Die Eisenbahn ist ein internationales Verkehrssystem, das allerdings als Folge der historischen Entwicklung in seinen Betriebsverfahren, betriebssicherheitlichen Regeln und vielen Funktionen der Leit- und Sicherungstechnik noch immer sehr national geprägt ist. Internationale Kooperation setzt hier einen effizienten Wissenstransfer voraus, der diese historisch gewachsenen Unterschiede berücksichtigt und damit letztlich auch zu deren Überwindung beitragen kann. Der Beitrag beleuchtet die speziellen Anforderungen an die Gestaltung internationaler Lehr- und Schulungsangebote im Bahnbetrieb.
Das deutsche Bahnsystem genießt international einen exzellenten Ruf. Auf dem Gebiet der Bahntechnik und des Betreibens eines großen, komplexen Eisenbahnnetzes gehört Deutschland noch immer zu den führenden Ingenieurnationen. Daher sind sowohl die Deutsche Bahn mit ihren Bereichen DB Engineering & Consulting und DB Training, Learning & Consulting als auch externe Consulting-Unternehmen und im Bahnbereich tätige Institute gefragte Auftragnehmer für Schulungen im Ausland.
Motivation
Im Bereich der Betriebssteuerung und der Leit- und Sicherungstechnik sind Anbieter von Schulungen dabei mit den nationalen Besonderheiten des Bahnsystems beim Kunden konfrontiert. Je nach Region können diese nur moderat oder auch ganz erheblich von den Prinzipien des deutschen Bahnbetriebs abweichen. Für den Erfolg einer Schulung ist es unerlässlich, sich mit diesen Unterschieden auseinander zu setzen und in Abhängigkeit von der Zielgruppe (Management, Ingenieure, Mitarbeiter im unmittelbaren Bahnbetrieb) eine geeignete Lehrstrategie zu entwickeln. Eine unreflektierte Vermittlung der deutschen Betriebsgrundsätze ist hier nicht zielführend.
Das Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung der TU Braunschweig ist seit vielen Jahren in der internationalen Lehre aktiv, sowohl in mehreren europäischen Ländern als auch in Fernost (China und Thailand). Neben Kursen für die Ausbildung von Eisenbahningenieuren an Hochschulen finden auch Schulungen für Mitarbeiter von Bahnunternehmen und der Bahnindustrie statt. Auf den dabei gewonnenen Erfahrungen basiert dieser Beitrag.
Herausforderungen und Grenzen
Eine wesentliche Herausforderung für die internationale Lehre im Bereich Betriebssteuerung und Sicherungstechnik sind die Unterschiede in betrieblichen Definitionen und sicherungstechnischen Funktionen. In der folgenden Liste sind nur beispielhaft einige charakteristische Punkte zusammengestellt, mit denen man außerhalb des deutschen Bahnbetriebes sehr häufig konfrontiert ist:
- Abweichende Einteilung der Betriebsstellen, insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Stations- und Streckenbereichen; teilweise keine oder nur bedingte Analogie zum deutschen Bahnhofsbegriff mit entsprechenden Folgen für die Anwendung von Fahrstraßen- und Blocksicherung sowie für die Anordnung der Signale
- Abweichende Definition der Zugfahrt, vor allem hinsichtlich der Abgrenzung zu Rangierbewegungen
- Fahrstraßenfestlegung durch Annäherungsverschlüsse (approach locking), nicht zu verwechseln mit dem in der deutschen Stellwerkstechnik in anderer Bedeutung verwendeten Begriffen Annäherungs- beziehungsweise Anrückverschluss
- Absicherung von Hilfsauflösungen durch Zeitverschlüsse (außerhalb Deutschlands und Österreichs in modernen Anlagen nahezu weltweiter Standard), dabei teilweise sogar ohne Zählpflicht
- Abweichende Regeln für Flankenschutz und Durchrutschwegsicherung mit einer erstaunlichen Vielfalt an völlig unterschiedlichen Lösungen
- Abweichende Funktionslogik des Streckenblocks, insbesondere hinsichtlich der Realisierung des Gegenfahrschutzes
- Abweichende Gestaltung der Rückfallebenen bei selbsttätigem Streckenlock (permissives Fahren)
- Außerordentliche Vielfalt an unterschiedlichen Signalsystemen
Eine für den deutschen Anwender verfasste, ausführlichere Beschreibung dieser Punkte liefert der in der Reihe Springer-Essentials erschienene Leitfaden „Besonderheiten ausländischer Eisenbahnbetriebsverfahren“.[1]
Diese Abweichungen vom deutschen Bahnbetrieb haben auch einen erheblichen Einfluss auf die Fachsprache. Die meisten internationalen Schulungen im Ausland werden auf Englisch durchgeführt. Ein Übersetzen von Texten aus deutschen Lehrunterlagen stößt hier schnell an Grenzen, da durch abweichende Definitionen oder fehlende Analogien eine direkte Übersetzbarkeit oft nicht gegeben ist. Ein typisches Beispiel ist der deutsche Begriff des Bahnhofs, der im britischen und nordamerikanischen Bahnbetrieb keine Entsprechung hat und daher bei diesen Bahnen auch nicht ins Englische übersetzbar ist. Umgekehrt kennen manche Bahnen auch betriebliche Begriffe, die im deutschen Bahnbetrieb keine Analogie haben. Texte für Lehrunterlagen müssen daher zum großen Teil neu verfasst werden.
An Grenzen stößt man hier gegebenenfalls bei der Ausbildung des unmittelbaren Betriebspersonals wie Fahrdienstleiter und Triebfahrzeugführer. In Ländern mit einem historisch gewachsenen Bahnsystem liegen die Regelwerke in der Regel nur in der jeweiligen Landessprache vor. Sofern die englische Sprache neben den offiziellen Landesprachen als Verkehrssprache verbreitet ist, existiert mitunter auch eine – meist nichtamtliche – englische Fassung von Teilen des betrieblichen Regelwerks. Die Ausbildung des Betriebspersonals erfolgt fast ausschließlich in der Landessprache. Hier kann eine sinnvolle Lehrstrategie darin bestehen, als externer Bildungsanbieter Schulungen für das mittlere Betriebsmanagement auf Englisch anzubieten, die die Teilnehmer befähigen, das erworbene Wissen in der jeweiligen nationalen Regelwerkswelt umzusetzen und dann die regelwerkskonforme Ausbildung des unmittelbaren Betriebspersonals in Landessprache selbst durchzuführen.
Anders stellt sich die Situation in Ländern dar, in denen es noch kein historisch gewachsenes Eisenbahnnetz gibt, sodass externe Consulting-Unternehmen bei Planung und Bau eines neuen Eisenbahnnetzes tätig werden. Beispiele sind einige Projekte im arabischen Raum und in afrikanischen Ländern. Hier wirken externe Berater auch stark bei der Entwicklung des betrieblichen Regelwerks mit. Das Regelwerk wird dann häufig auf Englisch verfasst und nachträglich in die Landessprache übersetzt. Damit ist auch eine regelwerksnahe Ausbildung auf Englisch möglich.
Aufbereitung der Lehrmaterialien
Eine allgemein akzeptierte, generische Beschreibung des Bahnbetriebes mit neutralen Symbolen und Definitionen, aus der sich die Besonderheiten der nationalen Systeme durch Verfeinerung ableiten lassen, existiert bisher noch nicht. Hier ist das heutige System Bahn gegenüber anderen technischen Fachgebieten deutlich im Nachteil. Das ist ein Problem, dem sich die Eisenbahnforschung zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Systems Bahn verstärkt widmen sollte.
Heute bleibt für die internationale Lehre nur die Möglichkeit, nach praxistauglichen Kompromissen zu suchen. Lehrbücher im Bahnbetrieb, die sich von der nationalen Sichtweise lösen, sind bislang rar. Eines der wenigen Werke ist das Buch „Railway Operation and Control“[2], das auch von DB Training, Learning und Consulting wiederholt für Schulungen im Ausland verwendet wurde. Darin werden zum Beispiel Signalsymbole verwendet, die sich an die Grundsymbolik der deutschen Ks-Signale anlehnen, jedoch in einem allgemein gültigen Sinn ohne Bezug auf ein konkretes Signalsystem. Für den Bereich der Leit- und Sicherungstechnik (LST) gibt es das internationale Kompendium „Railway Signalling and Interlocking“[3], an dem Autoren aus Europa, Nordamerika und Asien mitwirkten.
Bei Erstellung der Lehrmaterialien für einen konkreten Kurs besteht ein bewährtes Konzept darin, betriebliche und sicherungstechnische Funktionen weitgehend generisch zu vermitteln und zur Illustration eine nationale Implementierung als Referenz zu verwenden. Diese Strategie wird seit Jahren auch an der TU Braunschweig umgesetzt, wo zirka ein Drittel der Studierenden in eisenbahnbetrieblichen und sicherungstechnischen Lehrveranstaltungen aus dem Ausland kommt. Die Lehre ist daher ausdrücklich keine „DB-Vorschriftenkunde“, sondern benutzt die DB-Regeln nur als Referenzsystem im Sinne einer möglichen Implementierung. Dieses Konzept lässt sich direkt auf Kurse im Ausland übertragen, wobei dann das jeweilige nationale System als Referenz verwendet wird.
Bei der Aufbereitung von Beispielen eines nationalen Referenzsystems lässt sich die Regelwerksnähe flexibel an die Bedürfnisse der Zielgruppe anpassen. Abbildung 1 zeigt eine Folie aus einem Kurs des Autors für ein LST-Modul an der Mahidol-Universität Bangkok mit beispielhafter Darstellung eines Annäherungsverschlusses im Verschlussplan eines kleinen Stellwerks. Für diesen Kurs wird [2] als grundlegendes Lehrmaterial für die allgemeinen Prinzipien verwendet. Die konkreten Beispiele sind dann hinsichtlich der sicherungstechnischen Funktionen und der Darstellung der Lage- und Verschlusspläne an die in Thailand geltenden Grundsätze angepasst.
Wegen des Fehlens einer international einheitlichen Terminologie ist es am Anfang eines Kurses wichtig, grundlegende Definitionen einzuführen und zu klären, wie bestimmte Begriffe im Kurs benutzt werden. Sofern später ein nationales System als Referenz verwendet wird, sollten die Begriffe von Anfang an darauf ausgerichtet und die Teilnehmer gegebenenfalls auf Abweichungen von den Begriffen eines für den Kurs verwendeten Lehrbuches hingewiesen werden. Sehr zu empfehlen ist, den Teilnehmern ein Glossar mit allen für das Verständnis relevanten Definitionen zur Verfügung zu stellen.
Digitale Lerntools
Die fortschreitende Digitalisierung des Bahnbetriebes zeigt sich in Lehre und Ausbildung vor allem im zunehmenden Einsatz von rechnergestützten Simulationen. Für die Ausbildung im Bahnbetrieb sind hier vor allem Stellwerks- und Fahrsimulatoren zu nennen, deren Entwicklung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat.
Speziell bei Stellwerkssimulationen stellt sich das Problem, wie man in der internationalen Lehre mit der Vielfalt nationaler Bedienoberflächen umgeht. Hinsichtlich der auf den Bedienanzeigen eines Eletronischen Stellwerks (ESTW) verwendeten Farben und Symbole bestehen heute nicht einmal Ansätze einer internationalen Vereinheitlichung. Selbst grundlegende Farben sind teilweise mit widersprechenden Bedeutungen versehen. Ein typisches Beispiel ist die Farbe Gelb, die in deutschen ESTW für die sichere Freimeldung eines Gleises steht, während sie auf niederländischen Bedienanzeigen eine Gleisbesetzung anzeigt. Die Verwendung einer nationalen Bedienanzeige als Referenzbeispiel in der internationalen Lehre stößt auch auf das Problem, dass die Bedienanzeigen auf das nationale Regelwerk ausgelegt sind und sich davon abweichende Prinzipien oft nur unzureichend demonstrieren lassen.
Eine an der TU Braunschweig bewährte Lösung ist die Verwendung einer neutralen Bedienoberfläche, die sich an die Prinzipien vieler ausländischer Bahnen anpassen lässt. Damit lassen sich alle relevanten Funktionen demonstrieren, ohne das nationale Bildschirmdesign zu übernehmen. An der TU Braunschweig wird dieses Konzept inzwischen auch in den deutschen Lehrveranstaltungen verwendet. Zur Anwendung kommt eine von der kanadischen Firma Signalsoft Rail Consultancy entwickelte Stellwerkssimulation mit neutraler Bedienoberfläche. Durch Umschaltmöglichkeit der Bediensprache sind Infrastrukturbeispiele aus dem Betriebslabor der TU Braunschweig grundsätzlich auch in der internationalen Lehre anwendbar. Für besondere Bedienfunktionen, zum Beispiel bei Hilfshandlungen, sind beschriftete Schaltflächen vorhanden, so dass die Teilnehmer nicht unzählige Abkürzungen lernen müssen (Abbildung 2).
Abbildung 3 zeigt den Einsatz der Simulation eines Bedienbezirks aus dem Braunschweiger Betriebslabor im Übungsbetrieb an der Beijing Jiaotong University. Für diesen Kurs wurde die auf deutschen Prinzipien basierende Stellwerkslogik beibehalten, die Studierenden aber im Vorfeld ausdrücklich auf die wesentlichen Abweichungen von den chinesischen Grundsätzen hingewiesen. Dies betrifft hier insbesondere die Durchrutschwegsicherung, den Flankenschutz, die Bedingungen für die Rücknahme von Fahrstraßen und die Steuerung des Erlaubniswechsels. Dieses Konzept hat sich an ausländischen Universitäten sehr gut bewährt, da man den Studierenden einerseits durch Herausarbeitung der Unterschiede zu ihrem nationalen System die eigenen Prinzipien sehr bewusst macht und ihnen andererseits auch interessante Alternativen demonstriert. Für die Ausbildung des Betriebspersonals einer ausländischen Bahn ist dieses Vorgehen allerdings weniger zu empfehlen, da hier die Vermittlung der Prinzipien des jeweiligen nationalen Systems im Vordergrund steht.
Neue Möglichkeiten durch Distance Learning
Lehre vor Ort ist im Ausland bedingt durch die Reisezeiten oft nur in Form von größeren Blockveranstaltungen möglich. Durch die Digitalisierung ergeben sich heute auch interessante Möglichkeiten, komplette Kurse oder auch einzelne Workshops per Distance Learning anzubieten. In diesem Februar wurde das erfolgreich bei einem von Braunschweig aus durchgeführten LST-Kurs für die Mahidol-Universität Bangkok getestet. Für die audiovisuelle Kommunikation mit den Teilnehmern und das Vorführen von Präsentationen per Screensharing wurde Skype verwendet, wobei das Auditorium einen gemeinsamen Account mit Großbildübertragung im Seminarraum benutzte. Ergänzend wurde der in Thailand sehr verbreitete LINE-Messenger verwendet, über den die Teilnehmer sowohl während des Vortrags als auch außerhalb der Session Fragen stellen konnten.
Abbildung 4 zeigt den Blick in den Seminarraum in Bangkok vom Arbeitsplatz in Braunschweig aus. Links oben ist ein aktuell verkleinertes Präsentationsfenster zu sehen, das zur Präsention in den Vollbildmodus geschaltet wird. Rechts ist das Chatfenster des LINE-Messengers eingeblendet, das aber parallel auch auf einem Smartphone lief, da es bei Präsentationen im Vollbildmodus verdeckt wird.
Abbildung 5 zeigt die Übertragung einer in Braunschweig laufenden ESTW-Simulation des Bahnhofs Hua Lamphong per Screensharing, um den Teilnehmern spezielle Bedienfunktionen für den Übungsbetrieb zu demonstrieren. Die dabei gewonnenen Erfahrungen erwiesen sich durch die Corona-Krise im Nachhinein auch als wertvoll für die Digitalisierung der internen Lehre an der TU Braunschweig zu Beginn des diesjährigen Sommersemesters.
Zusammenfassung
Bei der Durchführung von Schulungsveranstaltungen für internationale Kunden auf dem Gebiet der Betriebssteuerung und der Leit- und Sicherungstechnik besteht die Herausforderung, die von den deutschen Grundsätzen oft stärker abweichenden nationalen Prinzipien angemessen zu berücksichtigen. Eine bewährte Strategie besteht darin, generisches Systemwissen in einer Weise zu vermitteln, die die Teilnehmer befähigt, die Kenntnisse in der nationalen Regelwerkswelt umzusetzen. Da Schulungen für internationale Kunden häufig im Ausland stattfinden, bieten sich durch den aktuellen Trend zur Digitalisierung des Lehrbetriebes interessante Lösungen, auch ohne ständige Präsenz von Lehrpersonen vor Ort auf effiziente Art Wissen zu vermitteln. Beispiele sind die Durchführung von Online-Schulungen mit Videoübertragung und die Nutzung von an die lokalen Betriebsbedingungen angepassten Simulatoren durch die Teilnehmer vor Ort.
Literatur
[1] Pachl, J.: Besonderheiten ausländischer Eisenbahnbetriebsverfahren. Grundbegriffe – Stellwerksfunktionen – Signalsysteme. 2. Aufl., Springer essentials, Springer Vieweg, Wiesbaden 2018.[2] Pachl, J.: Railway Operation and Control. 4. Aufl., VTD Rail Publishing, Mountlake Terrace 2018 (www.vtd.net).
[3] Theeg, G.; Vlasenko, S. (Hrsg.): Railway Signalling and Interlocking – International Compendium. 3. Aufl., PMC Media, Hamburg 2020.
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