel zu machen. Bei jedem risikobasiertem Ansatz, bei einer Risikoakzeptanz, gibt es auch ein Restrisiko. Das muss sowohl vom Gesetzgeber als auch von Aufsichtsbehörden akzeptiert werden.

Die den ersten Vortragsblock abschließende Podiumsdiskussion mit Fragen aus dem Publikum thematisierte u. a. die Verteilung der Verantwortung auf die unterschiedlichen Hierarchieebenen. Fehler, die im Büro oder in den oberen Führungsebenen genauso vorkommen, müssen ebenso ans Licht kommen. Bislang beschränkt sich die Diskussion auf die Operative, aber auch dafür braucht es geeignete Instrumentarien.

Als durchaus problematisch wurde die Einbeziehung der Lieferanten in die Gestaltung der Sicherheitskultur gesehen. Während die SBB ihr Umfeld in die Safety Talks mit einbezieht, kommen bei der DB InfraGO AG gemeinsame Ausschüsse zwischen EIU und EVU zur Anwendung. Bei den ÖBB gibt es gar einen gesetzlichen Auftrag zur Einbeziehung der Lieferanten und DB Regio AG lässt das Thema in ihre regelmäßigen Lieferantenaudits mit einfließen.

Auch wurde die Bewertbarkeit der Sicherheitskultur diskutiert. Dies sollte in vorgeschlagenen Sicherheitskulturkontrollen erfolgen, die nicht nach gut oder schlecht bewerten, sondern beurteilen, wie reif jemand für seine Tätigkeit ist. Die Runde sah es auch als wichtig an, den Mitarbeitern zu zeigen, dass aus den Kontrollen auch Maßnahmen abgeleitet werden und es zu Verbesserungen kommt. Dafür braucht es Menschen, die mit Menschen umgehen können.

Sicherheitsmanagementsystem und die Rolle der ERA

Die Session „Sicherheitskultur als europäische und branchenübergreifende Aufgabe“ moderierte Eckhard Roll, Leiter des DZSF. Die Sicht der ERA vertrat dabei Devid Ganz, der zu allererst die Begriffe ordnete und dabei auch auf die entsprechenden Publikationen der ERA verwies. Er stelle auch die Vorteile einer positiven Sicherheitskultur dar, die neben einem Gewinn an Sicherheit auch die Arbeitszufriedenheit steigert und Kostenvorteile bringt. Entscheidend ist aus seiner Sicht ein SMS, das zum jeweiligen Unternehmen und zur Realität passt. In dieses SMS kann dann das europäische Modell der Sicherheitskultur eingebettet werden, dass es auf der ERA-Seite mit E-Learning-Modulen zum Download gibt.

Wegbereiter für ein funktionierendes SMS sind wiederum die ebenfalls von der ERA veröffentlichten Grundvoraussetzungen der Eisenbahnsicherheit, die in jeder Organisation vorhanden sein müssen: Kontrolle der Hauptrisiken, Verstehen der Realität am Arbeitsplatz, aus Erfahrungen lernen und konsequente Einbeziehung der Sicherheit.

Im Folgenden ließ Ganz die Teilnehmer aus seinen Erfahrungen teilhaben, woran EIU und EVU häufig bei der Implementierung eines SMS oder der Bewertung der Sicherheitskultur scheitern und gab Hinweise, wie man dem konkret begegnen kann. Abschließend stellte er fest, dass unsere Sicherheitskultur sich ausbildet, sobald wir auf die Welt kommen. Sie lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Dazu gab er Hinweise, wie sich die Sicherheitskultur in Unternehmen verbessern lasse.

Götz Walther, Fachbereichsleiter Eisenbahnbetrieb im VDV, beantwortete in seinem Vortrag Sicherheitskultur als Branchenaufgabe die Frage, wie Sicherheitskultur denn gemessen werden kann und verwies dabei ebenfalls auf das Strukturmodell der ERA zur Sicherheitskultur im europäischen Eisenbahnverkehr mit ihren 24 Eigenschaften, auf die er auch in den Praxisbeispielen im Vortrag immer wieder referenzierte. Er nannte dabei ganz klar die Herausforderungen der Branche bei der Etablierung und Verbesserung einer Sicherheitskultur.

Der VDV wird seiner Verantwortung daraus gerecht, indem er nationale und internationale Gremienarbeit betreibt und damit den direkten Austausch pflegt und allgemein zugängliche Veröffentlichungen als Ergebnis dieses Austausches zur Verfügung stellt, wie VDV-Schriften, VDV-Mitteilungen und Stellungnahmen, Positionen oder Fachmitteilungen.

Die Aufsichtsbehörden aus Deutschland und der Schweiz beantworteten gemeinsam die Fragen des Publikums und stellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest
Die Aufsichtsbehörden aus Deutschland und der Schweiz beantworteten gemeinsam die Fragen des Publikums und stellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest (Foto: DZSF/Luise Ross)

Wie die Luftfahrtbranche mit dem Thema der Sicherheitskultur umgeht betrachtete Corinna Bleienheuft von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in ihrem Vortrag (siehe dazu ausführlich den zweiteiligen Beitrag in Deine Bahn). In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde insbesondere die Ungleichbehandlung der Luftfahrtbranche mit der Eisenbahn lebhaft diskutiert, die den Teilnehmenden so nicht bekannt war. In den Wortbeiträgen herrschte Einigkeit darüber, dass ein Schutz der Informationen auch wesentlich die Sicherheit der Eisenbahn verbessern würde. Die Informationen wären vorhanden, nur könnten sie nicht systematisch zur Ableitung von Verbesserungen genutzt werden, da die Personen sich nicht öffnen.

Die Session C thematisierte die Sicherheitskultur aus Sicht der Zulassung und der Aufsicht. Viel Beachtung fand dabei eine weitere Perspektive aus der Schweiz. Monika Haug, Leitende Auditorin der Abteilung Sicherheit des Schweizerischen BAV thematisierte in ihrem Vortrag ebenfalls die Problematik, dass Kultur nicht direkt an einem Wert ablesbar ist. Man kann sie nur beobachten. Die Beobachtungen können aber dann wiederum nicht direkt umgemünzt werden, sondern müssen in Bezug zur Gruppe gesetzt werden, da sich jeder in seiner jeweiligen Rolle anders verhält als er sich in einer anderen Rolle oder auch privat verhalten würde. So herrschen eben auf einer Baustelle im Gleisbereich andere Umgangsformen als in der Leitstelle.

Haug wies weiter darauf hin, dass Sicherheitskultur nur im Kontext des SMS überwacht werden könne. Während das SMS den formellen Teil der Sicherheit in der Organisation (die Vorgabe, wie gearbeitet werden soll) darstelle, bildet die Sicherheitskultur den informellen Teil (die Umsetzung) ab. Somit trägt die bloße Umsetzung des SMS schon viel zu einer positiven Sicherheitskultur bei. Abschließend war es Monika Haug wichtig, dass Aufsichtsbehörden und Organisationen ein gemeinsames Verständnis von Sicherheitskultur entwickeln, da auch Aufsichtsbehörden diese sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können.

Der Abschluss der Vortragsreihe war Michael Tanz, stellvertretender Leiter des Sachgebietes 222 „Aufsicht“ beim EBA und wesentlichen Ideengeber zur Durchführung des Tages der Sicherheitskultur vorbehalten. Wie die beaufsichtigten Eisenbahnunternehmen obliegt auch das EBA dem PDCA-Zyklus. Aus diesem Grund wurden die Aufsichtsstrategie und die Organisation angepasst. Die SMS-Aufsicht wird neu in einem abteilungsübergreifenden Schnittstellenpapier organisiert und die dazugehörige Verwaltungsvorschrift fortgeschrieben. Die Aufsichtsergebnisse fließen dann in eine einheitliche Bewertung nach dem Reifegradmodell ein, das dann den beaufsichtigten Unternehmen auch zur Verfügung gestellt wird.

Fazit

Das Thema Sicherheitskultur ist im Sektor Eisenbahn bei Unternehmen und Aufsichtsbehörden angekommen und konnte bereits auf sehr hohem Niveau diskutiert werden. Die Veranstaltung bot eine notwendige Plattform, um wissenschaftliche Erkenntnisse, unterschiedliche Ansätze und die Umsetzung in die Praxis auszutauschen. In zahlreichen Beiträgen äußerten sich die Teilnehmer sehr positiv zur Veranstaltung und verknüpften dies mit der Hoffnung auf Wiederholung.

Kontakt
Zur Diskussion des Themas wurde beim EBA eigens eine E-Mailadresse eingerichtet, zu der alle Interessierten eingeladen sind, ihre Fragen zum Thema zur Diskussion zu stellen:
Sicherheitskultur@eba.bund.de

Alle Anfragen werden beantwortet, da sich das EBA über eine gemeinsame und konstruktive Arbeit am Thema Sicherheitskultur freut. Beim DZSF stehen Frau Dr. Kristin Mühl und Frau Luise Ross jederzeit gerne für einen Austausch zur Verfügung:
MuehlK@dzsf.bund.de
RossL@dzsf.bund.de

Weitere Informationen
Link zu den Vorträgen der Veranstaltung beim EBA

E-Learnings der ERA zur Sicherheitskultur

Interaktives Modell der ERA zur Sicherheitskultur

Umfrage
Auch Sie können einen Beitrag zur Forschung des DZSF zum Thema Sicherheitskultur leisten. Die folgende anonyme Umfrage dauert nur 5 bis 10 Minuten und erhebt Einschätzungen zur aktuellen Sicherheitskultur im deutschen Schienenverkehr.


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