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Integriertes Kapazitätsmanagement Netz

Optimierung der Kapazitätsnutzung bei der DB Netz AG

ICE auf eingleisiger Strecke in freier Natur
Foto: DB AG/Claus Weber

Um den Wandel der DB Netz AG von einem Infrastruktur- zu einem Kapazitätsmanager aktiv zu steuern sowie die Pünktlichkeits- und Kapazitätsziele der „Agenda für eine bessere Bahn“ zu erreichen, wurde das Programm „Integriertes Kapazitätsmanagement Netz“ aufgesetzt und Anfang 2020 als Ausbaustein in die Dachstrategie „Starke Schiene“ integriert.

Im Ausbaustein Kapazitätsmanagement Netz werden vier fachlich abgeleitete Hebel zur Erweiterung der Kapazität beziehungsweise zur Reduzierung des Kapazitätsverbrauchs adressiert. Der Schwerpunkt der hier vorgestellten Aktivitäten liegt allerdings auf der Optimierung der Kapazitätsnutzung. Die übrigen Maßnahmen und der Großteil der für die Erreichung der kurzfristigen Pünktlichkeitsziele erforderlichen Maßnahmen wird durch Eisenbahnverkehrsunternehmen beziehungsweise die Lagezentren, Plan­korridore und den Betrieb der DB Netz AG gesteuert.

Grafische Übersicht mit Symbolen
DB Netz AG: vom Infrastruktur- zum Kapazitätsmanager (Quelle: DB Netz AG)

Hebel zur Optimierung der Kapazität

Die Kapazitätsnutzung lässt sich effektiv nur auf Grundlage eines netzweiten Auslastungs- und Effekt-Monitorings mit korrespondierender Pünktlichkeitsbewertung (= Prognose der Kenngrößen: Verspätungsveränderung, sekundäre Lost Units und Pünktlichkeit) optimieren. Erste Maßnahmen, wie die systemische Darstellung der Belastung im Netz, wurden bereits umgesetzt. Aktuell werden die Voraussetzungen geschaffen, die Auslastungen des Netzes auch (teil-)automatisiert zuverlässig zu monitoren.

Ein großer Hebel zur Steuerung und Bewertung der Haupttreiber für Verspätungen und von Gegenmaßnahmen ist die Entwicklung einer schnellen, fahrplanbasierten Pünktlichkeitsbewertung bei der DB Netz AG im Fahrplan und Kapazitätsmanagement. Das Modell muss schnell und variabel hinsichtlich der Einstellmöglichkeiten sein, damit die zu bewertenden Maßnahmen auch abgebildet werden können und eine rollierende Prognose parallel zum Planungsprozess möglich ist. Gleichzeitig muss insbesondere die Prognose der Pünktlichkeit eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit gewährleisten. Aktuell findet hier eine DB-interne Entwicklung durch DB Analytics im Kontext des EU-Forschungsprogramms Shift2rail statt.

Grafische Übersicht mit Erläuterungen
Optimierung der Kapazität entlang wirksamer Hebel (Quelle: DB Netz AG)

Die Tool-Entwicklung baut auf dem Masterplan EBW 4.0 aus dem Jahr 2015 auf: Etablierung eines Kompetenzzentrums als anerkannter Gutachter für Eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchungen (EBWU) durch Industrialisierung, Professionalisierung und Digitalisierung von EBWU.

Die Organisationseinheit (OE) Fahrwegkapazität und EBWU (I.NBF 24) zeichnet dabei für die bundesweite Berechnung der Fahrwegkapazität sowie Ermittlung der Fahrplanrobustheit für große Netzteile über alle Planungshorizonte und im Kontext aller gesetzlichen Verfahren verantwortlich. Dazu führt I.NBF 24 eisenbahnbetriebswissenschaftliche Untersuchungen (EBWU) durch und entwickelt mathematisch-analytische Berechnungsverfahren sowie Simulationsverfahren (EBW-Verfahren) über den Stand der Technik hinaus weiter.

Ziel ist, durch Fahrwegkapazitätsbetrachtungen und Fahrplanrobustheitsprüfungen die Leistungsfähigkeit und das Leistungsverhalten von Zugbildungsanlagen, Strecken, Knoten und Teilnetzen auf der Basis geeichter Qualitätsmaßstäbe zu bewerten, um Engpässe unter stochastischen Gesichtspunkten zu erkennen und die anforderungsgerechte Bemessung von (zukünftigen) Eisenbahnbetriebsanlagen sicherzustellen und unzulässigen, kapazitätsschädlichen Rückbau zu verhindern. Damit sind EBWU integraler Bestandteil des Kapazitätsmanagements der DB Netz AG.

Nachfolgende potenziell kapazitätsrelevante Tatbestände werden unternehmerisch bewertet und behördlich überwacht – Beispiele:

  • Rückbau von Überhol- oder Kreuzungsgleisen (§ 11 AEG)
  • Berücksichtigung zusätzlicher Weichenverbindungen und Fahrstraßen (§ 18 AEG)
  • Änderungen im Verzeichnis zugelassener Geschwindigkeiten (VzG)
  • Verzicht auf Ausrüstung von Bahnhofsgleisen mit Punktförmiger Zugbeeinflussung PZB 90 (INA-Startprogramm) erfordert Zustimmung von regionaler Infrastrukturentwicklung und I.NBF 24

Die von Mitarbeitern der Zentrale der DB Netz AG erstellten EBWU unterstützen vorrangig die Arbeit von Mitarbeitern der Infrastrukturentwicklung in den sieben Regionalbereichen und von betrieblichen Infrastruktur­planern bei der Produktion. Neben dieser gutachterlichen Tätigkeit sind EBWU auch Grundlage von strategischen Entscheidungen der Zentrale.

Grafische Übersicht
Tools zur Kapazitätsbewertung (Quelle: DB Netz AG)

Methoden, Verfahren und Werkzeuge der Eisenbahnbetriebswissenschaft

Im Rahmen von Optimierung Kapazitätsnutzung wurden Hebel entlang einzelner Themenfelder zur Implementierung einer gemeinsamen Kapazitäts­steuerung definiert.

Je nach gefordertem Detaillierungsgrad können Maßnahmenbewertungen und Prognosen durch den Einsatz verschiedener Tools verfeinert werden und somit von allgemein-makroskopisch bis zu detailliert-mikroskopisch durchgeführt sowie entsprechend Ergebnisse geliefert werden.

Dabei ist es möglich, durch Einsatz verschiedener Verfahren von allgemeinen Fragestellungen ausgehend weiter zu spezifizieren. Aus den Prognosen des Jahres-Pünktlichkeitsverlaufes mit dem Tool odiN können nicht nur Nachsteuerungsbedarfe erkannt werden, sondern darüber hinaus auch noch die Wirkungen bestimmter interner und externer Einflüsse auf die Pünktlichkeit analysiert werden. Davon ausgehend wird eine effektive Maßnahmendefinition möglich.

Die erste Bewertung der Maßnahmeneffekte wird mithilfe von OnTime vorgenommen. Je nach Maß­nahme kann anschließend weitergehend vertieft werden. Für infrastrukturelle Maßnahmen eignen sich insbesondere die Fahrwegkapazitätsbetrachtungen mithilfe der Verfahren LUKS und LUKS-N. Für verkehrliche Maßnahmen eignen sich insbesondere Fahrplanrobustheitsprüfungen mit RailSys. Bei vertiefenden Fragestellungen werden individuelle Untersuchungen zu Technik- und Technologiebewertungen vorgenommen.

Auch bei kurzfristigen Fragestellungen wie beispielsweise der Bewertung von Tagesfahrplänen mit Auswirkungen von Baumaßnahmen können zukünftig Aussagen getroffen werden. Der Pilotbetrieb beginnt hier noch in diesem Jahr. Weiterhin wird auch die Auslastung des Netzes überwacht und der aktuelle Fahrplan sowie das Betriebsgeschehen analysiert, um zum Beispiel bei der Maßnahmenfindung mitzuwirken oder die eingesetzten Verfahren fortwährend weiterzuentwickeln.

Grafische Übersicht mit Zeitachse
Einsatzspektrum der Tools zur Kapazitätsbewertung (Quelle: DB Netz AG)

Kapazitätswirkung neuer Technik und Technologie bewerten

Nicht nur die Reduzierung der betrieblichen Infrastruktur, sondern auch technische und technologische Veränderungen können dauerhafte Kapazitätseinschränkungen auf Strecken oder in Knoten zur Folge haben. Dies kann sich negativ auf die Qualität des laufenden Betriebes auswirken und schränkt die Handlungsspielräume für zukünftige Betriebsprogramme ein. Derzeit werden regelwerksbedingte Änderungen, die Kapazitätseinschränkungen zur Folge haben, im Rahmen der Mitwirkung von I.NBF 24 am Regelwerksausschuss erkannt und von den Regelwerksautoren behoben oder im Vorstand zur Entscheidung gebracht.

Änderungen von technischen Spezifikationen (technischen Mitteilungen, Bahn-Normen und ESTW-Systemverträge) können gegebenenfalls zu schleichenden Einschränkungen bei der Kapazität des Netzes führen, die in ihrem Zusammenwirken nicht systematisch erkannt werden, jedoch im Einzelfall gravierend sein können (zum Beispiel deutlich längere Kommunikationszeiten zwischen Fahrzeug, Radio Block Centre (RBC) und ESTW bei ETCS Level 2 als bisher erwartet). Daher sollen zukünftig mit PRO 2020 diese Kapazitätsprüfungen (zumindest stichprobenweise) ausgeweitet werden, so dass eine möglichst vollständige Transparenz analog zur den unternehmerisch und behördlich überwachten Sachverhalten (gesetzliche Verfahren) erreicht wird.

Beispiele für kapazitätseinschränkende Maßnahmen, die bisher nicht systematisch erfasst wurden, jedoch im Rahmen des Ausbausteins Optimierung Kapazitätsnutzung neu angegangen werden:

  • Dauerhafte Geschwindigkeitseinschränkungen in Bahnhöfen aufgrund geändertem technischen Regelwerk insbesondere bei Kreuzungen
  • Verlängerungen der Fahrstraßenbilde- und -auflösezeiten bei ESTW gegenüber Relaisstellwerk (RSTW)
  • Fehlende Ausrüstung von Bahnhöfen mit D-Weg-Überlappung (bei allen Alttechniken bisher möglich)
Grafik
Beispiele für den Einfluss von Technik und Technologie auf die Kapazität (Quelle: DB Netz AG)

Überlastete Schienenwege ­detektieren und Engpässe auflösen

Über 40.000 Züge sind täglich auf dem rund 33.300 Kilometer langen Schienennetz der Deutschen Bahn AG unterwegs. In enger Zusammenarbeit mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen erstellt die DB Netz AG die Fahrpläne. Hunderte Fahrplan­mitarbeiter haben dabei die bestmögliche Auslastung der vorhandenen Infrastruktur im Blick. Die Nachfrage auf Strecken im Güter- und Personenverkehr ist sehr unterschiedlich. Auf einzelnen Abschnitten übersteigt die Nachfrage die Kapazität. Sofern Hinweise auf eine Überlastung vorliegen, wie zum Beispiel zwischen Köln Hbf und Köln-Mülheim, muss die DB Netz AG dies prüfen und bei Bedarf weitere Maßnahmen ergreifen. Die OE Fahrwegkapazität und EBWU (I.NBF 24) unterstützt diesen Prozess in vielerlei Hinsicht.

Deutschlandkarte und Tabelle mit Erläuterungen
Übersicht Überlastete Schienenwege (Quelle: DB Netz AG)

Das Verfahren selbst, in das die Zugangsberechtigten (ZB) sowie die Bundesnetzagentur (BnetzA) und das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) eingebunden sind, ist gesetzlich im Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) geregelt: Innerhalb von sechs Monaten nach einer offiziellen Überlastungserklärung führt die DB Netz AG eine Kapazitätsanalyse durch.

Die Erklärung von Überlasteten Schienenwegen (ÜLS) kann entweder in Folge von Detektionen während der Netzfahrplanerstellung oder auf Basis weiterer Erkenntnisse, wie zum Beispiel EBWU, erfolgen.

Anschließend erarbeiten die Fachexperten der DB Netz AG binnen weiteren sechs Monaten einen Plan zur Erhöhung der Schienenwegkapazität (PEK) für den überlasteten Abschnitt. Der Plan enthält unter anderem die künftige Verkehrsentwicklung und mögliche infrastrukturelle und betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung. Die Zugangsberechtigten können ihre Anregungen und Anmerkungen im Rahmen eines gesetzlich vorgegebenen Stellungnahmeverfahrens einbringen – Vorschläge von EBA und BNetzA werden ebenfalls berücksichtigt.

Der Schwerpunkt von EBWU im Kontext ÜLS liegt auf der Generierung und Bewertung kurz- und mittel­fristiger Maßnahmen, wie beispielsweise die Vorgabe von Nutzungsbedingungen oder kleineren Infrastrukturmaßnahmen (etwa Verlängerung von Überholgleisen oder zusätzlichen Weichenverbindungen).

Auf längerfristige, umfangreiche Maßnahmen (zum Beispiel zusätzliche Streckengleise) wird ein Ausblick gegeben. Diese Maßnahmen werden auch im System iTrace hinterlegt und können damit zum Beispiel von betrieblichen Infrastrukturplanern bei der DB Netz AG eingesehen werden.

Der PEK kann darüber hinaus definierte Vorgaben (zum Beispiel die Nutzung alternativer Laufwege) enthalten, die in die Nutzungsbedingungen Netz (NBN) aufgenommen werden müssen. Der formale Prozess, den die ZB und Behörden ebenfalls begleiten, dauert rund zwei Jahre.

Mit den Nutzungsvorgaben, die im PEK entwickelt wurden und Eingang in die NBN gefunden haben, kann eine Entspannung für den überlasteten Abschnitt erreicht werden. Eine Aufhebung der Überlastung kann in der Regel erst durch längerfristige größere Ausbaumaßnahmen erreicht werden.

Bei allem, was von den Fachleuten gemeinsam mit ZB und Behörden erarbeitet wird, geht es am Ende darum, kurz- und mittelfristig die bestmögliche Ausnutzung der Infrastruktur zu schaffen. Sofern Nutzungsbedingungen vorgesehen sind, werden bei ihrer Ausgestaltung die Interessen der einzelnen Verkehrsarten angemessen berücksichtigt. Dazu dient auch das Format Fahrplan- und Kapazitätsgremium, welches am ÜLS Linker Rhein Anwendung findet. Vertreter von ZB, Behörden und DB Netz AG treten hier in den Austausch, um gemeinsam die Kapazität bestmöglich zu nutzen und mögliche Optimierungen zu entwickeln.

Betriebliche und verkehrliche Maßnahmen werden im Rahmen der Engpassanalyse bewertet. In Engpässen beziehungsweise auf ÜLS ist die Auslastung zu hoch. Zur Verbesserung der Betriebsqualität muss daher entweder die Auslastung reduziert oder die Leistungsfähigkeit erhöht werden.

Grafische Übersicht
Hebel zur Reduzierung der Auslastung (Quelle: DB Netz AG)

Zusammenfassung

Im Fokus von EBWU steht die Bewertung der Betriebsqualität. Grundsätzlich besteht ein Zielkonflikt zwischen hoher Auslastung (Wirtschaftlichkeit) und einer möglichst geringen Summe an Zuwachs- und Folgeverspätung (hohe Betriebsqualität). Einheitliches Qualitätsziel bei Fahrwegkapazitätsbetrachtungen zur Bemessung der Eisenbahn­infrastruktur und Fahrplanrobustheitsprüfungen ist dabei das Erreichen eines wirtschaftlich-optimalen Leistungsbereiches.

Dazu ist insbesondere bei ÜLS und weiteren Engpässen im Schienennetz eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen zu prüfen und in Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Markt Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen.

Pyramidendarstellung
Leistungsspektrum der OE Fahrwegkapazität und EBWU (I.NBF 24) (Quelle: DB Netz AG)

Außerdem gilt es durch frühzeitige strategische und kapazitative Prüfung von Flächenverkäufen sicherzustellen, dass zukünftige Aus- und Neubauvorhaben insbesondere in den Knotenbereichen nicht verhindert oder unzulässig erschwert werden. Dieses gilt vor allem dann, wenn die Fläche in der Folge von Bahnbetriebszwecken freigestellt werden soll (§ 23 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)).

Die Vorgabe von Grundsätzen und Leitlinien zum Kapazitätsmanagement, zur Strategie Überlastete Schienenwege sowie zur Bewertung von Kapazitäts­maßnahmen, neuer Technologien und Technik stellen darüber hinaus die Wirksamkeit von der OE Fahrwegkapazität und EBWU (I.NBF 24) auch außerhalb der klassischen EBWU-Fragestellungen sicher. Dadurch wird nicht nur der Wandel der DB Netz AG vom Infrastruktur- zum Kapazitätsmanager unterstützt, sondern auch die Voraussetzungen für eine starke Schiene geschaffen.


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