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Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn

Vorstellungsgespräche im Wohnwagen

zwei Frauen im Wohnwagen im Gespräch
Foto: DB AG/Wildhirt

Der Arbeitsmarkt in Deutschland wird immer kleiner, während der Personalbedarf der Deutschen Bahn immer größer wird: Rund 100.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellt der Konzern im Rahmen der neuen Dachstrategie „Starke Schiene“ in den nächsten Jahren ein. Um erfolgreich Lokführer, Instandhalter, Digitalexperten und 497 weitere Berufe zu rekrutieren, lässt sich die Personalgewinnung der DB immer etwas Neues einfallen.

Man muss vielleicht ein paar Jahre zurückschauen, um sich die Dimensionen des aktuellen Hochleistungsrecruitings der Bahn klarzumachen. Denn der Konzern war nach der Bahnreform und nach der Gründung der Deutschen Bahn AG 1994 für lange Zeit eine riesige Sanierungsorganisation: Die Anzahl der Mitarbeiter sank, Neueinstellungen gab es quasi nicht und die DB war als Arbeitgeber entweder unbekannt oder unbeliebt. Erst zum Ende der nuller Jahre kehrte sich diese Entwicklung langsam um.

Inzwischen ist die DB eine der größten Rekrutierungsorganisationen im Land und seit fünf Jahren durchgehend unter den zwanzig besten Arbeitgebern in Deutschland. Allein 2018 hat der Konzern rund 24.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, ein neuer Rekord. In den nächsten Jahren sollen es sogar rund 100.000 sein.

Es gibt drei Hauptgründe für diesen enormen Personalbedarf: Erstens erhöht die DB im Rahmen ihrer neuen Dachstrategie „Starke Schiene“ ihre Kapazitäten, um die Qualität für die Kunden zu verbessern. Dazu gehört, neben mehr Fahrzeugen und mehr Infrastruktur, auch ganz klar mehr Personal. Zweitens wächst der Konzern und baut besonders im IT- und Digitalbereich neue Expertise auf. Und drittens verlassen durch den demografischen Wandel viele unserer Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Jahren altersbedingt das Unternehmen. Die gute Nachricht für Bewerber und Kunden gleichermaßen ist, dass die DB in Zeiten, in denen viele andere Unternehmen Stellen abbauen, diese Stellen nachbesetzen und zusätzlich auch Personal aufbauen wird.

Der Arbeitsmarkt ist längst ein Bewerbermarkt

Während die Einstellungszahlen also nach oben gehen, wird gleichzeitig der Arbeitsmarkt immer enger, der Wettbewerb um Personal verschärft sich. In den südlichen Bundesländern und in den Metropolen herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Die Schülerzahlen sind niedrig, dazu kommt der ungebrochene Trend zu Abitur und Studium, ein herausfordernder Trend für Unternehmen, die Fachkräfte brauchen. Der Arbeitsmarkt ist längst zu einem Bewerbermarkt geworden. Wer motiviert ist und gut ausgebildet, der kann sich im Moment fast aussuchen, wo er oder sie arbeiten möchte.

Um trotz dieser erschwerten Rahmenbedingungen weiterhin erfolgreich zu rekrutieren, müssen wir uns jedes Jahr noch mehr ins Zeug legen. Es gilt, sich immer wieder etwas Neues auszudenken, um einerseits mit ungewöhnlichen Ideen bei den vielfältigen Bewerbergruppen aufzufallen und andererseits mit schlanken Prozessen und modernster Technologie das Bewerben so einfach wie möglich zu machen.

Dabei hat die Personalgewinnungsorganisation aber auch die Chance, zu einem der Treiber von Innovation zu werden. Denn um mögliche Bewerberinnen und Bewerber auf dem umkämpften externen Markt zu begeistern, muss man nicht nur die Sprache der jeweiligen Zielgruppe auf dem gerade relevanten Kommunikationskanal sprechen, sondern auch aktuelle Trends und Bedürfnisse genau kennen. Dabei funktioniert das Prinzip Gießkanne bei einem Großkonzern selten.

Rund 500 verschiedene Berufe gibt es bei der Bahn. Eingestellt werden sowohl Schüler und Dual Studierende als auch Akademiker, Fachkräfte und Quereinsteiger. Die größten Bedarfe liegen bei den klassischen Eisenbahnberufen wie Lokführer und Fahrdienstleiter, besonders gefragt sind außerdem Instandhalter (Mechatroniker, Elektroniker, Leit- und Sicherungstechniker), Service- und Sicherheitskräfte, Bauüberwacher, Ingenieure, Busfahrer sowie IT- und Digitalexperten.

Wir rekrutieren sowohl Mitarbeiter, die den gesuchten Beruf schon gelernt haben, als auch in großem Umfang jene, die wir dann selbst ausbilden. Denn viele bahnspezifische Berufe sind gar nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Dafür nutzen wir sowohl die duale Berufsausbildung für junge Leute als auch die Funktionsausbildung (sogenannte Quereinstieg) für Berufserfahrene.

Wie also gewinnt man nun geeignete und genug neue Mitarbeiter? Für uns als Deutsche Bahn ist das wahrlich keine philosophische, sondern eine geschäftskritische Frage. Ohne Gleisbauer gibt es keine Instandhaltung an den Strecken, ohne Lokführer keine Zugfahrten, ohne Disponenten keine Dienstpläne. Oder, anders ausgedrückt: Ohne eine erfolgreiche Personalgewinnung ist der Erfolg des ganzen Unternehmens gefährdet.

Kein Anschreiben für Azubis

In einer Welt, in der Bücher mit einem Klick online bestellt werden können und Feedback über die Sozialen Medien in Echtzeit erfolgt, muss auch das Bewerben so einfach und so schnell wie möglich gehen. Ziel ist es deshalb, die Hürden immer weiter zu senken. Einige Beispiele: Mit unserer globalen Recruitingsoftware ist die mobile Bewerbung über das Smartphone möglich, außerdem hält das System die Bewerber stets auf dem neuesten Stand über den Fortgang der Dinge.

Auf unserer zentralen Karrierewebsite, über die jährlich etwa 400.000 Bewerbungen eingehen, haben wir für einige Berufe sogenannte Kurzbewerbungen eingeführt: Um sich zu bewerben, reicht es zunächst, in einer Onlinemaske Kontaktdaten, Qualifikationen und den gewünschten Beruf einzugeben. Außerdem testen wir seit einiger Zeit einen Chatbot auf unserer Karriereseite, der schnell – und zu allen Tageszeiten und an allen Wochentagen – Antworten auf die häufigsten Fragen der Bewerber gibt.

„Besondere Zielgruppen erfordern besondere Maßnahmen“

Große öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr unsere Entscheidung, das Anschreiben für Azubis abzuschaffen. Das Anschreiben ist nicht nur für die Bewerber manchmal mühsam, sondern auch für uns in der Regel wenig aussagefähig. Es enthält nach unseren Erfahrungen oft keine zusätzlichen Informationen, die nicht auch im Lebenslauf stehen. Und selbst wenn der Text überzeugend geschrieben ist, wissen wir oft nicht, ob Freunde, Eltern oder Google geholfen haben. Der Lebenslauf und vor allem das persönliche Gespräch sind viel besser geeignet, um die Kompetenzen und die Motivation der Bewerber festzustellen. So fallen uns auch die Talente auf, die wir bei einem klassischen Verfahren vielleicht übersehen hätten. Wir suchen nicht nach Auszubildenden, die möglichst geübt im Umgang mit Bewerbungsformularen sind, sondern die mit Leidenschaft bei der Bahn arbeiten wollen.

Besondere Zielgruppen erfordern manchmal besondere Maßnahmen. Zum Beispiel gehört der Arbeitsmarkt für ausgebildete Lokführer zu den engsten in ganz Deutschland. Um diese schmale Zielgruppe zu erreichen, haben wir eine kleine, feine Landingpage gebaut, den „Lokführer-Check“. Ziel ist es, auf eine ganz einfache, fast spielerische Art darzustellen, warum wir ein attraktiver Arbeitgeber mit guten Beschäftigungsbedingungen sind, zugeschnitten auf den Beruf des Triebfahrzeugführers. Der „Lokführer-Check“ bietet die Möglichkeit, sich zu den Themen Urlaubstage, Weiterentwicklung oder auch Gehalt zu informieren. Die Seite lehnt sich an der von vielen Apps bekannten „Wisch-Technik“ an und ist sehr benutzerfreundlich. Und auch die Kontaktaufnahme ist bewusst einfach gehalten: eine E-Mail genügt.

Job-Tour, Casting und Digital Dinner

Neben digitalen Lösungen und schlanken Prozessen setzen wir bei der Personalgewinnung auf innovative und ungewöhnliche Formate. Das jüngste Beispiel: Die große DB Job-Tour. Mit drei zu mobilen Rekrutierungsstudios umgebauten Wohnwagen war der Konzern sieben Wochen lang auf Deutschlandtour. Bewerberinnen und Bewerber mussten so nicht mehr zur DB kommen – wir kamen zu ihnen. Mit der Job-Tour wollten wir die Menschen direkt vor Ort vom Arbeitgeber DB überzeugen: in Fußgängerzonen, vor Bahnhöfen und an großen Plätzen. Mit Erfolg: Mehr als 8.000 Vorstellungsgespräche wurden durchgeführt. Rund 700 Bewerber erhielten noch vor Ort eine Jobzusage.

Der größere der Wohnwagen diente als erste Anlaufstelle für Besucher. Bahnmitarbeiter aus der Praxis standen als Gesprächspartner zur Verfügung, verschiedene Exponate wie Hemmschuh, Signalmodell und Klanghammer gaben Einblick in den Berufsalltag. Die zwei kleineren Wagen, genannt „Bambi“ und „Bubble“, boten die nötige Vertraulichkeit für Bewerbungsgespräche, die direkt vor Ort stattfanden. Bewerber erhielten dann in der Regel direkt im Anschluss eine Rückmeldung, ob es geklappt hat.

Durch Formate wie die Job-Tour fallen wir nicht nur auf, wir machen vor allem das Bewerben einfacher und schneller. Jeder konnte kommen, auch spontan. Insgesamt legte die DB mit der bundesweiten Job-Tour rund 10.000 Kilometer zurück und machte Station in 27 Städten, darunter etwa Hamburg, Duisburg, Kempten und Magdeburg. Der Fokus der Tour lag auf berufserfahrenen Facharbeitern und Quereinsteigern, die bei der DB eine Umschulung machen wollen. Es wurden aber auch Ausbildungsplätze angeboten.

Die DB bietet das ganze Jahr über unzählige Events für Interessierte und Bewerber an. Es gibt Castings in Zügen oder an Bahnhöfen, es gibt Tage der offenen Tür, wir sind auf Messen, in Schulen und an Universitäten. Zu den exklusiveren Formaten zählen etwa Baustellenführungen für je nur eine Handvoll ausgewählter Ingenieure oder das sogenannte Digital Dinner. Dabei hat man bei einem ungezwungenen Abendessen die Möglichkeit, sich direkt bei den Digital-Experten aus unserem Haus über die neuesten Projekte und Herausforderungen zu informieren und ins Gespräch zu kommen.

Unternehmen müssen sich heutzutage öffnen, sie müssen den potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ehrlich Einblicke geben. Wie sieht meine zukünftige Tätigkeit konkret aus? Mit wem arbeite ich eigentlich zusammen? Wie ist die Kultur in diesem Konzern? Bewerber wollen immer mehr wissen, bevor sie sich für einen Arbeitgeber entscheiden, auch das ist eine Folge des Bewerbermarktes, den wir haben. Da wir unsere Bewerber als unsere Kunden betrachten, gilt: Der Kunde ist König!

Rucksack, Bahn-Begriffslexikon und praktische Kleinigkeiten für den Arbeitsalltag aus dem Willkommenspaket
Das neue Willkommenspaket enthält unter anderem einen Rucksack, ein Bahn-Begriffslexikon und viele praktische Kleinigkeiten für den Arbeitsalltag (Foto: DB AG)

Wohnungen, Wahlmodell und Willkommenspaket

Am Ende kann die Personalgewinnung eines Unternehmens noch so innovativ und modern sein: Wenn das Onboarding oder die Beschäftigungsbedingungen oder die Tätigkeiten nicht wettbewerbsfähig sind, wird es schwer im Kampf um Talente. Es gilt also, ganzheitlich an das Thema heranzugehen. Viele Bausteine machen einen attraktiven Arbeitgeber aus.

Die Deutsche Bahn hat – auch durch die jüngsten Tarifabschlüsse – attraktive Beschäftigungsbedingungen. Beispiele sind: faire Löhne, Beschäftigungssicherung, das tarifvertragliche verankerte Recht auf Qualifizierung, wenn sich der Beruf durch die Digitalisierung verändert, breite Entwicklungsmöglichkeiten in einem großen Konzern und die Übernahmegarantie für Azubis.

Aber die Ansprüche und Wünsche der Mitarbeiter verändern sich weiter. Es geht inzwischen auch um mehr Teilhabe, etwa bei der Arbeitszeit, oder um ganz konkrete Themen wie bezahlbaren Wohnraum. Bei der Bahn bieten wir deshalb zum Beispiel eine Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder mehr Urlaub an, um verschiedene Lebensphasen besser gestalten zu können. Und kürzlich haben wir die ersten Schritte unternommen, um in Metropolen wie München wieder Wohnungen anbieten zu können.

Wir wollen gezielt dort Bedingungen verbessern, wo ein Mangel an verfügbaren oder bezahlbaren Angeboten herrscht. Wenn die DB in Ballungsräumen Fachkräfte einstellen will, darf das nicht daran scheitern, dass diese keine Wohnung finden. Für unsere Wohnungsoffensive arbeiten wir mit Immobiliendienstleistern zusammen, um uns Belegungsrechte für neu gebaute Wohnungen zu sichern. Außerdem mieten wir Wohnungen an und prüfen aktuell die Nutzung von DB-eigenen Flächen zur Bereitstellung von neuem Wohnraum.

Während es Wohnungen in absehbarer Zeit nur punktuell geben wird, gibt es das neue Willkommenspaket seit 1. September 2019 für alle neuen Mitarbeiter. Damit soll „den Neuen“ der Start bei der DB so leicht und angenehm wie möglich gemacht werden. Im Paket enthalten sind ein hochwertiger Rucksack, ein Bahn-ABC mit den wichtigsten Informationen und Begriffserklärungen, ein Thermobecher, ein Multifunktionsladegerät für alle Endgeräte und weitere praktische Kleinigkeiten für den Einstieg. Bei der Auswahl der Produkte wurde bewusst auf die Hochwertigkeit, Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und das Design der Produkte geachtet.

Trotz all dieser tollen Benefits und guten Gründe ist die DB nicht perfekt, weder als Dienstleister noch als Arbeitgeber. Aber wir strengen uns an, immer besser zu werden, jeden Tag. Das ist auch die Botschaft unserer Arbeitgeberkampagne „Willkommen, Du passt zu uns.“ Wir suchen Menschen, die mit uns zusammen die DB nach vorne und in die Zukunft bringen wollen. Diese Menschen suchen wir übrigens inzwischen auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen: So holen wir zusammen mit DB Cargo spanische Lokführer nach Deutschland und wir haben ein spezialisiertes Recruitingteam aufgebaut, das beispielsweise in Griechenland, Rumänien, Slowenien, Kroatien oder Serbien nach Lokführern, Busfahrern und Elektrikern sucht.

Eine grundsätzliche Erfahrung, die wir in der Personal­gewinnung immer häufiger machen: Die Bewerber suchen eine Arbeit mit Sinn. Gerade die Jüngeren legen darauf ganz viel Wert. Sie wollen wissen, was ihre eigene Leistung bewirkt, welchen Zweck ihre Tätigkeit erfüllt. Als DB haben wir hier wenig Probleme: Wer bei uns arbeitet, gestaltet die Mobilität von morgen und leistet einen Beitrag zur grünen Verkehrswende. Nicht nur mit der Bahn fahren ist aktiver Klimaschutz, sondern auch bei der Bahn arbeiten!

Portrait Kerstin Wagner

Kerstin Wagner leitet seit 2012 die Personal­gewinnung der Deutschen Bahn. Nach dem BWL-Studium in Reutlingen, Reims und Ottawa folgten verschiedene HR-Funktionen bei Siemens, unter anderem als Head of Global Talent Acquisition. Zusammen mit ihrem 700-köpfigen Team ist sie bei der DB verantwortlich für Employer Branding, Recruiting und Zeitarbeit. Im vergangenen Jahr hat der Konzern über 24.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt.


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