Mit dem Tag der Eisenbahnausbildung hat das Innovationszentrum für Bahntechnik und Mobilität (IZBTM), eine Startup-Ausgründung der Fachgruppe Bahntechnik an der Hochschule München, für eine thematische Bereicherung in der Veranstaltungslandschaft der Bahnbranche gesorgt. Die Tagung bot einen kompakten Überblick zum Thema Digitalisierung der Aus- und Weiterbildung für die Schiene. Medienpartner der Tagung war der Bahn Fachverlag, der mit einem Vortrag auch die eigene Sichtweise in die Diskussionen mit einbrachte.
Das IZBTM veranstaltete den Tag der Eisenbahnausbildung Mitte Oktober in München, und die 45 Teilnehmenden waren nach Ablauf von intensiven 8 Stunden mit 10 Vorträgen voll des Lobes für den thematischen Ansatz, der als offener Austausch von Bildungsexperten der Bahnbranche angelegt war. Geschäftsführer Prof. Dr.-Ing. Matthias Niessner eröffnete die Tagung und stellte kurz den Ansatz des IZBTM vor: Das Startup legt den Schwerpunkt auf Findung technischer beziehungsweise digitalisierter Lösungen in der Aus- und Weiterbildung der Bahnbranche. Hinzu kommen Bahntechnik- und Bildungs-Know-how, die aus dem Umfeld der Fachgruppe Bahntechnik an der Hochschule München stammen. So hat das fünfköpfige Team des IZBTM mit dem „RailTrainer“ ein webbasiertes Lernsystem im Portfolio, das Unternehmen inhaltlich und organisatorisch bei Aus- und Weiterbildungen unterstützt. Ein weiteres Angebot ist die Erstellung digitaler Zwillinge beziehungsweise Modelle von technischen Systemen wie zum Beispiel Triebfahrzeugen, in denen sich die Anwender auf virtuellen Rundgängen „bewegen“ und ausbildungsrelevante Inhalte interaktiv nachvollziehen können.
Tf-Ausbildung
Erster Referent des Tages war Yves Weis vom Unternehmen Eisenbahndienstleistung Dithmarschen (Edith). Weis hob auf den eklatanten Mangel an Triebfahrzeugführern (Tf) in der Bahnbranche ab – momentan kommen laut Bundesagentur für Arbeit auf 100 freie Tf-Stellen lediglich 54 Bewerber*innen – und vertrat die These, das Ausbildungssystem werde diesen Mangel in den derzeitigen Strukturen nicht beseitigen können. Ein Grund dafür seien die Kurskosten für eine Ausbildung, die deutlich im fünfstelligen Eurobereich lägen und so verhinderten, dass neue Zielgruppen für das Berufsbild gewonnen werden können, sagte Weis. Aus diesem Grund hat Edith ein E-Learning-Konzept entwickelt, das einige Module des ansonsten klassischen Präsenzunterrichts digital abbildet und dazu den Lernstoff methodisch neu aufbereitet und strukturiert. Mit dem sogenannten Lernfeldansatz, der eine konsequente Orientierung an den Tätigkeiten der Lernenden anstrebt, versucht das Unternehmen darüber hinaus, auch in der Didaktik einen neuen Ansatz zu etablieren. Mit dem neuen E-Learning-Konzept, das in Kürze starten soll, wolle Edith neue Wege in der Aus- und Weiterbildung von Tf beschreiten, sagte Weis.
Digitale Kompetenzen
Dr. Katja Kirsten stellte im Anschluss die Aktivitäten der VDV-Akademie vor. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung digitaler Kompetenzen für die Teilnehmenden von Aus- und Weiterbildungen. Warum das logisch ist, erläuterte Kirsten unter anderem anhand der Neuordnung der Ausbildung „Eisenbahner*in im Betriebsdienst“: Dabei sei angedacht, Möglichkeiten offen zu halten, Teile der Ausbildungsinhalte digital abzubilden. Dafür sei es nötig, die entsprechenden Kompetenzen zu schulen. Grundsätzlich seien Akzeptanz und die Vermittlung digitaler Kompetenzen die entscheidenden Erfolgsfaktoren für erfolgreiche digitale Aus- und Weiterbildungen, sagte Kirsten.
Lena Scharbert vom IZBTM präsentierte den Teilnehmern einen 10-Punkte-Fahrplan, um Digitalisierungsprojekte – und so auch die Digitalisierung von Lerninhalten – erfolgreich in Unternehmen implementieren zu können. Warum solch ein Fahrplan notwendig ist, zeigt die Statistik: Grob geschätzt, scheitern etwa 70 Prozent aller Digitalisierungsprojekte – und das aus den unterschiedlichsten Gründen, wie eine Umfrage ergeben hat, die Scharbert für ihren 10-Punkte-Fahrplan durchführte. Ob es die fehlende Zusammenarbeit in der Branche ist, die zu aufwändigen Insellösungen zwingt, fehlende Reserven im eigenen Unternehmen oder Ressentiments gegenüber neuen Technologien: An Gründen, ein Digitalisierungsprojekt gar nicht erst richtig anzufangen, mangelt es demnach nicht. Der Fahrplan ist ein Beispiel dafür, dass es gerade in komplexen Projekten darauf ankommt, sich stets auf das Wesentliche zu konzentrieren und Schritt für Schritt vorzugehen.
Bildungsinhalte
Thorsten Breustedt vom Bahn Fachverlag (BFV) brachte die Verlagsperspektive in die Diskussion ein und sprach sich für eine stärkere Zusammenarbeit der Akteure in der Aus- und Weiterbildung aus. Standardisierung dürfe nicht allein technische Prozesse und methodische Ansätze betreffen, auch bei den Inhalten benötige die Branche einen Kanon, ein Fundament, von dem alle Beteiligten ausgehen und Produkte für den Markt entwickeln können. Breustedt stellte die neue Online-Plattform ELog vor, mit der der BFV seine Inhalte auf XML-Basis nicht nur online abbildet, sondern auch Werkzeuge wie Notiz- und Markierungsfunktionen bereitstellt. Darüber hinaus plane der BFV, aus seinen Inhalten in Zukunft auch eigenständige digitale Produkte zu entwickeln, sagte Breustedt.
Praxisanbindung
Olaf Metzner von Knorr-Bremse, dem Industrie-Partner der Veranstaltung, präsentierte den Ansatz seines Unternehmens bei der Aus- und Weiterbildung, der zwischen internen (eigene Mitarbeiter) und externen Maßnahmen (Fahrzeugbauer und Betreiber) differenziert. Bei den eigenen Mitarbeitenden komme es neben der notwendigen Geräte- und Systemkenntnisse vor allem darauf an, auch über die Betriebsabläufe im System Bahn Bescheid zu wissen: In der Bahnbranche werde eine ernsthafte Kundenpflege häufig durch Produkttreue honoriert, erläuterte Metzner. Knorr-Bremse setzt dabei auf einen Mix von digitalen und präsenzorientierten Formaten: So stehen neben Technik-Trainings auch Zugdemonstratoren für die Mitarbeiter zur Verfügung. Außerdem bemüht sich das Unternehmen darum, regelmäßig bei Inbetriebnahmen und in Werkstätten präsent zu sein, um die Anbindung an die Praxis zu wahren.
Simulation
Axel Hölscher von Zusi Bahnsimulatoren stellte den Einsatz von Fahrsimulatoren im Ausbildungs- und Betriebsablauf vor. Die Simulationen könnten zwar keine Tf-Ausbildung ersetzen und auch keine individuelle Streckenkunde vermitteln. Sie stellten aber einen Praxisbezug her und erhöhten damit die Qualität der Aus- und Weiterbildungen. So verbessere der Einsatz von Simulatoren die Handlungskompetenz der Tf in anspruchsvollen Situationen und unter dem Strich auch die Prüfungsergebnisse, argumentierte Hölscher.
Sebastian Holzbauer präsentierte in seinem Vortrag die „Möglichkeiten von virtuellen Realitäten und digitalen Zwillingen in der Eisenbahnausbildung“. Der IZBTM-Mitarbeiter verdeutlichte dabei anschaulich die Vorteile virtueller Realitäten im Allgemeinen: Virtuelle Lerntools ließen den Nutzer mit allen Sinnen in die Anwendungen eintauchen (Immersion), seien interaktiv, realistisch und dreidimensional. Damit erweiterten sie die Wahrnehmungsmöglichkeiten gegenüber reinen Print-Unterlagen und verbesserten die Gedächtnisleistung der Lernenden. Virtual Reality biete sich zum Beispiel für die Schulung komplexer oder auch potenziell gefährlicher Arbeitsschritte an, sei ortsunabhängig einsetzbar und wirke sich aufgrund seines „Gamification-Faktors“ oft positiv auf die Motivation der Nutzer*innen aus. Digitale Zwillinge, also digitale Abbilder technischer Systeme, würden durch die genaue Nachbildung realer Zustände und hohen Informationsgehalt interaktives Lernen ermöglichen und dazu Zeit und Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Bildungsmaßnahmen sparen, referierte Holzbauer.
Forschung und Innovation
Zahi Kebdani vom Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) erläuterte in seinem Vortrag die Aktivitäten der im Jahr 2019 ins Leben gerufenen Ressortforschungseinrichtung des Bundes (siehe auch den Beitrag ab S. 6 der vorliegenden Ausgabe). Kebdani verwies auf die von der Branche mit Spannung erwarteten beiden Studien, die das DZSF derzeit fährt: Zum einen ist das die Analyse der Hochschulausbildung im Schienenverkehrssektor, der einen strukturierten und umfassender Überblick über diesen Bereich inklusive Bedarfs- und Defizitanalyse liefern soll. Zum anderen soll die Analyse der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Sektor einen ebensolchen Überblick über die Angebote abseits der Hochschulen zur Verfügung stellen. Kebdani stellte darüber hinaus exemplarisch einige Studien vor, die das DZSF selbst im Bildungsbereich durchführt – zum Beispiel das Projekt „Sicherheitskonzepte für Eisenbahntunnel“, das im Juli abgeschlossen wurde.
Achim Kühne-Henrichs vom Bahntechnologie-Campus (BTC) Havelland stellte in seinem Vortrag das praxisorientierte Konzept seines Unternehmens vor. Der BTC Havelland ist ein vom Land Brandenburg und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördertes Modellprojekt. Der BTC bietet Unternehmen, Hochschulen und Bildungsanbietern die Möglichkeit, am Gleis und damit in konkreter Anschauung die praktische Seite vieler Tätigkeiten in der Branche kennenzulernen. Der Standort versteht sich als anbieterneutral und verfolgt das Ziel, innovative Bildungskonzepte zu erproben. Flankiert wird das BTC-Angebot mit einer Online-Plattform, die die Lernstationen thematisch begleitet und mit strategischen Bildungspartnern – einer davon ist der BFV – systematisch ausgebaut werden soll.
Zeitersparnis
Matthias Niessner differenzierte schließlich in seinem Vortrag zwischen der Digitalisierung der operativen Ausbildung („Frontend“) und der Digitalisierung des Ausbildungssystems („Backend“). Nach seiner Erfahrung könne Digitalisierung im Front-End durchaus Zeit bringen: So habe er als Hochschulprofessor in der Pandemiezeit gute Erfahrungen gemacht, die Standardlehre online vor größeren Gruppen zu lehren („Online sitzt keiner hinten.“). Dadurch habe er mehr Zeit gehabt, kniffelige Aufgaben mit den Studierenden zu lösen oder individuelle Unterstützung zu geben. Und auch im Backend verspreche Digitalisierung Zeitgewinn: So könne ein System wie der RailTrainer helfen, den Kursbetrieb zu organisieren, Bescheinigungen auszustellen oder Lernzusammenfassungen zu erstellen, sagte Niessner.
Fazit
Die Teilnehmenden des ersten Tags der Eisenbahnausbildung zeigten sich in der abschließenden Diskussionsrunde angetan vom neuen Format und lobten die Vielfalt der Vorträge. Positiv angemerkt wurde zum Beispiel, dass die Veranstaltung alles andere als ein Werbeevent war – weder für die Produkte der beteiligten Unternehmen noch für die Digitalisierung der Aus- und Weiterbildung an sich – und auch kritische Zwischentöne zuließ. Matthias Niessner lobte den offenen Austausch und zeigte sich erfreut über das gelungene Experiment Tag der Eisenbahnausbildung. Der IZBTM-Chef kündigte an, dass der zweite im Oktober des kommenden Jahres stattfinden wird.
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