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Gleichstellung und Diversität

Konferenz MINT.einander: Frauen machen mobil

Konferenzbesucher auf der Projektmesse
Konferenzbesucher auf der Projektmesse mit der Schmalspurlokomotive „Emma“, einem Projekt der FH Aachen (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

Die Bahnbranche braucht mehr weibliches Personal, sowohl in technischen Berufen als auch in Führungsfunktionen. Soweit die Ausgangslage des Projekts „MINT.einander im digitalen Wandel“ der Allianz pro Schiene. Über das Warum und das Wie, das Verhältnis von Frauen und Technik und die Erfahrungen weiblicher Fach- und Führungskräfte auf dem Weg von Ausbildung und Studium bis in den Beruf drehte sich eine zweitägige Konferenz auf dem Euref-Campus in Berlin. Vortragende und Teilnehmende boten und gewannen interessante und teilweise überraschende Einblicke aus Theorie und Praxis: Von der Kraft der Vielfalt, der Überwindung von Stereotypen und dem emanzipatorischen Potenzial der Technik.

Eine ebenso einfache wie einleuchtende Antwort auf die Frage, warum die Bahnbranche mehr Frauen braucht, gab Christina Koenen: Weil mehr als die Hälfte der Nutzer von Mobilitätsangeboten weiblich sind. Und noch etwas grundsätzlicher, weil jedes Thema von Diversität profitiert, also davon, dass Teams und Arbeitsgruppen möglichst gemischt sind mit Blick auf Geschlecht, Alter oder Herkunft ihrer Mitglieder, die entsprechend unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen einbringen. Das gilt auch für Koenens eigentliches Thema, die Digitalisierung, die sie bei der Deutschen Bahn in ihrer Funktion als Konzern-CIO verantwortet und über die sie in ihrer Keynote am ersten Konferenztag sprach.

Im Publikum: ganz überwiegend Frauen, eine Ausnahme auf einer Veranstaltung der Schienenbranche. Dort ist ein gutes Fünftel der Beschäftigten weiblich, hat der Gastgeber der Konferenz, die Allianz pro Schiene, in einer Umfrage im Jahr 2017 ermittelt. In den Führungsetagen sieht es dünner aus: In den 200 größten Unternehmen sind 9 Prozent der Vorstände Frauen. Der Bahnindustrieverband VDB kann eine Vorständin vorweisen, der Dachverband der Verkehrsunternehmen VDV: keine.

Auf dem Podium: Moderatorin Judith Schulte- Loh (WDR), Helga Lukoschat (EAF), Christian Berg (AllBright)
Auf dem Podium: Moderatorin Judith Schulte-Loh (WDR), Helga Lukoschat (EAF), Christian Berg (AllBright) (von links), (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

Mit MINT-Abschluss in die Chefetage?

Einige der Führungsfrauen aus der Branche – Geschäftsführerinnen, Vorstände, Bereichs- und Abteilungsleiterinnen – waren als Sprecherinnen nach Berlin gekommen. Darunter war Helga Lukoschat, die Fakten und Zahlen zu Frauen in der Arbeitswelt präsentierte. Lukoschat steht der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) vor und hatte sich für ihren Vortrag die Geschlechterunterschiede bei der Wahl der Studienfächer genauer angesehen. Demnach sind 20 Prozent der Studierenden in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) weiblich, bei den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften gibt es hingegen einen leichten Frauenüberschuss.

Ist die fehlende MINT-Qualifikation nun ein Hindernis für den Aufstieg in Top-Positionen in der Industrie? Der Blick auf die DAX 30-Unternehmen zeigt: Zwar ist unter den männlichen Führungskräften der Anteil mit naturwissenschaftlich-technischem Hintergrund höher, die meisten Vorstände aber haben ihren Abschluss in BWL, VWL oder Jura gemacht – also Fächer, in denen Frauen gerade nicht unterrepräsentiert sind.

Führungsfrauen der Bahnbranche: Magali Euverte (Keolis), Traude Kogoj (ÖBB), Susanne Henckel (VBB), Michaela Kay (Bombardier), Moderatorin Schulte-Loh
Führungsfrauen der Bahnbranche (von rechts): Magali Euverte (Keolis), Traude Kogoj (ÖBB), Susanne Henckel (VBB), Michaela Kay (Bombardier), Moderatorin Judith Schulte-Loh (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

Zukunft der Mobilität: Der weibliche Blick

Wie sich dann der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen – in der Bahnbranche und der Wirtschaft im Allgemeinen – erklären lässt und inwieweit das Geschlecht die Studien- und Berufswahl bestimmt, diese Fragen zogen sich durch die gesamte Konferenz. Und natürlich ging es auch darum, wie sich die anwesenden Mobilitätsgestalterinnen und Entscheiderinnen die Zukunft des Schienenverkehrs vorstellen. In ihrer Begrüßungsrede hatten Carmen Maria Parrino, Chefin von Abellio Mitteldeutschland, und Alexandra von Oy, Leiterin Public Affairs bei Bombardier Deutschland, einen weiblichen Blick auf das Thema Mobilität beschrieben: Dieser sei von einer ganzheitlich-systemischen Perspektive und einem Fokus auf Nachhaltigkeit geprägt.

Es ist bei Fachveranstaltungen der Schienenbranche schon fast ein Standard, eine Sichtweise aus dem Vorzeige-Bahnland Schweiz einzuholen. Die lieferte dieses Mal Mirjam Büttler, Vizedirektorin des Verbandes öffentlicher Verkehr. Ein breiter Konsens in Politik und Öffentlichkeit über den Stellenwert des Schienenverkehrs, eine enge Kooperation aller Akteure und eine basisdemokratisch legitimierte, nachhaltige Finanzierung sind die Kernzutaten für den Erfolg der Schiene in der Alpenrepublik, erläuterte Büttler. Dazu kommt, dass die Jobs in der Branche ein gutes Image haben. Und in Deutschland? Dort sei der Mobilitätssektor von Industriepolitik geprägt und ein Paradigmenwechsel nötig, so die Schweizerin.

Nun hatte die amtierende große Koalition in Berlin im vergangenen Jahr einige Signale in Richtung der Stärkung von Bahn und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gesendet, die in der Branche gut ankamen. Die Richtung stimme, so der Tenor der deutschen Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion. Entscheidend sei es nun, den eingeschlagenen Kurs durchzuhalten, langfristig zu denken und Einschränkungen in der Gegenwart hinzunehmen, etwa durch Baustellen im Netz, sagte Magali Euverte, Geschäftsführerin des Verkehrsunternehmens Keolis Deutschland. Den Ausbau der Infrastruktur, die Erweiterung der Kapazitäten und die Arbeit am Image der Branche sieht sie als die Schlüsselthemen für die Entwicklung des Sektors an.

Konferenz „MINT.einander“: Der Tagungssaal auf dem Euref-Campus in Berlin
Konferenz „MINT.einander“: Der Tagungssaal auf dem Euref-Campus in Berlin (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

„Wir müssen auch wollen“

Was nun die Rolle der Frauen betrifft, diese müssten auch wollen, betonte DB-Managerin Koenen, und sich aktiv um die Übernahme von Führungsverantwortung bemühen. Ein ganz wichtiger Faktor dabei ist die Unternehmenskultur, warf Mirjam Büttler ein. Die Einstellungs­praxis sei vom Ähnlichkeitsprinzip geprägt, das auch als Thomas-Prinzip bekannt ist: Chefs rekrutieren ihre Nachfolger bevorzugt nach gemeinsamen Merkmalen wie Herkunft, persönlichen Eigenschaften oder eben dem Geschlecht. Kinder würden zudem als Nachteil für die Auswahl einer weiblichen Führungskraft angesehen, so Keolis-Chefin Euverte. Nötig seien daher flexiblere Strukturen, zum Beispiel bei der Gestaltung von Arbeitszeiten und Arbeitsort, Stichwort Home Office.

Die (männlichen) Führungskräfte in die Pflicht nahm der Schwede Christian Berg, Geschäftsführer der AllBright-Stiftung in Berlin, die sich für mehr Diversität in Führungspositionen einsetzt. Chefs und Unternehmer müssten Gleichstellung und Frauenförderung forcieren sowie Vorurteile und Stereotypen hinterfragen, forderte Berg. Auch der Gesetzgeber sei gefragt, etwa durch verpflichtende Elternzeitregelungen für männliche Arbeitnehmer. Mit Zwang und Quoten könne nicht alles geregelt werden, wandte Allianz pro Schiene-Chef Dirk Flege ein, der sich für stärkere Anreize für Unternehmen zur Einstellung und Förderung von Frauen aussprach.

Teilnehmerinnen in einem Workshop
Die Mobilitätskette weiblicher gestalten: Teilnehmerinnen in einem Workshop (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

Geschlechterrollen und technische Bildung

Die in diesem Kontext etwas provokante Überschrift „Frauen und Technik“ trug einer der Workshops auf der Konferenz – dessen vollständiger Titel aber „ein perfektes Paar“ lautete. Wie sie dazu gekommen sind, einen technischen Beruf zu wählen, und ob sie Diskriminierung in Schule und Ausbildung erfahren haben, wollten die Leitenden des Workshops wissen: Die Stuttgarter Schienenfahrzeug-Professorin Corinna Salander, ihr Fachkollege Prof. Markus Hecht von der TU Berlin, Anette Hering, Chefin der gleichnamigen Bahnbaufirma, und Saskia Schulz, Projektleiterin Brennstoffzellenantrieb bei Alstom.

Die Workshop-Teilnehmerinnen berichteten sehr unterschiedliche Erfahrungen: Viele hatten in der Familie keine Vorbilder mit technischem Hintergrund, wurden aber dennoch in ihrer Studienwahl ermutigt und gefördert. Gelegentlich gab es mahnende Worte aus dem familiären Umfeld, doch lieber einen für eine Frau „passenderen“ Beruf zu wählen. Die anwesenden Absolventinnen technischer Studienfächer haben Diskriminierung an der Hochschule eher selten erlebt, dafür wusste Professor Hecht aus seiner Studienzeit von despektierlichem Verhalten mancher männlicher Kommilitonen zu berichten, als Frauen im Ingenieurstudium noch eine Seltenheit waren.

Ob bestimmte Fähigkeiten und Neigungen angeboren oder von Sozialisation und Erziehung geformt werden, ist eine alte Frage. Professorin Salander stellte eine Studie vor, nach der die MINT-spezifischen Kompetenzen unter Mädchen und Jungen etwa gleichverteilt sind, während die weibliche Lesekompetenz im Schnitt etwas stärker ausgeprägt ist. In der Folge entschieden sich Frauen eher für eine nicht-technische Ausbildung, wo sie diese Stärke ausspielen können und weniger männliche Konkurrenz haben, folgern die Studien­autoren. Damit soll erklärt werden, dass im internationalen Vergleich der Anteil von Frauen mit MINT-Qualifikation sinkt, je stärker die Gleichstellung beziehungsweise Emanzipation in einem Land vorangeschritten ist. Ein auf den ersten Blick paradox erscheinender Befund, über dessen Erklärung man sicher diskutieren kann.

Viel Zuspruch gab es hingegen für die Feststellung, dass sich Frauen mit dem Netzwerken schwerer tun als Männer und auch selbst weniger fördern, wenn sie in eine Führungsposition gelangt sind. Dementsprechend skeptisch sind sie gegenüber frauenspezifischen Mentoring- und Förderprogrammen eingestellt, so die Erfahrung weiblicher Workshopteilnehmer. Wohl um den Eindruck zu vermeiden, aufgrund ihres Geschlechts eingestellt oder befördert zu werden.

Frauen im GEspräch
Pausengespräch (Foto: Allianz pro Schiene/Stephan Röhl)

Empowerment durch Technik

Einen anderen interessanten Hinweis brachte ein Teilnehmer ein, der in der beruflichen Bildungsforschung tätig ist: Vielen technischen und handwerklichen Ausbildungsberufen hafte noch das Bild schwerer körperlicher Arbeit an, obwohl diese inzwischen oft durch Maschinen übernommen oder durch technische Hilfsmittel erheblich erleichtert werde. Die Technik könne körperliche Nachteile gegenüber Männern ausgleichen und biete daher für Frauen eine Chance zur Selbstermächtigung.

Wenn es etwas gab, was dieser gut organisierten, inhaltlich ansprechenden und sehr lebendigen Konferenz gut getan hätte, dann die Beteiligung von Frauen in eben solchen technischen Ausbildungsberufen, für die es ja gerade bei der Bahn einen großen Bedarf gibt, die bei MINT.einander aber kaum sichtbar sind. So könnte das Projekt neben den prominenten Managerinnen, Ingenieurinnen und Professorinnen auch der ein oder anderen Lokführerin oder Fahrzeugmechanikerin eine Bühne als Rollenvorbild bieten. Getreu dem Slogan „Mobilität braucht Frauen“ – das gilt auf allen Ebenen.

Dass das für die Schienenbranche zuständige Ministerium nicht vertreten war, ist bedauerlich, wie auch die geringe Zahl männlicher Teilnehmer. Denn Gleichstellung ist Sache beider Geschlechter und ein Thema, das auf die Agenda des Managements gehört.

Links

Website zur Konferenz MINT.einander
Der Wettbewerb Mobilitätsgestalterin
Frauennetzwerk der Allianz pro Schiene
Entwicklung von Frauenkarrieren im MINT-Bereich


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