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Reorganisationsprojekt der DB Station&Service AG

Umbau ohne Ansage: Kulturwandel und Teilhabe in der Hierarchie

Berliner Hauptbahnhof vom Ufer aus gesehen
Foto: DB AG/Christian Bedeschinski

Unter der Führung seines neuen Vorstandsvorsitzenden Bernd Koch hat sich das Geschäftsfeld Personenbahnhöfe der DB Station&Service AG in drei Stufen organisatorisch neu aufgestellt: neuer Ressortzuschnitt, Anpassung der Zentrale und Neuorganisation der Region. Im Fokus stand dabei die Ausrichtung der Prozesse auf die Bedürfnisse der Kunden, im Einklang mit den Zielen der DB-Dachstrategie „Starke Schiene“.

Die Wände hängen voller Zettel. Vor der Leinwand sitzt eine Gruppe von vier Leuten, die eifrig riesige darauf projizierte Tabellen diskutieren und mit an die Wand tapezierten A4-Zetteln abgleichen. Zwei Mitarbeiter diskutieren bei einem kleinen Imbiss eifrig die Reaktion ihrer Kollegen auf die bei der letzten Videokonferenz vorgestellten Zwischenstände. Zwei Arbeitsgruppen kommen aus ihren Räumen zurück, um gleich hier im Plenum die Zwischenergebnisse zu ihren Spezialthemen vorzustellen. Das Projekt­management-Office (meist kurz PMO genannt) nennt es gerne „Vergemeinschaftung“.

Mitarbeitende in einem großen Besprechnungsraum
Stimmungsbild von der Intensivwoche in Nürnberg (Foto: DB Station&Service AG)

Gleich kommt auch der Vorstand vorbei – eine gute Gelegenheit, sich neben dem allgemeinen Feedback zum aktuellen Arbeitsstand auch die eine oder andere Antwort abzuholen. Allerdings spielt der Vorstand diese auch gerne mal zurück und fragt nach den Einschätzungen und Präferenzen aus dem Projektteam. Abschließend werden die Hausaufgaben und Ziele für das nächste Mal abgesteckt. Und dann geht es nach drei intensiven Workshop-Tagen wieder auf die Heimreise, wo schon wieder die eigenen Mitarbeiter oder Fachkollegen-Gruppen darauf warten, die Neuigkeiten zu diskutieren und ihre Einschätzungen und Ideen für das nächste Mal mitzugeben.

So oder so ähnlich darf man sich die Atmosphäre bei den sogenannten Intensivwochen (IW) vorstellen, bei denen in Berlin, Frankfurt am Main und Nürnberg die neue Regionalorganisation der Personenbahnhöfe erarbeitet wurde: offen, freundschaftlich und fleißig, in konstruktiver Weise streitbar und oft voller Herzlichkeit und Humor.

Ist das der Kulturwandel, von dem so oft die Rede ist? Wie kam es dazu? Maßgeblich dafür erscheinen der Vertrauensvorschuss des Vorstandes für seine Mannschaft und die daraus resultierenden Freiräume.

Ein neues Kapitel

Im ersten Schritt der organisatorischen Neuaufstellung ging es darum, alle für die Leistung beim Kunden relevanten Funktionen schlagkräftig unter einem Dach zu bündeln. Dieses Dach erhielt den bis dato für DB Station&Service ungewöhnlichen Namen „Produktion“. So kamen zum 1. Januar 2019 die Fachbereiche für Service, Betrieb und infrastrukturelles Facility Management aus dem Personalressort oder die zentrale Steuerung für Umsetzungsprogramme wie Video oder WLAN vom Vorsitzenden. Am bedeutendsten war aber sicherlich der Übergang der kompletten Regional­organisation vom Vorsitzenden in die Führung des Produktionsvorstandes. Damit kann sich der Vor­sitzen­de nun auf die Marktseite sowie zentrale Geschäftsentwicklungsthemen fokussieren.

Während dieser erste Schritt noch wegen des nötigen Fingerspitzengefühls „im stillen Kämmerlein“ zwischen Vorstand DB Station&Service, Konzernvorstand / Ressort Infrastruktur und der Konzernorganisation (ETO) vorbereitet und vollzogen wurde, hat man sich im weiteren Verlauf für mehr Beteiligung und offenere Formate entschieden. Nach und nach fand sich unter dieser Konstellation auch die neue Vorstandsmannschaft zusammen: Nach Sven Hantel für die Produktion kamen Ralf Thieme für Personal und schließlich Heike Fölster für Finanzen an Bord.

Organisation folgt Prozess

Nach der oben beschriebenen „Grobsortierung“ in den Ressorts sollten alle weiteren organisatorischen Überlegungen vorerst zurückstehen, bis als Basis dafür ein aktuelles und belastbares Prozessbild vorliegt. So wie es auch die Konzernstrategie der Starken Schiene mit dem Baustein „Stabile Prozesse“ vorsieht, sollte es ein durchgängiges von Ende zu Ende kundenorientiertes Prozessmodell sein.

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Startbild zur Prozessentwicklung: Reduce to the max to start (Quelle: DB Station&Service AG)

Das vorherige Prozessmodell von DB Station&Service bezog sich nicht spezifisch auf die Kunden als Ausgangs- und Zielpunkt und es war in seiner Ausprägung nach Form und Tiefe sehr heterogen. In manchen Zweigen gab es detaillierte Prozesse bis in die fünfte Ebene, verknüpft mit zahlreichen weiteren Dokumenten, an anderer Stelle nur wenige Top-Prozesse mit dem Verweis auf weiterführende Handbücher.

Die Macht der Farben

Das Kernteam der zentralen Phase hatte noch im letzten Quartal 2018 mit der Erarbeitung begonnen, um keine Zeit zu verlieren und noch vor der Weihnachtspause ein erstes Zwischenbild zu liefern. Startpunkt war eine schlichte, fast universelle Darstellung mit fünf Blöcken und den zugeordneten Farben wie in der Abbildung oben ersichtlich. Daraus wurde das spezifische Prozessbild für DB Station&Service ent­wickelt und weiter ausdifferenziert.

Interessanterweise hat sich die anfängliche Farblogik nicht nur über alle Arbeitsphasen behauptet, sondern prägt bis heute die Kommunikation zu den Prozessen. So könnte vom „grünen Bereich“ die Rede sein oder ein Besucher von der Frage verwirrt werden, wie denn die Schnittstelle zwischen Gelb und Lila verbessert werden kann. Beim Tag der Vernetzung (siehe unten bei Change) markierten sogar farbige Elemente wie zum Beispiel Armbändchen die Zugehörigkeit von Abteilungen oder Personen.

Rückblickend kann man sagen, dass das in der zentralen Phase entwickelte Prozessmodell trotz der Mitwirkung regionaler Kollegen doch sehr auf die Fragestellungen aus der zentralen Perspektive bestimmt war. Die regionalen Prozesse wurden zwar berücksichtigt, aber hier noch relativ vereinfacht und schematisch, wie sich später in der regionalen Phase zeigte. Allerdings war man sich dessen doch irgendwie bewusst und hat die Prozessdefinition stets als belastbaren Zwischenstand definiert, der ergebnisoffen in der regionalen Phase weiterbearbeitet werden kann. Dieses Vorgehen ist dort dann auch gut aufgenommen und durchaus genutzt worden.

Neue zentrale Funktionen

Die wichtigsten Ergebnisse der zentralen Phase waren neben der ersten Formulierung des neuen Prozessmodells die organisatorische Etablierung wichtiger neuer Funktionen. Dazu gehört auf der Marktseite das „Produkt- und Portfoliomanagement“, wo der Sollzustand dessen entwickelt wird, was das Geschäftsfeld dem Kunden anbieten will. Auf der anderen Seite ist mit dem „Produktionsmanagement“ eine neue Klammerfunktion entstanden. Sie balanciert die Einzelthemen der Produktionsfachbereiche aus und verknüpft diese sinnvoll zu ganzheitlichen Produktionskonzepten. Sie ist aber auch der Knoten, der die Kommunikation Richtung Produktmanagement und Richtung Regional­organisation bündelt. Als dritte große Neuerung wurde der Bereich „Planen und Steuern“ etabliert, der die bisher nach Fach­bereichen getrennten Aktivitäten zusammenbindet und die Leistungserbringung gesamthaft im Kundensinne steuert.

Mit viel Dynamik auf das Ziel orientiert

Das Kernteam der zentralen Phase bestand im Wesentlichen aus der Mannschaft der ersten Führungsebene, so dass alle Fachbereiche vertreten waren. Hinzu kamen Regionalkollegen verschiedener Bereiche, um die regionale Perspektive der Regionalbereiche (RB) und Bahnhofmanagements (BM) einzubringen. In dieser Konstellation hat man über mehrere Wochen jeweils 2–3 Tage zusammengesessen und in ausführlichen Erörterungen das neue Prozessmodell entwickelt. Für die Ausarbeitung der zahlreichen Detailfragen und notwendigen Dokumente wurden zeitweilig zusätzlich drei Arbeitsgruppen mit weiteren Mitarbeitern besetzt.

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Aufbauorganisation der Bahnhofsmanagements im Vergleich (Quelle: DB Station&Service AG)

Eine wichtige Rolle spielte das PMO, das dem Projekt vor allem in zweierlei Richtung gedient hat: Zum einen wurden Ergebnisse, Zwischenstände, Zettelsammlungen und Merkpunkte immer wieder gesichert, Daten aufbereitet und über einen gemeinsamen Sharepoint für alle verfügbar eingespeist. Zum zweiten hat das PMO durch eine stringente, aber doch auch hinreichend flexible Führung das Projekt effektiv auf Ergebniskurs gehalten – angefangen bei der Vorbereitung mit Meilensteinplan, Aufgabenverfolgung, Tagesordnungen, der Auswahl passender Formate für die Arbeitsmethodik, Moderation bis hin zu nicht zu unterschätzenden Faktoren wie passenden Räumen und Catering. Schon früh wurden dabei regelmäßig die Kolleginnen vom Personal eingebunden, um die Change-Themen und -Formate rechtzeitig und angemessen zu berücksichtigen.

Für eine gewisse Zeit gab es auch Unterstützung durch eine externe Beratung, aber nur in sehr überschaubarem Umfang. Dass ein solch umfangreiches und für das Geschäftsfeld bedeutendes Projekt also weitgehend aus eigener Expertise gespeist wurde, war für die spätere Akzeptanz sicher ein Riesen-Pfund.

Zu Beginn der regionalen Phase war man sich zunächst unsicher, ob und wie sich die positiven Erfahrungen des Kernteams Zentrale auf die Flächenorganisation übertragen lassen könnten. Daher wurde ein Initialworkshop vorgeschaltet, der zentrale und regionale Vertreter zusammenführte. Sie haben im Sommer 2019 nach einer ersten schnellen Analyse zuerst die optimale Arbeitskonstellation gesucht und dafür das Format Intensivwochen gefunden: alle 14 Tage für 3 Tage in Klausur, abwechselnd in Berlin und Frankfurt.

Das RB/BM-Team setzte sich zusammen aus Vertretern aller Funktionen im Regionalbereich sowie der Bahnhofsmanagements und dabei in regionalem Proporz aus allen sieben RB. Weitere zentrale Funktionen neben Personal und PMO kamen jeweils nach Möglichkeit und Bedarf hinzu. Die operativen Kollegen haben selbstständig Tandems nach Funktionen gebildet, innerhalb derer sie die Präsenz abgesichert und sich gegenseitig auf Stand gehalten haben. Einen Eindruck von der lebendigen Atmosphäre bei den Intensivwochen vermittelt die kleine Szene am Beginn dieses Artikels.

Was zentrale und regionale Phase trotz der sehr unterschiedlichen Formate gemeinsam hatten, war die offene und konstruktive Diskussion über persönliche Betroffenheiten hinweg, das ergebnisoffene „Sounding“ mit dem Vorstand und die offene Kommunikation in die Fläche. Nicht zuletzt haben sich beide konsequent zuerst auf die Arbeit an Prozess und Rollen fokussiert und erst ganz zuletzt daraus die passende Aufbau-Organisation abgeleitet.

In die neue Organisation starten

Als die zentrale Stufe am 1. Juli 2019 in Kraft trat, waren zwar die Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar verteilt, aber vieles war im konkreten Detail noch unfertig. Wie das funktionieren kann, mussten die teils gänzlich neuen Organisationseinheiten selbst erarbeiten und notwendige Übergabeformate in Schnittstellenworkshops mit ihren Nachbarn abstimmen.

Ein solches Vorgehen wäre für die Region nicht praktikabel gewesen. Zum einen muss die grundlegende Arbeitsfähigkeit stets gewährleistet sein, zum anderen wäre es ineffizient und im Widerspruch zur angestrebten Standardisierung, wenn Detailabläufe vielfach überlegt und angegangen würden. Nachdem als Ergebnis der Intensivwochen Anfang Januar dieses Jahres das Prozessmodell und die Aufbauorganisation feststanden und in die Beschlussgremien gingen, wurden daher im Format „Changewerkstatt“ bis zum Stichtag 1. April weiter notwendige Details geklärt und Arbeitsmaterialien, Musterdokumente, Checklisten usw. vorbereitet.

In einem Besprechungsraum sind Mitarbeitende bei einer Besprechung
Freier Blick in die Werkstatt – zentrale Phase (Foto: DB Station&Service AG)

Für die regionale Phase hatten sich in diesem Jahr gegenüber der zentralen Phase 2019 zwei wichtige Rahmenbedingungen verändert: Am 1. Januar traten mit der neuen Version der Organisationsrichtlinie 138 die geänderten Richtwerte für Führungsspannen in Kraft. Im Ergebnis wurde zum Beispiel aus dem zuvor eigenständigen Arbeitsgebiet Stationsbetreuung ein Team in der Organisationseinheit (OE) Facilitymanagement im BM (dem aber weiterhin eine hohe Eigenständigkeit zugesprochen wurde). Ebenso wurde die Produktionsvorbereitung und -steuerung im BM lediglich in sechs Top-BM als eigenständige OE ausgeprägt, in den 40 anderen Bahnhofsmanagements als Team beim Leiter des Bahnhofsmanagements.

Als zweites galt es zu berücksichtigen, dass für die Audits des Eisenbahn-Bundesamts zur Erneuerung der Sicherheitsgenehmigung von DB Station&Service vom 1. April bis 30. September eine sogenannte Einfrierphase (Freeze) für alle Prozesse und weiteren Regelwerke einsetzt. Es musste abgewogen werden, welche der geplanten Änderungen tatsächlich zuvor noch wirksam umgesetzt werden könnten oder nicht. So wurde dann insbesondere entschieden, die Verlagerung des Anlagenmanagements für IT-Anlagen sowie Heft- und Buchbauwerke (HuB) aus dem BM in den RB auf ein nachgelagertes Datum (voraussichtlich Januar 2021) zu verschieben.

Ein besonderer Tag des Kennenlernens

In beiden Phasen sollte der Stichtag des Inkrafttretens nicht lapidar verstreichen, sondern ein besonderer Tag sein, an dem man merkt, dass der symbolische Hebel umgelegt wird und etwas Anderes beginnt. Wegen der guten Voraus-Kommunikation war es allerdings nicht naheliegend, die Vermittlung des neuen Prozess­modells und der neuen Organisation in den Mittelpunkt zu stellen. So wurde das Format Tag der Vernetzung geboren.

Die Teilnehmer der Intensivwochen wollten ihre positive Erfahrung des intensiven Austauschs und gegenseitigen Lernens und Verstehens über die klassischen Fachgrenzen hinweg in die Breite tragen und vielen Kolleginnen und Kollegen zugänglich machen. So haben sich am 1. Juli 2019 die verschiedenen Fachbereiche der Zentrale mit ihren aktuellen Themen und Projekten gegenseitig vorgestellt und in diesem Jahr am 1. April haben die sieben Regionalbereiche den Mitarbeitern ihrer Fachfunktionen und der Bahnhofsmanagements eine ähnliche Plattform geboten. Die Resonanz war so gut, dass es zum 1. Juli eine Wiederholung in nunmehr Corona-bedingt virtuellen Formaten gab.

Transparenzoffensive: freie Infos für jeden

Nur kurz wurden die Argumente abgewogen und dann war für das Projektteam klar: DB Station&Service will keine Geheimniskrämerei. Und der Vorstand hat das von Anfang an aktiv mitgetragen. Allen war einfach klar, dass die Glieder der Kette – hohe Wirksamkeit – starke Akzeptanz – breite Mitwirkung – offene Kommunikation in umgekehrter Folge Vorbedingung füreinander sind.

Die vielleicht wichtigste Botschaft in diesem Zusammenhang war: Arbeitsstände sind Arbeitsstände! Einige davon wurden mehrfach neu gedacht und geändert, bis man sich auf eine finale Lösung verständigt hat. Und selbst diese ist langfristig gesehen vielleicht nur ein Zwischenstand, nachdem weitere Erfahrungen dazu gewonnen wurden. Dieses agile Verständnis von lernender Organisation als Prozess hat enorm geholfen, die Angst vor der „falschen“ oder „verfrühten“ Kommunikation zu nehmen. Trotzdem ist das Ganze nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Die vereinbarten Prozesse, Schnittstellen und Standards sind verbindlich, solange sie nicht nach einer kritischen Revision gemeinsam nachjustiert und neu vereinbart wurden.

Zur Transparenz und gleichberechtigten Teilhabe gehörte aber auch, dafür zu sorgen, dass keiner der Teilnehmer das Gefühl bekommt, seine Anliegen oder Sorgen würden unter den Tisch fallen. Deshalb wurden solche Themen und Schmerzpunkte, die nicht sofort behandelt werden konnten, vom PMO eingesammelt, dokumentiert und so nachverfolgt, dass sie zu passender Zeit wieder in die Diskussion eingespeist wurden. Auf diese Weise erhält der ganze Prozess des Erarbeitens eine Basis des Vertrauens, die allen Teilnehmern Sicherheit und damit Freiheit für das Denken an anderes gibt.

Der Arbeitsraum des Projektteams stand in der Regel jedem offen, die aktuellen Materialien blieben einfach an der Wand, alle Dateien wurden auf einem Sharepoint bereitgestellt, auf den jeder Zugriff erhalten konnte, der ihn wollte. Viele OE-Leiter der Zentrale sind mit ihren Teams zu verschiedenen Zeiten in den Werkstattraum gekommen, um den aktuellen Stand der Diskussion zu erläutern. So konnten sie die Mitarbeiter früh informieren, deren Ideen, Wünsche oder Bedenken ins Kernteam einbringen und sicher den ein oder anderen skeptischen Vorbehalt abbauen.

Am Ende jeder Arbeitswoche wurde der erreichte Zwischenstand in einer offenen WebEx-Videokonferenz vorgestellt, in der stets auch Platz für Kommentare und Nachfragen war. Bei der ersten großen WebEx-Videokonferenz des Vorstandes Anfang 2019 waren alle noch ganz aufgeregt. Mit der Zeit wurden wir immer sicherer und die neuen Formate bekamen eine gewisse Selbstverständlichkeit. Inzwischen ist es fast schon business as usual, wenn sich mal wieder der Vorstand aus dem kleinen „Studio“ in der Mittelzone des 10. Stockwerks im Hauptbahnhof auf Sendung begibt.

GBR-Einbindung

Für den Erfolg einer Reorganisation ist es oft nicht unerheblich, das Wohlwollen beziehungsweise die konstruktive Beteiligung der Arbeitnehmervertretung zu haben – gerade bei größeren Maßnahmen und bei einer knappen Terminschiene. In diesem Bewusstsein haben sich Projektleitung und Vorstand von Anfang an darum bemüht, den Gesamtbetriebsrat (GBR) intensiv einzubinden. Er konnte nach eigenem Ermessen Vertreter in alle Termine entsenden. Es gab regelmäßig Informationsrunden, in denen gegenseitig Fragen zu den aktuellen Zwischenständen besprochen und im Idealfall gleich geklärt werden konnten. Allerdings kann auch nicht zu allen Vorhaben der Arbeitgeberseite eine volle Akzeptanz erwartet werden.

Schließlich gab es im November 2019 in Leipzig einen zweitägigen Termin von Projektleitung, Kontaktstelle (Personal) und dem gesamten GBR, in dem sämtliche Aspekte der neuen Organisation vorgestellt und diskutiert wurden. In einem gemeinsamen Protokoll wurden dazu alle Punkte von Konsens und Dissens erfasst. Auf dieser Basis wurden dann die Verhandlungen um die strittigen Punkte geführt. Am Ende steht ein guter Kompromiss für das Geschäftsfeld, in manchen Punkten näher an der Position des Projektes, in anderen an der des GBR. Dass es am Ende dann doch nochmal einige zusätzliche Personale gab, war da sicher auch hilfreich.

Entlastung für die „Stimme des Kunden“

Einige wichtige Änderungen aus der Reorganisation der Zentrale finden sich auch in der Region wieder: So wird der neue Prozess des gesamthaften Planens und Steuerns der Leistungserbringung auch über die Ebenen RB und BM weitergeführt. Gleichermaßen finden natürlich auch in RB und BM das infrastrukturelle und das technische Facility Management zusammen.

Ein besonders interessanter Punkt in der Erarbeitung der neuen Prozesse war, als bei einer Intensivwoche in Frankfurt zwei getrennte Arbeitsgruppen gleichzeitig zum Ergebnis kamen, ihre ursprüngliche fachliche Gliederung der Produktionsprozesse aufzugeben und stattdessen einheitlich in ein Schema von Produktions­vorbereitung, -durchführung sowie Abnahme und Qualitätsprüfung überzugehen.

Als ein Herzstück der neuen operativen Prozesse, vor allem im Sinne des Aufnehmens der Kunden­­bedürfnisse, wurde der Dreiklang von Bahnhofsziel­konzept, Bahnhofsplan und Produktionsplan herausgearbeitet. Dazu gehört ein Schlüsselbegriff des neuen Bildes: der Bahnhofsmanager als Stimme des Kunden im Unternehmen. Damit er oder sie diese Rolle verstärkt wahrnehmen kann, muss sie von anderen, weniger produktiven Aufgaben entlastet werden – so eine der wenigen expliziten Vorgaben des Vorstandes. Wie diese Entlastung aussehen kann, ohne dass das Bahnhofsmanagement zu viele wichtige operative Verantwortlichkeiten abgibt, das war Gegenstand ausführlicher Diskussionen und Abwägungen.

Am Ende hat man sich entschieden, neben dem bereits erwähnten Anlagenmanagement für IT-Anlagen und Ingenieurbauwerke dem Regionalbereich auch die Betreuung der Fahrplanmedien zu übertragen sowie fachspezifische immobilienwirtschaftliche Aufgaben und die Abrechnung der vielen Verträge mit Dritten. Für die neue Funktion der Produktionsvorbereitung und -steuerung erhielten alle BM eine zusätzliche Stelle.

Baukoordinator: einfach ausprobieren

Mit Blick auf die intensive und noch weiter zunehmende Bautätigkeit ergab sich noch eine andere wichtige Fragestellung: Wie kann ein Bahnhofsmanagement die mit Bauprojekten verbundenen zahlreichen zusätzlichen Anforderungen und Tätigkeiten (Aufgabenstellung initiieren und prüfen, Projektbesprechungen, örtliche Einweisungen, betriebliche Begleitmaßnahmen, besondere Kundeninformation und Wegeleitung etc.) bewältigen, ohne dass die reguläre Leistungserbringung darunter leidet?

Als Basis wurde ein gesonderter Produktionsprozess Bauprojekte begleiten formuliert und die zugehörige Rolle Baukoordinator, der mit dem Bauvolumen erstmals im BM eine vom Regelgeschäft unabhängige Dimensionierungsgröße erhalten wird. Die sich daraus ergebende Frage, ob die Personale dann am besten direkt im BM (zumindest in den größeren mit dauerhaft hoher Bautätigkeit) angesiedelt werden oder im RB und von diesem in die BM befristet entsandt werden, konnte im Rahmen des NeuOrga-Projektes noch nicht abschließend entschieden werden. Im Sinne eines agilen Vorgehens hat man sich aber auf das Ausprobieren in beiden Varianten verständigt, um so die fehlenden Erfahrungen zu sammeln, bevor man die Lösung in größerem Maßstab ausrollt.

Ebenso noch in der Erprobung sind die Wertstrommanager. Als Vorbeugung gegen neue Silobildung der Fachfunktionen sollen Sie dauerhaft und aus der Kundenperspektive (Ende-zu-Ende) dafür sorgen, dass bei den horizontal verlaufenden Prozessen nichts hakt.

Etwas in die Breite gegangen: der RB

Aufbauorganisation der Regionalbereiche im Vergleich (Quelle: DB Station&Service AG)

Hatten die RB-Leiter früher neben ihren drei bis fünf Bahnhofsmanagern noch drei weitere Direct Reports, so sind es in der neuen Organisation nunmehr sechs. Damit hat sich das Organigramm deutlich verbreitert. Das spiegelt aber auch wider, was man sich von der vergrößerten Führungsmannschaft verspricht:

Die bisherige Stabsfunktion Vertrieb Mobility soll mit mehr Kraft die Finanzierungsprozesse flüssiger gestalten und zusätzliche Finanzmittel hereinbringen. Planen und Steuern bündelt die bisher fachlich getrennt laufenden Leistungsprozesse und soll damit Synergien heben und die Kommunikation zwischen den Ebenen verbessern.

Mit der Herauslösung des Anlagenmanagements aus der Abteilung Bau- und Anlagenmanagement schließlich kann sich einerseits der Bau besser auf seine weiter zunehmenden Projekte konzentrieren, andererseits erhält das Facility Management die Schlagkraft, die seiner wichtigen Rolle für die Leistungserbringung im Regelgeschäft entspricht. Hier wird dann auch die Heimat der künftigen Kompetenzcenter für IT-Anlagen und Ingenieurbauwerke (HuB) sein.

Es bleibt noch einiges zu tun

Nach intensiver Erarbeitung sind am Ende die neuen Prozesse gefunden, die neue Struktur ist klar, die Aufgaben sind zugeordnet und die nötigen Transfers und Neu-Personale definiert. In den Change-Werkstätten wurden weitere wichtige Grundlagen ausgearbeitet, um mit dem Inkrafttreten gut starten zu können. Nun beginnen die Mühen der Ebene.

Auf zentraler Seite müssen die als vereinfachte Steckbriefe mit Ziel und Aufgaben sowie In- und Output formulierten Prozesse in eine belastbare Form im IT-System Symbio (siehe Beitrag ab Seite 28) mit passfähigen Schnittstellen übersetzt werden. Neue Rollen sind genauer zu beschreiben und methodische Standardvorgaben für Produktionskonzepte oder Bahnhofspläne zu formulieren – und vieles mehr.

Vor Ort in den RB und BM wollen die neuen Strukturen und Prozesse zum Leben erweckt werden. An vielen Stellen gehen dem erst noch längere Besetzungsprozesse voraus, um die passenden Leute zu finden. Hier und da verlangen vielleicht auch persönliche Enttäuschungen und weniger geliebte Änderungen nach persönlicher Fürsorge. Die Firma ist doch vielfach wie Familie und alle sollen sich mit ihrem Teil darin wiederfinden.

Vor allem steht die Welt drumherum auch nicht still: Corona, Konjunkturprogramm und viele weitere Themen beanspruchen die noch gar nicht richtig eingeschwungenen neuen Strukturen. Dabei kommen viele Fragen erst mit der praktischen Umsetzung auf, verlangen nach Antworten, nach grundsätzlicher Klärung, schneller Abstimmung für ein einheitliches Vorgehen. Neben dem diesbezüglichen Engagement auf den Fachschienen haben dafür die Kolleginnen vom Change mit dem „Resonanzraum“ oder dem „NeuOrga-Frühstück“ wiederum Formate gefunden, die den partizipativen und freien Geist der Intensivwochen weiterführen.

Das Projekt NeuOrga hat DB Station&Service jetzt schon weitergebracht und verändert, mehr als sich aus der bloßen Organisationsweisung oder dem Prozessmodell herauslesen lässt. Das Geschäftsfeld hat damit sehr gute Voraussetzungen geschaffen, gegenüber den Ansprüchen seiner Kunden, aber auch denen seiner Mitarbeiter und Führungskräfte als modernes Unternehmen zu bestehen. Ein guter Deal im Sinne der Starken Schiene.


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