Ich habe mich in der letzten Zeit häufig gefragt, ob die Deutsche Bahn Stiftung ihr zehnjähriges Bestehen feiern soll. Offen gestanden ist meine Antwort darauf weniger einfach als man vermuten mag und sie steht sinnbildlich für die Fragen, die wir uns fast täglich stellen: Wie gehen wir als gemeinnützige Einrichtung verantwortungsbewusst mit der Zuwendung des DB-Konzerns oder mit Spenden von Mitarbeitenden und aus der Bevölkerung um? Schauen wir doch gemeinsam, ob Sie nach dem Lesen dieses Beitrags zum selben Ergebnis kommen wir.
Die Eisenbahn in Deutschland hat eine fast 200jährige Tradition, die Deutsche Bahn AG selbst steuert auf ihren 30. Geburtstag zu. Oft war und ist die Eisenbahn Taktgeber. Sie war Wegbereiter der industriellen Revolution, half den Menschen, ungeahnte Entfernungen zu überwinden, wurde zum Diener eines Vernichtungsregimes im Nationalsozialismus und musste sich seit der privatwirtschaftlichen Ausrichtung im Jahr 1994 gegen eine harte Konkurrenz behaupten.
Was die Bahn auch immer war: Einer der größten Arbeitgeber des Landes und spätestens mit der Elektrifizierung eines der sichersten und umweltverträglichsten Transportmittel. Zudem wird sie bis heute eng und emotional von der Gesellschaft begleitet.
Die Eisenbahn wie auch die Eisenbahner*innen selbst pflegen seit langem die Tradition, sich ganz vielfältig für die Gesellschaft zu engagieren und selbstbewusst zu ihrer langjährigen Geschichte zu stehen. Ausdruck dessen sind das über 140 Jahre alte DB Museum in Nürnberg und viele größere und kleinere Partnerschaften mit sozialen Einrichtungen, die die Deutsche Bahn seit Jahren pflegt.
Überlegungen, dieses Engagement zu bündeln, gab es immer wieder. Umsetzung fanden sie endlich, als sich die DB 2013 der Nachhaltigkeit verschrieb. Die Deutsche Bahn Stiftung betreibt seither unter ihrem Dach das DB Museum; sie bündelt das gemeinnützige Engagement und entwickelt dieses professionell weiter – die Schwerpunkte nah am sozialen Profil der DB angelehnt. Die Arbeit der Stiftung finanziert die DB mit jährlichen Zuwendungen.
Um einem häufigen Irrtum zu begegnen: Wir sind keine Stiftung bürgerlichen Rechts, da dies ein Stiftungskapital in dreistelliger Millionenhöhe erforderlich gemacht hätte, stattdessen sind wir eine gemeinnützige GmbH.
Anschluss sichern, Verbindungen schaffen, Weichen stellen
Unser Anspruch ist klar und seit Gründung unverändert: Mit guter gemeinnütziger Arbeit der gesellschaftlichen Verantwortung der DB noch wirksamer nachzukommen. Dazu entwickeln wir kontinuierlich unser Handeln auch im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen weiter. Der Bedarf nach Unterstützung nationaler, aber auch internationaler sozialer Projekte ist groß. Gleichzeitig sind unsere Mittel begrenzt.
Um diese Mittel möglichst wirksam einzusetzen, müssen wir unsere Arbeit fokussieren. Wir setzen auf Themenschwerpunkte, die zur DB und ihren Beschäftigten passen und bei denen wir die einzigartigen Möglichkeiten dieses Unternehmens nutzen können. Die DB verbindet täglich Millionen Menschen, unsere Bahnhöfe sind Begegnungsorte von Menschen unterschiedlichster Herkunft – und ebenso vielfältig ist die Belegschaft der Deutsche Bahn.
Im Herbst 2022 zeigt die Deutsche Bahn Stiftung die Ausstellung „Psychische Erkrankungen im Blick“ der Fotografin Herlinde Koelbl an mehreren deutschen Bahnhöfen (Foto: Deutsche Bahn Stiftung/EVENTPRESS/Sascha Radke)Vermutlich verfügt keine andere Stiftung in Deutschland über die Möglichkeit, mit Ausstellungen an Bahnhöfen zehntausende Menschen zu erreichen, um gesellschaftlich relevante Themen zu platzieren oder tausende Mitarbeitende für ein Ehrenamt zu begeistern und zusammen mit ihnen vor Ort die sozialen Aktivitäten so vieler gemeinnütziger Vereine in ganz Deutschland zu fördern. Und nicht zuletzt trägt unser DB Museum mit vielen engagierten Mitarbeitenden dazu bei, dass Eisenbahngeschichte für Groß und Klein lebendig wird.
Aus der Vielfalt an Menschen und Themen haben wir unser Profil erarbeitet: Unser Ziel ist es, die Chancengerechtigkeit zu verbessern, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und Menschen in Not zu helfen. Wir verbinden Eisenbahngeschichte mit Weichenstellungen für die Zukunft und knüpfen an die Tradition der Hilfe und Verantwortung an, wie Eisenbahner*innen sie seit jeher leben.
Entscheidungen werden bei uns nicht im stillen Kämmerlein getroffen. Uns ist es wichtig, neben DB-interner auch externe Expertise einzubinden. Daher berät uns ein mit unterschiedlichen Expert*innen besetztes Fachkuratorium bei der Ausgestaltung der Projekte und ein hochkarätig besetzter Beirat beschließt unsere Projektvorschläge. Besonders dankbar sind wir unserer Schirmherrin und Beirätin Christina Rau, die uns seit Gründung engagiert zur Seite steht.
Die Geschicke der Stiftung leite ich übrigens zusammen mit Dr. Hella Schmidt-Naschke (Finanzen) und Sebastian Lange (Museum). Wir alle drei investieren dabei ehrenamtlich als Geschäftsführende viel Zeit für die Stiftung – parallel zu unseren Hauptjobs bei der DB.
Zusammenarbeit mit dem Bahn-Sozialwerk (BSW)
Die Stiftungsfamilie BSW ist ein enger Partner der Deutsche Bahn Stiftung und wir stehen in einem regen Austausch miteinander. Der Fokus der Kolleg*innen richtet sich dabei auf die Mitarbeitenden der DB und deren Unterstützung in Notlagen. Damit hilft das BSW da, wo wir nicht helfen dürfen. Unsere Aktivitäten richten sich nicht an Mitarbeitende, sondern dienen immer dem Wohl der Allgemeinheit – sonst bekämen wir schnell Besuch vom Finanzamt.
Schwerpunkte und Partner
Unsere inhaltlichen Schwerpunkte sind klar definiert und unterliegen doch einem Wandel, da sich Notlagen und Bedürfnisse ändern. Wir haben mit einigen Partnern eine enge Zusammenarbeit aufgebaut. Mit Ihnen entwickeln wir Hilfsangebote fortlaufend gemeinsam weiter. Parallel fördern wir innerhalb unserer Schwerpunkte neue Themen und Projekte, um sie dann in gute Hände weiterzugeben. Damit verhindern wir inhaltlichen Stillstand und haben gleichzeitig die Möglichkeit, auf aktuelle Notlagen zu reagieren.
Sozialraum Bahnhof
Wer könnte hier naheliegender wirken als wir: Ob Straßenkids oder Obdachlose – wenn das Leben aus den Fugen geraten ist, zieht es viele Menschen zum Bahnhof. Erwachsene und Jugendliche ohne Zuhause brauchen fast immer Unterstützung, um einen Weg aus der Obdachlosigkeit und in ein selbstbestimmtes Leben zu finden. Wir haben in den letzten Jahren hier vor allem eine enge Partnerschaft mit den Bahnhofsmissionen aufgebaut und unterstützten Projekte für von Obdachlosigkeit bedrohte Jugendliche.
Psychische Gesundheit
Seit Gründung engagieren wir uns dafür, dass psychische Erkrankungen ihr gesellschaftliches Stigma verlieren. Depressionen gehören in Deutschland zu den häufigsten, aber hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Wir fördern sowohl die Aufklärung und Wissensvermittlung rund um die Themen psychische Gesundheit, Depression und Therapiemöglichkeiten als auch konkrete Hilfsangebote für Betroffene. Einmal im Jahr empfangen wir dazu die Presse zur Vorstellung des Deutschland-Barometers Depression.
Ehrenamt
Bei der Deutschen Bahn hat gesellschaftliches Engagement eine lange Tradition. Wir unterstützen Projekte und gemeinnützige Vereine, in denen sich DB-Mitarbeitende in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren. Zudem sind wir seit fünf Jahren einer der Hauptförderer des Deutschen Engagementpreises, mit dem jedes Jahr herausragendes bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet wird.
Eines von vielen durch die Deutsche Bahn Stiftung unterstützten ehrenamtlichen Engagements von DB-Mitarbeitenden: Der Berliner Verein „Faradgang“ repariert gemeinsam mit Geflüchteten alte Fahrräder (Foto: Deutsche Bahn Stiftung/Oliver Lang)
Leseförderung
Schon seit 25 Jahren machen sich DB und seit ihrer Gründung die Stiftung gemeinsam mit langjährigen Partnern für die Leseförderung stark. Mit Lese und Vorleseangeboten sollen insbesondere die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Verhältnissen verbessert werden. Gefördert wird die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen z.B. mit dem Vorlesekoffer für Schulen und Kitas, dem Bundesweiten Vorlesetag und über die Internetplattform www.einfachvorlesen.de
Gemeinsam mit der Stiftung Lesen engagiert sich die Deutsche Bahn Stiftung seit ihrer Gründung für die Leseförderung (Foto Stiftung Lesen/Sascha Venturi)
Digitale Kompetenz
Dieser Schwerpunkt zeigt beispielhaft, wie wir uns weiterentwickeln. Im Dialog mit dem Fachkuratorium haben wir erkannt, dass Grundbildung mehr als Leseförderung umfassen sollte. Deshalb beschlossen wir, digitale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere aus unterrepräsentierten Gruppen, zu stärken. Denn gesellschaftliche Veränderungen im Zuge der Digitalisierung betreffen alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Stiftung unterstützt Projekte, die Jugendlichen digitale Medienkompetenz vermitteln und einen Zugang zu Information und Wissen ermöglichen.
Berufliche Integration
Der demographische Wandel verstärkt die Bedeutung der Berufstätigkeit zur eigenen Vorsorge – eine Grundvoraussetzung zur Vermeidung von Armut. Wir unterstützen sozial benachteiligte Jugendliche auf dem Weg von der Schule in den Beruf. Dabei geht es um Berufsorientierung, aber auch um Ausbildungsreife und die Entwicklung sozialer Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Kommunikation sowie um Selbstvertrauen und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Humanitäre Hilfe
Mit unserer humanitären Hilfe möchten wir auch international das Leid in Not geratener Menschen lindern, Überleben sichern sowie Betroffene bei akuten humanitären Notlagen nach Katastrophen unterstützen. Wir arbeiten dabei effizient mit dem Bündnis „Entwicklung Hilft“ und dessen Partnern zusammen und werden auch von DB Schenker unterstützt. Unsere Projektliste ist lang. Zuletzt haben wir den Erdbebenopfern in Syrien und der Türkei geholfen, davor Straßenkindern in Ruanda oder Opfern der Wirbelstürme in Haiti.
Erfolgskontrolle ist dabei stets ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Kommt unsere Hilfe an? Wurde diese wirksam und effizient erbracht? Mit jedem unserer Partner schließen wir deshalb eine Fördervereinbarung.
Oft kommt es anders als man denkt
Auch wenn wir langfristige Entwicklungslinien haben, müssen wir unsere Arbeit fortlaufend hinterfragen. Corona war besonders prägend: Das Museum musste für Monate schließen, unsere Projektpartner konnten nicht mehr in gewohnter Weise helfen. Gleichzeitig entstanden neue Bedarfe und beschleunigten sich kritische Entwicklungen.
Unser Anspruch war zu helfen, aber immer im Rahmen unserer Schwerpunkte. Vieles musste neu gedacht werden. Das Museum entwarf digitale Angebote und verlegte Veranstaltungen auf das Freigelände. Mit den Bahnhofsmissionen entwickelten wir kurzfriste Hilfen für Obdachlose, deren sonst übliche Anlaufpunkte schlossen. Für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche organisierten wir Notebooks, damit diese am Homeschooling teilnehmen konnten und förderten Angebote zur Lernbegleitung.
Auch der Ukraine-Krieg forderte uns: Mit den Bahnhofsmissionen haben wir Hilfe für die ankommenden Flüchtlinge organisiert, mit DB Schenker und German Doctors brachten wir medizinische Hilfe in die Ukraine.
Das DB Museum in der Stiftung
Es ist kein Zufall, dass die Feiern zu 175 Jahre Eisenbahn in Deutschland im Jahr 2010 im Nürnberger DB Museum stattfanden. Seit 140 Jahren widmet sich das Museum dem Erhalt des deutschen Eisenbahnerbes. Das Museum beschränkt sich dabei nicht nur darauf, der Technikfaszination mit einer Fahrzeugschau zu frönen, vielmehr widmen wir uns auch der gesellschaftlichen Bedeutung der Eisenbahn in mehreren Epochen, ihrer historischen Verantwortung im Dritten Reich und der DDR, wollen aber auch mit dem KinderBahnLand und einem vielfältigen pädagogischen Programm kommende Generationen zu Bahn-Fans machen.
Auch wenn das Museum mit seinem Alter altehrwürdig daherkommt, durchläuft es einem ständigen Wandel und greift kontinuierlich aktuelle Themen auf, wie z.B. den Sozialraum Bahnhof widmen uns der Bedeutung der Eisenbahn als Wegbereiterin für modernes Design, trauen uns aber auch, über die Bedeutung der Eisenbahn für Flucht und Migration zu sprechen.
Auch in Museen ändern sich Sehgewohnheiten, deshalb entwickeln wir uns und unsere Ausstellungen auch hier stetig weiter, um am Puls der Zeit und im Blickpunkt unserer vielen Besucher*innen zu bleiben.
Natürlich bietet das Museum auch viel für Eisenbahnenthusiasten. Der Bestand weist über 600 Fahrzeuge auf, viele sind in den drei Standorten zu besichtigten – oder bei langjährigen Partnern, wie zum Beispiel dem Berliner Technikmuseum. Auch hier haben wir einen klaren Anspruch: Wir wollen einige Fahrzeuge fahrfähig halten. Das Museum verfügt dazu über eine EVU-Lizenz, für die wir in den letzten Jahren viel an Aufwand investiert haben. Fahrfähig sind dabei unter anderem ein Nachbau des Adlers aus dem Jahr 1935 und der TEE Rheingold.
In Summe haben wir rund 20 Lokomotiven mit einer Zulassung. So wichtig uns dieses rollende Museum ist, so groß sind auch die Herausforderungen geworden. Unsere Abstellmöglichkeiten sind begrenzt und nur in Teilen überdacht. Gleichzeitig müssen viele Leihnehmer aufgeben, da sie ihre Standorte verlieren oder wie wir darunter leiden, dass die Tradition der BSW-Gruppen stirbt – wir sprechen hier von der Individualisierung des Freizeitverhaltens. Zudem ist es in einem boomenden Eisenbahnumfeld immer schwieriger, Werkstattkapazitäten und Expert*innen für historische Fahrzeuge zu finden, für die etwa im Gegensatz zur Schweiz bis heute Jahresfristen gelten und keine an Laufleistung gekoppelte Fristen.
Dies alles macht es erforderlich, dass wir zusammen mit Expert*innen fortlaufend prüfen, welche Fahrzeuge wir erhalten können und wollen – eine wahrlich diffizile Angelegenheit, denn jede Lok und jeder Wagen hat einen Fanclub und über die Bedeutung eines bestimmten Fahrzeugtyps lässt sich natürlich trefflich streiten.
Danksagung
Wir sind sehr dankbar, dass die DB AG seit Jahren trotz mancher Turbulenzen uneingeschränkt zu ihrem Engagement steht. Wir leiten daraus für die Deutsche Bahn Stiftung eine große Verantwortung ab: Wir gehen sehr sensibel und gewissenhaft mit der hart erarbeiteten Zuwendung um. Entsprechend hartnäckig schauen wir auf die Wirkung unserer Arbeit und bemühen uns, zusätzlich auch eigene Mittel zu generieren, zum Beispiel durch Erträge aus der Arbeit des DB Museums, den jährlichen Verkauf von Weihnachtskarten oder das Einwerben von Fördermitteln und Spenden.
Dies leitet auch direkt zur Ausgangsfrage zurück, zu der ich Ihnen nun unsere Antwort geben möchte: Ja, wir werden feiern, aber recht ungewöhnlich. Gute Stiftungsarbeit lebt von Menschen, die sich engagieren, Menschen, die Leidenschaft und Überzeugung, Zeit, Geld oder Expertise einbringen. Dafür möchten wir Danke sagen.
Außerdem hoffen wir auch, weitere Unterstützung zu finden. Viele DB-Kolleg*innen, Fördernde, Netzwerk- und Projektpartner*innen der Stiftung erhalten daher eine Einladung zu einer sommerlichen, zweistündigen Rundfahrt im historischen TransEuropExpress, dem TEE Rheingold, um Berlin. Diese Fahrt ist auf Begegnungen ausgelegt und so hoffen wir, dass bei noch mehr Menschen die Begeisterung für die Stiftungsarbeit überspringt, und die Überzeugung, dass es nicht nur beim TEE lohnt, wichtige Zeitzeugen der Geschichte für die Nachwelt zu bewahren.
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