Um das System Bahn trotzt Personalmangels am Laufen zu halten, muss die Branche stärker automatisieren und digitalisieren. Auf dem Symposium für Betriebsleiter*innen des Verbands Deutscher Eisenbahnfachschulen in Nürnberg wurden Ansätze diskutiert, Beispiele aus der Praxis vorgestellt und die Chancen und Grenzen neuer Technologien abgewogen.
Ohne Digitalisierung und Automatisierung kann das System Bahn aufgrund des demografischen Wandels und Fachkräftemangels nicht mehr betrieben werden – so brachte Jürgen Tuscher, Geschäftsführer des Innovationsnetzwerks RailCampus OWL, die Botschaft seines Eröffnungsvortrags auf den Punkt. Die Schiene müsse in intermodale Transportketten integriert und verlässlicher, kostengünstiger sowie attraktiver werden, für Kunden wie Mitarbeitende. Die Digitale Automatische Kupplung nannte er als Beispiel für eine Innovation, die einen Prozess vereinfacht, aber auch die dazugehörigen manuellen Arbeitsvorgänge erleichtert.
Bevor Prozesse bei der Bahn digitalisiert werden, müssen sie kritisch geprüft und ggf. geändert werden, betonte Tuscher, da nur so wirklicher Mehrwert geschaffen werden kann. In seinem Vortrag erklärte er eine strukturierte Vorgehensweise für die Vorbereitung und Gestaltung der Digitalisierung eines Prozesses, wie z. B. die Definition der Datenformate und Übertragungswege, aber auch eine Klärung der Voraussetzungen, etwa an die Sensoren und Aktoren für die Umfelderkennung beim hochautomatisierten Fahren. Dabei gelte stets: die Sicherheit ist nicht diskutabel, sowohl in betrieblicher Sicht als auch beim Schutz vor Cyberangriffen.
Ungeachtet dessen zeigte sich Tuscher optimistisch, dass der Branche die Bewältigung der Herausforderungen gelingt, wenn sie das Potenzial der neuen technischen Möglichkeiten ausschöpft, und verwies dabei auf die traditionell enge Zusammenarbeit unter Eisenbahnern.
Mit freundlicher Unterstützung der Künstlichen Intelligenz
Zu diesen Möglichkeiten gehören Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) und maschinellen Lernens. Der VDEF hatte mit Sven Schmeier vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz einen branchenfremden Experten eingeladen, der den Teilnehmenden zunächst einige Grundlagen erläuterte. Während bisherige KI-Anwendungen wie Schachcomputer oder Navigationsgeräte auf eine Aufgabe spezialisiert sind, liege die Stärke der neuen Generation in ihrer Vielseitigkeit, wobei die Größe der zugrunde liegenden Sprachmodelle und damit die Zahl der möglichen Parameter ihrer neuronalen Netze der ausschlaggebende Faktor sei.
Zur Demonstration hatte Schmeier ein Thema aus dem Schulungsprogramm des VDEF zum Thema Bahnerdung ausgewählt und mittels ChatGPT und Google Bard den Entwurf eines Kurses generiert. Das Ergebnis fiel auf den ersten und ungeschulten Blick sehr eindrucksvoll aus, allerdings fand das sachkundige Publikum schnell einige inhaltliche Fehler, womit der Referent gleichzeitig die aktuellen Grenzen der KI-Modelle aufgezeigt hatte.
Im Anschluss diskutierte Schmeier gemeinsam mit Sven Flore von der SBB Cargo das Potenzial von KI für den Bahnsektor und den Schienengüterverkehr im Besonderen. Personaldisposition, Lokumlaufplanung und die Wartung von Fahrzeugen und Infrastruktur sind mögliche Anwendungsfelder, sofern eine entsprechend aufbereitete Datenbasis vorhanden ist.
Dabei kam auch die Überzeugung der Diskussionsteilnehmer zum Ausdruck, dass sich Mitarbeitende in der Bahnbranche kaum Gedanken machen müssen, dass ihre Jobs durch KI ersetzt werden, auch wenn diese Möglichkeit in anderen Branchen laut Experte Schmeier durchaus real ist. Dazu ist der Fachkräftemangel im Schienensektor schlicht zu groß und zu zahlreich sind nach wie vor die arbeitsintensiven manuellen Tätigkeiten im Bahnbetrieb, zum anderen müssen KI-Ergebnisse stets gegengecheckt werden, das gilt im sicherheitsrelevanten Bereich und bei kritischer Infrastruktur naturgemäß erst recht. Auf der anderen Seite werden Aufgaben wie die betriebliche Disposition angesichts der Zunahme der Verkehre zu komplex, als das der Mensch allein sie noch bewältigen kann. Es wird also vor allem darauf hinauslaufen, dass KI menschliche Entscheidungen und Tätigkeiten mit Analysen und Empfehlungen unterstützt (siehe dazu auch den Beitrag ab S. 50 in diesem Heft).
Von der Theorie ging es dann zur Praxis. Hans-Georg Christiansen, Eisenbahnbetriebsleiter bei duisport rail und beim VDEF-Kongress bereits öfters als Referent vertreten, gab Einblicke in Automatisierungs- und Digitalisierungsaktivitäten seines Unternehmens. Mit Railgate, einem System zur Datenerfassung und Auswertung per Videokamera inklusive Texterkennung, gelang duisport eine Optimierung der Prozesse im Terminalbetrieb, wie etwa beim Erkennen von Schäden an Frachtgut, der Standortbestimmung von Containern und Lokomotiven, dem automatisierten Erstellen der Wagenliste oder dem Vermeiden von Fehlbedienhandlungen von Kranführenden.
Einen interessanten Versuch mit KI-gestützten Tools unternahm duisport am eigenen Personal, selbstverständlich mit dem Segen des Betriebsrates: Dabei wurden Mitarbeitende im Fahrbetrieb auf Schiene und Straße mittels Smartwatches physiologisch überwacht und beispielsweise das Stresslevel oder die Aufmerksamkeit während unterschiedlicher Tätigkeiten und Arbeitszeiten bestimmt. Dabei zeigte sich nicht nur eine große Differenz zwischen Messergebnissen und Selbsteinschätzung, sondern die Unternehmensführung konnte daraus u. a. Erkenntnisse für die Schichtplanung ableiten.
Per Autopilot durch Nürnberg
Da der Kongress in Nürnberg stattfand, drängte sich geradezu auf, die fahrerlose U-Bahn auf die Tagesordnung zu setzen – die erste ihrer Art in Deutschland und damit ein frühes Praxisbeispiel für den hochautomatisierten Betrieb. Oliver Früh von der Nürnberger Verkehrsgesellschaft (VAG) berichtete über die Umsetzung und Hintergründe des Projektes, und lud sein Publikum im Anschluss zu einer Exkursion in die U-Bahn-Tunnel der Stadt ein. Mit dem Ziel, die Taktung zu erhöhen, verfolgte die VAG die Umrüstung der Linie U2 im laufenden Betrieb mit einem Mischverkehr aus konventionell und fahrerlos fahrenden Zügen.
Technisch besteht die Herausforderung der Umsetzung der höchsten Automatisierungsstufe GoA4 darin, Sinneswahrnehmungen des Fahrzeugführenden und die situativ angemessenen Bedienhandlungen durch technische Subsysteme zu ersetzen bzw. auf diese zu übertragen, erläuterte Früh. Zur Gewährleistung der Sicherheit traf der Betreiber umfangreiche Vorkehrungen; so gibt es diverse Einrichtungen an der Strecke und am Fahrzeug, die ein Eingreifen ermöglichen, auch wenn kein Personal vor Ort ist, darunter Kameraeinblicke und eine Sprechverbindung der Leitstelle in die Züge. Bei einer Störung bleiben die Züge stehen bzw. fahren bis zur nächsten Station weiter, damit die Fahrgäste gefahrlos aussteigen können. Bahnsteige sind per Infrarot-Sensorik gegen das Hereinfallen von Personen ins Gleis gesichert.
In der Einführungsphase wurde der fahrerlose Betrieb in der Bevölkerung kommuniziert, um Vorbehalte abzubauen und Akzeptanz zu schaffen. So ganz ohne Menschen geht es dennoch nicht: So hält die VAG geschultes Betriebspersonal vor, dass im Störungsfall vor Ort eingreifen kann. Eine Grenze der Automatisierung ist erreicht, wenn sich große Menschenmengen an den Bahnsteigen aufhalten, etwa bei Schülerverkehren oder Großveranstaltungen. Dann sorgen Mitarbeitende an den Stationen für den reibungslosen Ein- und Ausstieg der Fahrgäste und die sichere Abfertigung der Züge.
Den gewohnten Überblick über das Eisenbahnrecht und aktuelle branchenrelevante Entscheidungen und Gesetzgebungsvorhaben gab Markus Ring vom VDV. Darunter war die aktuelle Novelle der Triebfahrzeugführerscheinverordnung (siehe dazu ausführlich ab S. 12 in diesem Heft). Aktualisiert wurde auch die Energietransportverordnung, die allerdings derzeit kaum praktische Relevanz hat, da Versorgungsengpässe nicht zu erwarten sind (siehe dazu Deine Bahn 9/2023).
Auswirkungen auf Personenverkehrsunternehmen ergeben sich aus der im vergangenen Sommer in Kraft getretenen neuen EU-Fahrgastrechteverordnung, die unter anderem neue Regeln für die Fahrradmitnahme, eine Anlaufstelle für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste und die elektronische Beantragung von Erstattungen vorschreibt. Eher kritisch sieht der VDV die Pläne des Justizministeriums, das Schwarzfahren im Zuge der Modernisierung des Strafrechts zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen – womit u.a. die Möglichkeit der vorläufigen Festnahme entfällt und aus Verbandssicht neue Anreize geschaffen werden, öffentliche Verkehrsmittel ohne Fahrschein zu nutzen.
Motivation ist da, wenn Führung funktioniert
Einen Exkurs in das Thema Mitarbeitendenführung bot Dr. Gottfried Linn, freiberuflicher Kommunikationstrainer, der früher u. a. bei der Bundeswehr-Akademie tätig war. Linn zitierte alarmierende Befunde einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup, nach der die sogenannte innere Kündigung unter Arbeitnehmenden weit verbreitet ist – als Ursache benannte knapp die Hälfte der Befragten ein demotivierendes Verhalten ihrer Vorgesetzten. Motivation ist nur da, wenn Führung funktioniert, stellte der Referent klar – und ist nach Erkenntnissen der Beratungsbranche sogar höher zu bewerten als das Gehalt.
Linn gab den Teilnehmenden, überwiegend selbst betriebliche Führungskräfte mit Personalverantwortung, einige Empfehlungen für gute Führung mit auf den Weg: Führen als Dienen, Entschlussfreude, Selbstbeherrschung, Kritikfähigkeit, Lernbereitschaft, Führen durch Vorbildcharakter, eigene Grenzen erkennen, Delegieren können – Vertrauen ist besser als Kontrolle, Zuhören und ansprechbar sein, Wertschätzung und Loyalität gegenüber dem Unternehmen und den Mitarbeitenden zeigen, und nicht zuletzt die Bereitschaft, Konflikte zu erkennen und proaktiv anzugehen.
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