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Praxiswissen für Triebfahrzeugführer und Fahrdienstleiter

Grundlagen von ETCS im Bahnbetrieb (Teil 1)

Signal Ne 14
Signal Ne 14 (Foto: DB AG/Frank Kniestedt)

Rund um das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System) wird im Rahmen der Digitalisierung derzeit viel berichtet. Dabei werden häufig Begriffe wie „Baseline“, „Level“ und auch „Betriebsarten“ genannt. Was ist eigentlich ETCS, wie funktioniert es aus Sicht der am Bahnbetrieb beteiligten Akteure, und was steckt hinter den Fachbegriffen? Diese Fragen werden in einer Folge von Beiträgen erläutert, welche die Reihe „Praxiswissen für Triebfahrzeugführer und Fahrdienstleiter“ fortsetzen, die bis 2021 in Deine Bahn erschienen ist. Im nachfolgenden ersten Beitrag werden die Grundlagen zu ETCS vereinfacht beschrieben.

In Europa verwenden die Eisenbahnen historisch bedingt unterschiedliche Zugbeeinflussungssysteme, die in der Regel nicht zueinander kompatibel sind. Sie werden als „Klasse-B-Systeme“ bezeichnet. In Deutschland sind dies die punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) sowie die linienförmige Zugbeeinflussung (LZB).

Die bei den Eisenbahnen eingesetzte Zugbeeinflussung umfasst dabei die gesamte Bandbreite von einfachen, punktförmig bis hin zu kontinuierlich wirkenden Zugbeeinflussungssystemen.

Diese unterschiedlichen Zugbeeinflussungssysteme erfordern bei grenzüberschreitenden Zügen entweder einen Wechsel des Triebfahrzeugs (Tfz) an den Grenzbahnhöfen oder Tfz, die mit der jeweiligen Zugbeeinflussung ausgerüstet sind. Jedoch ist bei Letzteren auch der Platz im Führerraum bzw. unter dem Tfz begrenzt, um u. a. die erforderlichen Sende- und Empfangseinrichtungen aufzunehmen, ohne dass diese sich gegenseitig beeinträchtigen.

Um die Interoperabilität zu fördern, wurde das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS als „Klasse-A-System“ von der EU entwickelt. Interoperabel bedeutet dabei, dass die Schienenfahrzeuge auf unterschiedlichen Netzen der einzelnen Staaten mit einem einheitlichen Zugbeeinflussungssystem verkehren können.

Abbildung 1: Fahrt eines ETCS-geführten Zuges in Betriebsart FS
Abbildung 1: Fahrt eines ETCS-geführten Zuges in Betriebsart FS (Foto: DB AG/Sebastian Berger)

Europäische Vorgaben und Standards

ETCS bietet damit eine technisch einheitliche Lösung, um die nationalen Erfordernisse an Zugbeeinflussungssysteme zukunftssicher zu decken. ETCS ist ein Baustein von ERTMS (European Rail Traffic Management System). Es umfasst neben der Zugbeeinflussung auch die Zugkommunikation, bislang mit GSM-R (Global System for Mobile Communication – Rail). Dies ist seit vielen Jahren im Einsatz und wird in den nächsten Jahren durch die Nachfolgetechnik FRMCS (Future Railway Mobile Communication System) abgelöst. Ferner gehörte zu Beginn auch noch das Verkehrsmanagement ETML (European Traffic Management Layer) zu ERTMS, mittlerweile ist es kein Teil mehr davon. Hinzugekommen ist mit der neuen ‣ TSI-ZZS (Technische Spezifikationen für die InteroperabilitätZugsicherung und Signalgebung) der automatisierte Zugbetrieb ATO (Automatic Train Operation).

Die Vorgabe, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Bahnstrecken mit ETCS ausrüsten müssen, findet sich in verschiedenen TSI. Grundlage dazu bildet die ‣ EU-Richtlinie 2016/797 zur Interoperabilität des Eisenbahnsystems. In Deutschland wird diese EU-Richtlinie u. a. mit der ‣ Eisenbahn-Inbetriebnahmegenehmigungsverordnung (EIGV) in nationales Recht umgesetzt und erfüllt damit die Vorgaben der TSI.

Die TSI enthalten dabei u. a. Definitionen, Anforderungen und Beschreibungen für die entsprechenden Teilsysteme des Bahnsystems – in Hinblick auf die Zugbeeinflussung ist dies u. a. die ‣ TSI CCS „Control Command and Signalling“ (deutsch: TSI ZZS). Die TSI ZZS wurde am 10. August 2023 mit der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1695 in Kraft gesetzt und gleichzeitig die bis dato gültige Verordnung (EU) 2016/919 aufgehoben.

In umfassenden Spezifikationsgruppen wird ETCS mit seinem Aufbau genau beschrieben. Ein wesentlicher Bestandteil der Spezifikationsgruppen sind die System Requirement Specifications (SRS), deren Version oftmals synonym für die gesamte Spezifikationsgruppe verwendet wird. Die SRS wird als „Subset 026“ in den Spezifikationsgruppen geführt.

Die Kommunikation zwischen den Subsystemen (wie Strecke und Fahrzeug) erfolgt über standardisierte Schnittstellen, damit ETCS auch herstellerübergreifend funktioniert. Die Beschreibung der Schnittstellen sind in weiteren Subsets vorgegeben. Der Systemaufbau und die technische Funktionalität sind damit umfassend beschrieben, sodass technische Interoperabilität ermöglicht wird.

Die jeweiligen betrieblichen Abläufe, also welche betrieblichen Regelungen gelten, legt jedes Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) selbst fest. Für das Netz der DB InfraGO AG beschreibt insbesondere das ‣ Lastenheft „BTSF3“ (Betrieblich-technische Systemfunktionen Baseline 3), mit welchen Parametern, Ausrüstungsstandards und Betriebsregeln ETCS-Level 2 genutzt werden kann. Dieses wird in enger Abstimmung mit den Nachbargewerken und der Betriebsstrategie laufend fortgeschrieben. Daneben gibt es noch weitere (Teil-)Lastenhefte. Aufbauend auf diesen Anforderungen entwickeln dann die Hersteller ihre Produkte.

Die Einführung von ETCS ist in den europäischen Ländern unterschiedlich weit fortgeschritten. So sind z. B. die Schweiz (auch wenn nicht in der EU, aber als Transitland wichtig) sowie Luxemburg (nahezu) vollständig mit ETCS ausgerüstet. In Deutschland sind auf dem Netz von DB InfraGO AG bereits einige Strecken mit ETCS ausgerüstet – viele werden in den kommenden Jahren folgen.

In Europa finden wir – aufgrund der langen Entwicklungs- und Implementierungszeit – heute ETCS mit verschiedenen nationalen Ausprägungen vor: Es ist ein Zusammenspiel u. a. zwischen nationalen Werten und althergebrachten Betriebsprozessen, ETCS-Betriebsarten, ETCS-Level und Baselines entstanden. Nachfolgend werden einige dieser Begriffe erläutert.

Eine Baseline (bzw. Baseline-Release) definiert dabei einen bestimmten Satz an Spezifikationen, der als Grundlage dient, bspw. „Baseline 4 Release 1 mit SRS-Version 4.0.0“. Sie ist das stabile „Betriebssystem“, welches den Umfang der möglichen ETCS-Funktionen abbildet. Die SRS werden laufend fortentwickelt. Mit den Baselines werden auch die Systemversionen definiert, die für die Kompatibilität zwischen Fahrzeug und Strecke beachtet werden müssen.[1]

ETCS-Level

Weiterhin definiert ETCS unterschiedliche Level. Ein Level ist – vereinfacht beschrieben – der Kommunikationsweg zwischen Strecke und Zug und beschreibt, wie die Infrastruktur ausgerüstet ist. Zwischen den einzelnen Level sind „Transitionen“, also Wechsel, möglich. Tabelle 1 beschreibt die grundsätzlich möglichen Level.

Tabelle 1: Grundsätzlich mögliche ETCS-Level (Quelle: Marcel Jelitto)
Tabelle 1: Grundsätzlich mögliche ETCS-Level (Quelle: Marcel Jelitto)

ETCS in Deutschland

In Deutschland kommt ETCS mit Level 1, ETCS-Betriebsart LS (Limited Supervision) sowie Level 2 mit Signale (L2mS) und Level 2 ohne Signale (L2oS) zum Einsatz. Im engeren Sinne bedeutet L2oS dabei, dass auf ortsfeste, konventionelle Lichthauptsignale verzichtet werden kann.[2] Derzeit sind ferner noch Lichtsperrsignale für Rangierzwecke erforderlich.

Level 1 LS wird bei der DB InfraGO auch als ESG (ETCS signalgeführt) bezeichnet. Es ermöglicht vor allem auf Bestandsstrecken mit vorhandener ortsfester Signalisierung Interoperabilität. Es wird bei diesem Level nur eine reduzierte Anzahl an Daten übertragen. Somit fährt der Triebfahrzeugführer (Tf) signalgeführt.[3]

Der Betrieb in ESG ist vergleichbar mit Fahrten unter punktförmiger Zugbeeinflussung PZB.[4] Bei ESG sind neben der ETCS-Betriebsart LS dabei auch andere ETCS-Betriebsarten möglich, z. B. Staff Responsible (SR).

Die Ausrüstung der Strecken wird in Deutschland perspektivisch mit ETCS L2oS favorisiert. Im Rahmen der Ausrüstung des Netzes wird es aber in der ersten Zeit viele Strecken mit ETCS L2mS geben.[5] ESG wird vsl. im Großraum Basel, z. B. auf der Grenzbetriebsstrecke zum Einsatz kommen. [6] Welche Strecken der DB mit ETCS-Level 2 ausgerüstet sind, zeigt Tabelle 2 (Stand Februar 2024).

Tabelle 2: Strecken der DB, die mit ETCS Level 2 ausgerüstet sind
Tabelle 2: Strecken der DB, die mit ETCS Level 2 ausgerüstet sind (Quelle: Marcel Jelitto)

Die Unterschiede von Level 2 mit und ohne Signale werden in Tabelle 3 aufgelistet.

Tabelle 3: Unterschiede von ETCS Level 2 mit und ohne Signale
Tabelle 3: Unterschiede von ETCS Level 2 mit und ohne Signale (Quelle: Marcel Jelitto)

ETCS-Betriebsarten

Um nun verschiedene Betriebssituationen (in den verschiedenen Level) durchzuführen, sind bei ETCS unterschiedliche Betriebsarten definiert (Tabelle 4).

Fast alle dieser in Tabelle 4 genannten ETCS-Betriebsarten werden mit einem Symbol im Modularen Führerraumdisplay (MFD) angezeigt, einige erfordern eine Bestätigung durch den Tf. Dies wird in den jeweiligen betrieblichen Szenarien in einer der nächsten Ausgaben der Deine Bahn näher beschrieben.

Neben diesen ETCS-Level und ETCS-Betriebsarten hinterlegen die EIU über Nationale Werte die jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten in ETCS. Dies ist z. B. die zulässige Geschwindigkeit in der Betriebsart SR. In Deutschland beträgt diese 40 km/h bei Strecken mit ETCS-Level 2 und 20 km/h bei Strecken mit ETCS-Level 1 LS oder ggf. eine niedrigere Geschwindigkeit.[11]

Die betrieblichen Regelungen zu ETCS sind für die Deutsche Bahn u. a. in der ‣ Ril 408 (Fahrdienstvorschrift) und den Ausnahmen 240 und 241, im Handbuch ‣ Hb 41800 (Triebfahrzeugführerheft der DB Fernverkehr AG), im ‣ Betriebsregelwerk sowie in der ‣ Ril 483.0701 (ETCS-Fahrzeugeinrichtungen bedienen) und Ausnahme 104 zu finden.

Derzeit wird auch an der ‣ Ril 400, der „Fahrdienstvorschrift für den digitalen Bahnbetrieb“ gearbeitet. Diese soll zukünftig auf Strecken mit ETCS L2oS gelten.[12]

Tabelle 4: ETCS-Betriebsarten
Tabelle 4: ETCS-Betriebsarten (Quelle: Marcel Jelitto)

Ausblick

In diesem Artikel wurden wichtige Grundlagen zu ETCS beschrieben. Wie kommen aber die Informationen von der Strecke auf das Fahrzeug und umgekehrt? Und: Welche Ausrüstung für ETCS ist strecken- und fahrzeugseitig erforderlich? All dies wird in einem Folgeartikel beschrieben.

Zur Artikelserie „Praxiswissen für Triebfahrzeugführer und Fahrdienstleiter

Quellen
[1] Vgl. Jochen Trinckauf, Ulrich Maschek, Richard Kahl, Claudia Krahl; ETCS in Deutschland, PMC Media, Seite 45

[2] Vgl. Reiner Behnsch, Systementwicklung des ETCS Level 2 zur Anwendung in Deutschland, S+D Ausgabe 7+8/2023, Seite 42 ff.

[3] Vgl. https://www.dbinfrago.com/web/schienennetz/etcs/grundlagen-etcs/grundwissen-etcs-12285634#

[4] Vgl. https://www.dbinfrago.com/web/schienennetz/etcs/grundlagen-etcs/betriebliche_durchfuehrung-12590514#

[5] Vgl. https://www.dbinfrago.com/web/schienennetz/etcs/etcs-migrationsstrategie-11089586#

[6] Vgl. Reiner Behnsch, Systementwicklung des ETCS Level 2 zur Anwendung in Deutschland, S+D Ausgabe 7+8/2023, Seite 46 ff.

[7] Vgl. Ril 483.0701 ETCS-Fahrzeugeinrichtungen bedienen und https://www.dbinfrago.com/web/schienennetz/etcs/anforderungen/nationale-werte-11089676

[8] Vgl. Prof. Dr.-Ing. Jörn Pachl, Der Weg zu einer neuen Fahrdienstvorschrift für den digitalen Bahnbetrieb, DEINE BAHN 10/2021, Seite 12 ff.


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